Für Professor Dr. Martin Friesl ist der Krieg in der Ukraine in erster Linie eine humanitäre Tragödie. Doch der Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bamberg – insbesondere Strategie und Organisation – sieht auch die schweren Verwerfungen für deutsche Unternehmen und prognostiziert steigende Kosten für den Endverbraucher. Unser Interview im Wortlaut:
Martin Friesl: Der Krieg in der Ukraine ist an erster Stelle eine humanitäre Tragödie. Gleichzeitig führt der Krieg zu starken Verwerfungen bei vielen Unternehmen hier in Deutschland, sowohl auf der Umsatz- als auch auf der Kostenseite. Das Exportgeschäft in die Ukraine und aber auch nach Russland kam für viele Unternehmen zum Erliegen. Gleichzeitig müssen Unternehmen mit stark gestiegenen Energiekosten umgehen. Zahlreiche Unternehmen haben auch Betriebsstätten und Tochtergesellschaften in der Ukraine. Das heißt. Die Auswirkungen des Krieges sind vielfältig und für manchen Firmen schwerwiegend.
Friesl: Was Erdgas angeht, ist dies sicherlich der Fall. Russland ist einer der wichtigsten Erdgaslieferanten für Deutschland. Die Abhängigkeiten dahingehend werden von der deutschen Regierung im Rahmen von Verhandlungen mit anderen Ländern, wie zum Beispiel Katar oder den Vereinigten Emiraten ja gerade entflochten. Dies ist keine Lösung in der kurzen Frist, aber zumindest mittel- und langfristig.
Friesl: Die humanitären Auswirkungen und natürlich der damit verbundene ökonomische Schock des Krieges in der Ukraine sind zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht voll abzuschätzen. Diese Unsicherheit wird viele Unternehmen betreffen. Die globalen Lieferketten in manchen Bereichen waren aber schon zuvor aufgrund der Corona-Pandemie stark angespannt. Ein Allheilmittel gibt es dafür leider nicht, schon gar nicht in der kurzen Frist. Unternehmen werden versuchen, die gestiegenen Kosten an Kunden weiterzugeben. Wo dies möglich ist, wird das sicherlich passieren.
Friesl: Die Ukraine, aber auch Russland sind zentrale Lieferanten von Weizen. Der Krieg in der Ukraine hat bereits jetzt zu enormen Preissteigerungen für Weizen gesorgt. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. In vielen Ländern ist Weizen gar nicht aus der Ernährung wegzudenken. Engpässe an Grundnahrungsmitteln können hier die Folge davon sein. Die internationale Staatengemeinschaft muss sich hierüber Gedanken machen, wie diese Effekte kurzfristig abgefedert werden können.
Friesl: Wir sind ja eine Exportnation. Die Binnennachfrage nach unseren Produkten und Services kann unsere Arbeitsplätze und unseren Wohlstand nicht sichern. Das müssen wir uns so vor Augen führen und heißt damit auch, dass die globalen Lieferketten unserer Unternehmen auf einer grundlegenden Prämisse basieren: Planbarkeit durch Stabilität. Der Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland aber auch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie haben die Schwächen und Abhängigkeiten vieler Lieferketten offengelegt. Denken wir zum Beispiel an die Verfügbarkeit von Computerchips für die Automobilindustrie. Viele Unternehmen werden sicherlich ihre Lieferketten überdenken, um sich gegen Lieferengpässe und aber auch gegen den zunehmenden Kostendruck zu schützen. Sanktionen gegen Russland führen zu weiteren rechtlichen, aber natürlich auch moralischen Schranken. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Unternehmen ihre Lieferketten an die neue Situation anpassen werden und müssen. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen hängt letztlich davon ab, liefern zu können. In der Umsetzung wird meiner Ansicht nach das Thema Digitalisierung und Automatisierung eine noch zentralere Rolle spielen. Die Konsequenzen dieser Entwicklungen werden wir erst in einigen Jahren wirklich sehen.
Friesl: Die aktuellen Bedingungen lassen das sicherlich nicht zu, und das liegt auch nicht in der Kontrolle der Unternehmen. Aber, hier zeigt sich auch der Sinn des Lieferkettengesetzes, es hat steuernde Wirkung darauf, wo und mit wem wirtschaftliche Beziehungen aufgebaut werden.
Friesl: Ich denke, die Antwort auf diese Frage ist nicht trivial und aktuell auch noch nicht ganz geklärt. Ein wesentlicher Einflussfaktor war sicherlich die Verknappung der verfügbaren Erdölmenge durch die Entscheidung vieler Länder, kein russisches Öl zu kaufen. Gleichzeitig hielt die OPEC an den bestehenden Fördermengen fest. Den Medien konnten wir in den letzten Tagen entnehmen, dass die Rolle der Mineralölkonzerne untersucht werden soll.