„Europa muss vorwärtskommen. Und zwar alle und nicht nur ein kleiner Teil“, sagte Frank Firsching. Der unterfränkische Regionalgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) blickt besorgt auf die Europawahl. Das liegt zum einen am geringen Interesse der Bevölkerung, zum anderen am großen Zuspruch für europakritische oder -feindliche Stimmen, die sich beispielsweise in den hohen Umfragewerten für Parteien wie die AfD niederschlagen. Mehrfach machte er deutlich, dass er diese Partei dem Lager der Rechtspopulisten zuordnet.
Am Montagabend referierte er im Gasthof Goger in Sand über die europäische Politik und ihre Bedeutung für die Bürger. „Wir machen so eine Veranstaltung in jedem Landkreis“, berichtete er. „Ziel ist es, die Leute zu informieren und für die Teilnahme an der Wahl zu werben.“ Zu Beginn zählte er einige weitverbreitete Behauptungen über die europäische Politik auf, wie die Aussage, Deutschland sei der „Zahlmeister der EU“, das europäische Parlament habe nichts zu sagen, oder ein Ausstieg aus dem Euro sei die beste Lösung. „Am Ende werden wir dann sehen, wie viel von diesen Mythen noch übrig bleibt“, meinte er.
Zunächst referierte Firsching über die Geschichte der EU und hob dabei auch ihre Bedeutung zur Friedenssicherung hervor. Besorgt zeigte er sich gerade in diesem Zusammenhang über Umfragen, die belegen, dass große Teile der deutschen Bevölkerung eine Osterweiterung der Union oder eine Aufnahme neuer Staaten ablehnen. Zwar kritisierte Firsching, dass sich die Türkei immer weiter von den europäischen Werten entferne. „Vor fünf Jahren waren sie sicher näher am EU-Beitritt als heute.“ Dennoch sei eine Aufnahme neuer Länder nicht generell abzulehnen.
Dann ging es um die einzelnen Institutionen der EU. Firsching sprach über den europäischen Rat, den Ministerrat, die Kommission und besonders über das Parlament, das als einziges Organ direkt von den Bürgern der EU gewählt wird. Als Beispiel für die Bedeutung des Parlaments stellte er heraus, dass es unter anderem die umstrittene Wasserprivatisierung verhindert hatte. Zudem kritisierte er, manche Politiker würden den Vorwurf der Überregulierung durch die EU für Anti-Europa-Propaganda nutzen. „Die berühmte Geschichte mit der Gurkenkrümmung war ja nicht die Idee von irgendeinem Kommissionsmitglied“, erklärte er. Vielmehr sei die Initiative von den deutschen Discountern ausgegangen und dann über die Bundesregierung zur EU gekommen. „Und jetzt nutzen das Leute, die es vorher selbst mit durchgebracht haben, um Stimmung gegen Europa zu machen.“ Nach der Vorstellung der einzelnen Institutionen folgte eine Vorführung des Films „MS Europa – Wir sitzen alle in einem Boot“, in dem es um Armut und Missstände innerhalb der Europäischen Union ging. Danach stellte Frank Firsching die Positionen des DGB vor. So kritisierte er den bisherigen Umgang mit in die Krise geratenen Euro-Staaten. „Die Krise hat mit einer Bankenkrise begonnen“, erklärte Firsching. Nachdem Deutschland 2009 unter einem Minuswachstum gelitten hatte, habe ein Konjunkturprogramm geholfen, relativ gut aus der Krise zu kommen. „Aber von anderen Ländern fordern wir genau das Gegenteil“, kritisierte er die Sparauflagen gegen Griechenland. Die Folgen dieser Politik seien dramatisch: „Aus einer Finanz- und Wirtschaftskrise ist eine soziale Krise geworden“, beklagte er unter anderem die steigende Arbeitslosigkeit in vielen EU-Staaten. Ein Dorn im Auge ist ihm auch, dass mit den Sparauflagen den Menschen in Griechenland das Recht zu streiken genommen wurde. „Das ist eine Beschneidung von demokratischen Rechten“, beschwerte sich der Gewerkschafter. So nannte er als Forderung der Gewerkschaften ein „soziales, gerechtes und demokratisches Europa“. „Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Wir müssen die Werte wieder ins Zentrum stellen, nicht die Finanzpolitik“, sagte Firsching. Besonders wichtig sei ein starkes Parlament, da es als einziges direkt gewähltes EU-Organ auch als einziges wirklich in der Lage sei, die Bürger zu vertreten. Hierfür sei eine hohe Wahlbeteiligung nötig, um das Parlament zu legitimieren.
Auch wenn von der Gewerkschaft keine deutliche Empfehlung für eine bestimmte Partei kam, riet Firsching deutlich von der Wahl von Rechtspopulisten ab: „Von der AfD bis zur NPD.“ So gab es viel Kritik am wachsenden Mangel an Solidarität mit anderen Mitgliedsstaaten. „Da sitzen Völker zusammen, die noch im Zweiten Weltkrieg gegeneinander Krieg geführt haben“, hob ein Besucher der Veranstaltung die wichtige Rolle der EU zur Friedenssicherung hervor.
Weitere Forderungen der Gewerkschaften sind der Ausbau von Arbeitnehmerrechten sowie faire Regeln für den europäischen Arbeitsmarkt. „Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, betonte Firsching. Damit kritisierte er deutlich die Forderung der AfD, man solle ausländische Arbeiter nicht nach den Bedingungen an ihrem Arbeitsort bezahlen, sondern nach denen in ihrem Heimatland. Dabei verwies er auf das Antidiskriminierungs- und das Gleichstellungsgesetz.
Um die Finanzprobleme einiger Staaten zu lösen, schlug der Gewerkschafter ein Investitionsprogramm vor, das er mit dem Marshallplan verglich. Zur Finanzierung könne man eine einmalige Vermögensabgabe der Millionäre heranziehen: „Wir müssen dem Sparkurs etwas entgegensetzen, was gut durchdacht und durchgerechnet ist.“ Weiterhin sei die Gewerkschaft dagegen, dass Länder sich gegenseitig unterbieten, um Betriebe anzuziehen. Zudem stellte Frank Firsching klar: „Wir sind für Eurobonds. Das heißt nicht, wie immer behauptet wird, eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden, sondern nur ein gleiches Zinsniveau.“ Außerdem befürworte er die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Besonders stört sich Firsching an der Formulierung „marktkonforme Demokratie“, denn die Wirtschaft müsse sich der Demokratie anpassen, nicht umgekehrt.
Auch die Asyl- und Flüchtlingspolitik in Europa müsse sich ändern. „Es kann nicht sein, dass wir die Menschen einfach ertrinken lassen“, verwies Firsching auf die Situation von Flüchtlingen.
Auf das umstrittene Freihandelsabkommen ging der Gewerkschafter nicht weiter ein, verwies aber darauf, es werde im Herbst Veranstaltungen dazu geben. „Im Moment können wir leider nicht viel dazu sagen, weil wir ja noch nicht wissen, was wirklich drinsteht“, beklagte er die Geheimhaltung.
Zum Schluss betonte er nochmals seine Aufforderung, zur Wahl zu gehen und dabei nicht am rechten Rand zu wählen: „Wir dürfen uns nicht auf Nationalstaaten zurückziehen, sondern wir müssen Europa gemeinsam voranbringen.“