Sie sieht es anders. Natürlich, als SPD-Politikerin. Der Schulz-Effekt sei keineswegs schon wieder verpufft, wie von der Redaktion unterstellt. Die Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar ist zum Redaktionsbesuch ins Haßfurter Tagblatt gekommen. Eigentlich wollte die Politikerin, im „richtigen Beruf“ gelernte Ärztin, für Knochenmark- und Organspende werben, da sie die Schirmherrschaft für eine DKMS-Gala übernommen hat, daraus entwickelte sich aber ein lebendiges Gespräch über viele aktuelle Themen.
Man müsse sehen, so Dittmar, woher die SPD kommt. Anfang des Jahres lag die Partei laut Umfrage noch bei 21 Prozent der Wählerstimmen. Mit dem Schulzeffekt sei man zwischendurch bei 31 Prozent gewesen, derzeit bei etwa 29. In dem Zusammenhang erinnerte Dittmar daran, dass die relativ bescheidene Beliebtheit beim Wähler zu Beginn des Jahres eindeutig zu niedrig gewesen sei. „Meinungsforscher haben schon vor Schulz der SPD ein höheres Potenzial attestiert.“ Bis September „werden wir noch einige Auf- und Abwärtsbewegungen haben“. Sie hofft nur, „dass wir nicht noch einen richtigen Abfall erleben“.
Warum es eines neuen „Messias“ bedurfte, statt mit Inhalten zu überzeugen? Man habe bei der SPD nur „die bekannten Positionen mit einem neuen Kopf versehen“, so Dittmar. Sie sei selbst „von dem Schulz-Hype überrascht“. In Deutschland habe es seit Schulz bereits über 16 000 Parteieintritte gegeben, in Bayern rund tausend, im Landkreis etwa 35. Dabei handele es sich vor allem um sehr junge und alte Mitglieder und um Wiedereintritte.
In viereinhalb Monaten ist Bundestagswahl. Grund genug für die Redaktion, die Abgeordnete danach zu fragen, warum ein Arbeitnehmer im September die SPD wählen sollte. Das Wahlprogramm ihrer Partei, so Dittmar werde erst am 15. Mai vorgestellt und am 25. Juni beim Bundesparteitag verabschiedet, sie könne jedoch sagen, dass die SPD in den vergangenen vier Jahren gezeigt habe, wo die Defizite für die Arbeitnehmer liegen. Bei den Themen Leiharbeit und Teilzeitarbeit habe man zwar nur Teilerfolge in der Großen Koalition erringen können, aber weit mehr erreicht, als die Union wollte. Ein weiterer Punkt sei das Rückkehrrecht von Teilzeit- in Vollzeitarbeit, wichtig sei auch die Qualifizierung von Arbeitnehmern. „Wie das Wahlprogramm detailliert aussehen wird“, sei aber noch nicht bekannt.
Zu den Plänen, das Rentenniveau zu erhöhen, meinte Dittmar, eine Rentenreform könne nur in einem breiten gesellschaftlichen Konsens gelingen. Dazu gehöre auch das Thema Bürgerversicherung. Diese werde auf jeden Fall zu den Kernforderungen für etwaige Koalitionsverhandlungen gehören. Den privaten Krankenversicherungen fehlten durch den aktuellen Negativzins die Einnahmen, so dass diese sich der Notwendigkeit einer Reform durchaus bewusst seien.
SPD-Politik ist entgegen des herrschenden Eindrucks nicht nur mit Grünen oder der Linken möglich, so Dittmar. „So viel sozialdemokratische Politik wie in den letzten dreieinhalb Jahren wurde nicht einmal unter Rot-Grün gemacht“, behauptet die SPD-Abgeordnete. Das werde vom Bürger nicht zuletzt deshalb aber nicht so wahrgenommen, weil die Kanzlerin derzeit wegen internationaler Krisen eine starke Medienpräsenz besitze. „Die Prozentzahlen zum Jahresbeginn haben unsere Arbeit nicht widergespiegelt“, sagt Dittmar, die für die Bundestagswahl das Ziel „stärkste Partei“ ausgibt. „30 plus x“ sei ein anstrebenswertes Ergebnis „und ich glaube, dass wir das schaffen“.
Gleichzeitig hofft Dittmar, dass die rechtsextreme AfD vielleicht doch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird. Den Grund für deren Aufschwung sieht sie darin, dass „viele Leute sich vom politischen Prozess verabschiedet haben und die Frustrierten nach rechts abwandern“. Beim letzten Parteitag jedoch habe sich die AfD demaskiert und ihr wahres Gesicht gezeigt. Man müsse sich den Rechten thematisch und programmatisch stellen. Auf keinen Fall dürfe man, um den Rechtsextremen das Wasser abzugraben, versuchen, deren Ideen, Gedanken oder Leitkulturen in abgemilderter Form zu imitieren. Der Wähler würde in diesem Fall immer das „Original“ bevorzugen. Als Beispiel, wie man's nicht machen sollte, nennt Dittmar die „Benimmregeln von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere.
„Was ist überhaupt Leitkultur?“, fragt Dittmar. Doch wohl nur das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung. Es sei doch völlig egal, ob man sich gegenseitig die Hand gebe, oder „High five“ abklatsche. „Bei einer Grippewelle würde ich ohnehin aufs Handgeben verzichten“, so Sabine Dittmar im Scherz. Das ganze Thema „Burka“ sei aufgebauscht. „Natürlich muss ich in der Schule das Gesicht sehen“, aber eigentlich sei das kein Thema für das Zusammenleben.
Immer ein Thema, wenn man mit einer heimischen SPD-Frau spricht, ist die Bayern-SPD. In Natascha Kohnen und Florian von Brunn sieht Sabine Dittmar die beiden aussichtsreichsten Anwärter auf den Landesvorsitz der Partei. Mit leichten Vorteilen für Natascha Kohnen, die ja auch vom scheidenden Landesvorsitzenden Florian Pronold vorgeschlagen wurde.
Ob sich für die Bayern-SPD der Rückzug vom Rückzug von CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer positiv ausgewirkt habe, könne sie nicht beantworten, so Dittmar. Dies habe sich jedoch abgezeichnet. Sie nennt den Schritt des CSU-Vorsitzenden jedenfalls „mutig, dass er mit dann 68 Jahren noch einmal antritt“. Noch dazu vor dem Hintergrund, dass er zuvor alle CSU-Politiker ab einem gewissen Alter gnadenlos aussortiert habe. „Aber man weiß nicht, was sonst gekommen wäre“, orakelt die Bundespolitikerin, „und wie es sich im Landtagswahlkampf ausgewirkt hätte.“ Sie ist sich aber sicher, dass „es Söder hart getroffen hat“.
Nichts desto trotz glaubt Sabine Dittmar, dass Horst Seehofer wohl erst das Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl im kommenden Herbst abwarten wird und erst danach endgültig entscheidet, ob er wirklich weitermachen will.