Auch wenn Pest, Blattern, Cholera, Masern oder Tuberkulose heute ihre Schrecken ziemlich verloren haben: Die Angst vor anderen Seuchen besteht jedoch weiter. Ob es Aids, die Vogelgrippe, Schweinegrippe, EHEC oder jetzt die aktuelle Ebola ist. Mittlerweile droht diese Seuche in Teilen Afrikas sogar außer Kontrolle zu geraten.
Zahlreiche Pestkreuze und -heilige, Gelübde und geweihte Kapellen legen in unserer Heimat noch Zeugnis ab von jenen entsetzlichen Krankheiten, die vor Jahrhunderten wüteten und viele Menschenleben forderten. Spuren sind in unserer Heimat immer noch zu finden. So wurde z.B. 1601 in Hofheim die Kreuzkapelle mit dem Schutzheiligen Sebastian auf Grund eines Pestgelübdes errichtet. Vor Gückelhirn, im Schlosspark Pfaffendorf und zwischen Pfarrweisach und Lohr haben die dortigen Bewohner um 1700 Pestmarterl aufgestellt. Ihre Standorte in freier Flur lassen darauf schließen, dass die Pesttoten nicht immer in den Friedhöfen im Ort, sondern wegen der Ansteckungsgefahr abseits der Dörfer in „Pestgruben“ verscharrt worden sind. Ganz so, wie wir es heute im Fernsehen in den Ebola-Gebieten in Afrika sehen.
Neben dem Eingang zur Siechkapelle außerhalb von Knetzgau, steht ebenfalls eine Marter. Sie wurde 1732 zur Abwendung einer Viehseuche errichtet. Auch solche Epidemien haben immer wieder ihre Spuren hinterlassen. Maul- und Klauenseuchen traten noch bis in den 60er Jahren fast regelmäßig auf. An die Sperrschilder an den Ortsein- und -ausgängen können sich ältere Bewohner noch erinnern. In den letzten Jahrzehnten ist diese Seuche jedoch kaum mehr in Erscheinung getreten. Die Knetzgauer Siechkapelle verdankt ihren Namen einem benachbarten Siechenhaus, welches als Asyl für Aussätzige und Pestkranke diente. Wie der Haßfurter Chronist Josef Kehl erzählt, sei 1580 über der Stadt eine Wolke in Form eines Sarges erschienen und lange stehengeblieben. Angsterfüllt hätten die herbeigeströmten Bewohner zum Himmel geschaut und die seltsame und furchterregende Wolke als Vorzeichen einer großen Pest gedeutet. Tatsächlich forderte eine darauffolgende Epidemie rund 120 Opfer.
Am schwersten wurde die Stadt Haßfurt 1611 von der Pest heimgesucht. Die in den Pfarrmatrikeln aufgeführten 476 Todesopfer vor fast 400 Jahren hat unlängst Dr. Volker Grumbach in einem Buch namentlich veröffentlicht. Darunter war auch Bürgermeister Kaspar Höhn. In einer Woche läutete 79 Mal die Sterbeglocke. Es war die Zeit, in der ganze Orte und Familienstämme untergingen. Auf den Kreuzungen der Haßfurter Gassen brannte man Wachholderfeuer ab, um die Luft zu reinigen. Aus den Apotheken in Würzburg, Schweinfurt und Königsberg wurden als Medikamente Tonerde, Giftessig, eine Art Brei aus Zwetschgen, Hagebutten und Wacholder, eine Tinktur aus dem arabisch-spanischen Bereich sowie Sauerampferwasser herbeigeschafft. Eine Bruderschaft belebte einen alten Brauch, den Hl. Sebastian – der als Pestpatron gilt –, gegen das Unheil anzurufen. In der Kirche in Horhausen gibt es ein Altarbild, das den Pestpatron Borromäus zeigt, wie er einem Pestkranken das Abendmahl reicht. Von weit mehr Toten berichtet ein handschriftlicher Eintrag in einem privaten Haßfurter Hausbuch: „Im sechshundert und Elften Jahr / allhie groß Sterb und Theurung war. / In einer Wochen Sibzig drei / Enden das Leben, bracht große Scheu. / von Johanns Tag bis uffs Advent / Sibn Hundert Person sturben elendt./ Acht, Zwölf, Sechszehn in einem Tag / an der crassierendt Pesttod lag.“
Eine weitere Seuche in den Jahren 1635 und 1637 die „die Leute vergehen ließ wie die Sonne den Schnee“, führte ein weiteres Mal zu einem Rückgang der Bevölkerung. Zumeist waren Ratten bzw. Flöhe die Träger und Verbreiter der Pest, welche 1611 auch in Hofheim, Ostheim, Eichelsdorf, Friesenhausen und Goßmannsdorf zu wüten begann. In Hofheim trat sie zuerst im Hause des Hans Scheidtmantel jun. auf, dessen Frau und zwei Töchter binnen drei Tage dahinstarben. Am Ende des Jahres war die Zahl der Opfer in Hofheim auf 160 angestiegen. In Reckertshausen, Ostheim, Lendershausen, Ueschersdorf, Erlsdorf und Kerbfeld waren es weitere 165.
Der Schrecken war so groß, dass man die Kranken nicht mehr pflegen und die Toten nicht mehr zur Beerdigung hinaustragen wollte. Als Pfarrer Lorenz Spieß am 4. Oktober nach Kerbfeld kam, um den Leuten die fürstbischöflichen Vorschriften gegen die Pest zu erklären, wichen sie ihm aus. Der dortige Totengräber rühmte sich des Gestankes seiner Kleider und brüstete sich, dass er sich weder vor der Pest noch vor dem Teufel fürchte. Erfolgreich soll der Pfarrer als Gegengift diverse Kräuter und Pulver gebraucht haben.
In Eltmann raffte die Seuche 142 Menschen hinweg, wobei von da an die Zählung unterblieb, weil die Leichen in aller Eile nachts beerdigt wurden. Ohne Zuzug von außen wäre das Städtchen ganz ausgestorben, schreibt der Chronist Göpfert. Im kleinen Zell a. E. waren 147 Opfer zu beklagen. Weil darunter auch der Pfarrer war, gibt es hernach in den Sterbematrikeln keine Aufzeichnungen mehr. In Prappach fanden 151 Menschen den Tod. Dieses Dorf büßte 20 Jahre später noch einmal 158 Bewohner ein, wobei damals rund 30 Familien gänzlich ausgestorben sind. In Gädheim starben 95, in Untertheres 109. Die Namen der Opfer in dieser Gemeinde hat in neuerer Zeit der Ruhestandspfarrer Anton Reinhard für die Öffentlichkeit dokumentiert.
Große Epidemien hatten stets auch soziale und ökonomische Folgen. So zogen oft Menschen aus weniger betroffenen Gebieten in die leerstehenden Häuser ausgestorbener Familien ein. In vielen unserer Städte und Gemeinden gingen in diesen Zeiten Hunderte von Familien unter. An deren Stelle tauchen in den Verzeichnissen völlig andere Namensträger auf.
Als 1630 ein Tross Soldaten die Pest nach Königsberg, Altershausen und Zeil schleppte, versuchten sich die Menschen durch Räuchern mit Eibennadeln zu schützen. Drei Jahre später kehrte die Seuche in Königsberg noch einmal zurück und raffte 172 Bürger hinweg.
1679 nahmen die Zeiler den „Meister Christoph Burckardt aus Lauingen“ als Bürger auf. Offenbar verstand sich dieser Mann auf Heilkräuter, denn er musste versprechen, sollte „eine Seuch und Pestilenz einfallen, was Gott verhüten wolle, die Bürgerschaft für eine billige Gebühr mit Arznei zu versorgen“. Zusätzlich war er noch von bestimmten Abgaben befreit.
Um ein Übergreifen der Seuche aus dem Ausland zu verhindern, drohte der Würzburger Fürstbischof 1713 sogar die Todesstrafe an, sollte sich wissentlich eine von der Pest befallene Person ins Hochstift begeben.
Seit dem 15. Jahrhundert wurde der Kornschnaps als ein Heilmittel gegen die Pestilenz geschätzt. Während und nach dem Dreißigjährigen Krieg nahm der Genuss von Branntwein erheblich zu, weil man glaubte Alkohol sei gut gegen Ruhr und Pest. Die Leute der vornehmeren Schicht versuchten nach seiner Entdeckung 1799, die Krankheit mit Kölnisch Wasser zu bekämpfen. Noch 1873 bot der Haßfurter Kaufmann A. Müller per Inserat einen „ächten erwärmenden Magenbitter“ gegen die Cholera an. Der Gassenhauer „Schnaps ist gut für Cholera“ trug leider dazu bei, hochkonzentriertem Alkohol zu vertrauen. Es waren Armut, Hunger und Schmutz sowie verseuchtes Trinkwasser, auf deren Boden die Cholera gedieh. Stadtmauern sollten nicht nur vor Feinden, Landstreichern und Bettlern, sondern auch vor Pestkranke schützen. Im Siechenhaus außerhalb von Zeil richtete man bei Seuchen- und Pestgefahr zwei Stuben ein. Sie konnten bis zu acht Personen – getrennt nach Geschlechtern – aufnehmen. Wirksamstes Mittel gegen ansteckende Krankheiten waren nicht zuletzt Quarantänemaßnahmen außerhalb der Wohngebiete. 1836 war sogar der alte Saal in der heutigen Göller’schen Freyung für eine Epidemie ausgewiesen worden, der während des Napoleonischen Krieges bereits als russisches Lazarett gedient hatte.
Kaum wurden jemals so viele Stiftungen für Kirche, Schule und Arme gemacht wie zur Pestzeit. Der Bürger Hans Brückner aus Hofheim, dessen Frau an der Seuche gestorben war, unternahm sogar eine Romfahrt, von der er nach einem halben Jahr nach Hause zurückkehrte, um sich erneut zu verehelichen.
In der Pest sahen unsere Vorfahren die strafende Hand Gottes für menschliches Fehlverhalten. Fromme Christen glaubten daher, die Pest durch Gebete und Fasten sowie durch Gelübde und Wallfahrten bekämpfen zu können. In Zeil ordnete im schlimmen Pestjahr 1611 die Obrigkeit „wegen der regierenden Pest und Seuch“ ein 24-stündiges Gebet in der Stadtpfarrkirche an. Für diese „Ewige Anbetung“ wurden am ersten Tag die Zeiler Bewohner in zwölf Gruppen aufgeteilt. In jeder Stunde wechselten sich 19 erwachsene Personen ab. Am anderen Tag teilten sich die Orte Schmachtenberg, Ziegelanger und Steinbach das zwölfstündige Gebet auf. Nach dem Tagebuch des Bürgermeisters Langhans starben an dieser „Pestilenz“ damals allein in Zeil etwa 100 Menschen.
War ein Nachbarort von einer Seuche befallen, herrschte Angst und Schrecken, dass diese bald auch in den eigenen Mauern ausbrechen könnte. So hörten die Zeiler 1708 von einer ansteckenden Krankheit bei Mechenried. Die Stadt sandte einen Boten nach „Höfingen (Hofheim) und die Orten dort herum“, um sich kundig zu machen. Dabei sollte der Abgesandte „dem erschollenen Geruch nach feststellen, ob eine ansteckende Seuche grassiere“.
Während im Mittelalter Pest und Seuchen eine ständige Gefahr für die Menschen waren, wurden im 19. Jahrhundert die Menschen unserer Heimat von den Blattern (Pocken), Ruhr, Cholera, Typhus und Tuberkulose heimgesucht. In der Regel waren insbesondere die schlechten hygienischen Verhältnisse in den Häusern, den Straßen und den Brunnen verantwortlich.
Im Dezember 1800 starben in Aidhausen „etliche 30 Kinder“ an den Blattern. Der Eltmanner Landrichter musste 1807 gegen den Widerstand der Bevölkerung die Pockenimpfung durchführen lassen. 1814/15 ist von einer weiteren Impfung die Rede, die damals im gesamten Großherzogtum Würzburg durchgeführt wurde.
Landrichter Kummer ordnete 1827 in seinem Landgerichtsbezirk Eltmann an, bei Ausbruch der Blatternkrankheit sogleich Anzeige zu erstatten. Dies bedeutete jedoch nicht, dass dann eine entsprechende ärztliche und medizinische Hilfe veranlasst worden wäre. Vielmehr war den Behörden in erster Linie daran gelegen, den jeweiligen Ort, in welchem eine ansteckende Krankheit ausgebrochen war, mit einer Quarantäne zu belegen. So war aus den befallenen Häusern das Absenden von Briefen und Paketen verboten. Streng untersagt war in diesen Orten auch der damals übliche Handel mit alten Kleidern. Offenbar waren die Impfungen nicht flächendeckend. Denn 1833 wird von einem Ausbruch der Blattern in Zeil und anderen Orten berichtet.
Besonders die zahlreichen oft als „skandalös“ bezeichneten Aborte sowie die Mistgruben vor und hinter den Häusern galten als Brutstätten von Krankheiten und Seuchen. Eine Kommission forderte 1865 in Zeil eine energischere Handhabung der „Sanitätspolizei“. Die gleichzeitige fast vollständige Abtragung der historischen nördlichen Stadtmauer mit mehreren Türmen wurde vor allem damit begründet, in der Stadt „einen frischen Luftzug und damit eine Verbesserung der Gesundheitsverhältnisse“ zu erreichen.
Eine der drei erst 1895 aufgehängten Glocken im Zeiler Käppele trug die Inschrift: „Von Pest, Hunger und Krieg befreie uns, o Herr“: Sie musste während des Ersten Weltkrieges für Kriegsgerät geopfert werden. Dieser Text lässt erahnen, wie sehr noch vor gar nicht langer Zeit die Furcht vor der Pest im kollektiven Gedächtnis der Menschen verankert war.
So gefährlich und bedrohlich die Ebola-Seuche mit derzeit rund 4500 Opfern empfunden wird: Die „Schwarze Pest“ hat im 14. Jahrhundert in Europa rund 25 Millionen Todesopfer gefordert. Das war fast ein Drittel der gesamten Bevölkerung.
Pimpernell und Baldrian
In Prappach gibt es eine Legende, wonach während der Pest auf einem Dach in der Mitte des Dorfes ein kleines Vögelein sang: „Trink Pimpernell und Baldrian, dann kann die Pest euch han nichts an.“ Die Dorfbewohner hätten den Rat des Vogels befolgt worauf die Pest verschwunden sein soll. „Pimpernell“ oder der „kleine Wiesenknopf“ gehört zur Familie der Rosengewächse und zählte früher ebenfalls zu den Heilkräutern gegen die Pest.
Franzosenkrankheit
Neben Pest und Seuchen gab es auch andere hochansteckende Infektionskrankheiten, die sich oft durch große Fahrlässigkeit verbreiteten. Ohne Rücksicht auf Ansteckung wusch und schröpfte 1620 der Zeiler Bader Daniel Leonhard Personen, die mit der Franzosenkrankheit, sprich Syphilis, behaftet waren. Die Beteiligten glaubten, durch eine derartige Behandlung geheilt zu werden. Doch der Stadtrat fürchtete zu Recht, dass sich wegen des Mangels an Hygiene andere Badbesucher infizieren könnten. Tatsächlich berichten die Ratsakten, dass die damalige Hebamme infiziert war und sich starrköpfig weigerte, sich „curieren“ zu lassen. Sehr wahrscheinlich hat sie bei ihrer Tätigkeit als Hebamme andere Frauen angesteckt.
Gesundheit
In den Zeiten der Pest glaubten früher die Leute, die damals todbringende Krankheit beginne mit einem Niesen. Allmählich bürgerte sich der Brauch ein, zum Niesenden „Gesundheit“ zu sagen, was auch heute noch weit verbreitet ist. In Wahrheit wünschte man früher diese jedoch nicht seinem Gegenüber; vielmehr glaubte und hoffte man mit dieser Redensart, sich selbst vor der Seuche zu schützen.
Leeres Dorf
Nach einer Erzählung flüchtete ein fremder Mann nach Greßhausen um sich vor der grassierenden Lungenpest zu retten. Schon bald hätten einige Bewohner an Kopfweh, Fieber und Schüttelfrost gelitten. Als sie auch noch Blut spuckten war offenkundig, dass sie der Fremde angesteckt hatte. Darauf sollen – bereits infiziert – die meisten Einwohner den Ort verlassen oder sich in ihre Behausungen zurückgezogen haben. Nach einigen Wochen wohnte fast niemand mehr im Dorf. Später seien fünf fremde Familien in den Ort gezogen.