Es gibt Menschen, die haben während der Feiertage richtig viel zu tun, weil sie ein Talent besitzen, das zu Weihnachten besonders gefragt ist. Julian Freibott aus Ebern hat solch eine Begabung. Gepaart mit Leidenschaft hat er sie im Gesangsstudium und in unzähligen Konzert- und Opernauftritten mutig zu seinem Beruf gemacht. Er ist Sänger und steht zwischen 26. Dezember und 2. Januar jeden Abend in München auf der bedeutendsten Rokoko-Opernbühne Deutschlands, dem Cuvilliés-Theater. Dennoch nimmt sich der vielbeschäftigte Künstler ein Stündchen Zeit für ein Gespräch mit der Heimatzeitung.
Am Schloss Nymphenburg, unweit der Kammeroper, treffe ich Freibott, den ehemaligen Regensburger Domspatz, der vor 25 Jahren seine ersten Töne in der Kleinstadt Ebern von sich gab. Schon in der Schulzeit heimste er Siegerpreise als Tenor beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ ein. Nach der Domspatzenzeit studierte er in Würzburg und Düsseldorf Musik und sang während der letzten drei Semester auch in Opern. Den Sprung in die Konzert- und Opernwelt hat er nun, wenige Tage nach den letzten Prüfungen, geschafft.
Gleich zu Beginn unserer Unterhaltung stellt der munter dreinblickende Franke fest: „Die große Herausforderung liegt allerdings nicht darin, unmittelbar nach oder schon während des Studiums in ein Engagement zu kommen.“ Es gelte vielmehr, als Sänger im Alltag des Kulturbetriebes die tägliche Arbeit von der eigenen Vorbereitung der Partien über zahlreiche Proben bis hin zum Auftritt bestmöglich zu bestreiten.
Dass er diesen psychisch wie physisch fordernden Berufsalltag meistern kann, habe er vor allem der umfassenden Betreuung seines Düsseldorfer Gesangslehrers Konrad Jarnot zu verdanken. „Man sollte sich als Künstler nie abschotte“, meint Freibott, doch als Mentor und Ansprechpartner außerhalb eines jeweiligen Projektteams wähle er bewusst Jarnot, den Professor aus der Studienzeit. Auch diese Erfahrung habe ihm das Studium sowie „eine Hand voll unschätzbar wertvoller Wegbegleiter“ vermittelt.
Seit Sommer 2015 ist der junge Tenor Ensemblemitglied der Kammeroper München. Zu seiner Mitwirkung in Düsseldorfer Opernproduktionen gehörte zuletzt der „Oronte“ in Händels Oper „Alcina“, eine Rolle, für die er sich körperlich intensiv vorbereiten musste. Äußerst agiles Schauspiel und ruhiger Gesang war gefragt, den „Mittelweg“ habe er im täglichen Proben gefunden. Wochenlang habe er trainiert, um rückwärtige Purzelbäume und Riesensprünge auf einer steilen Bühne nach Vorgabe der Regie vollführen zu können. Gleichzeitig komme es ihm darauf an, den eigenen Musikansprüchen gerecht zu werden. Zudem ist der „Heerführer Oronte“ ein ziemlich fieser Typ. Wie das gehe, wenn man selbst doch so ein netter Mensch ist, frage ich und bekomme zur Antwort: „Für persönliche Befindlichkeiten ist in der professionellen Arbeit kein Platz.“
Innere Ruhe und kontrollierte Leidenschaft seien „für das tägliche Überleben an der Bühne“ wichtiger als jugendliche Impulsivität und Überschwang. „Auch wenn das paradox erscheint“, sagt er, „ist es eine Haltung, die dem Sänger erst der Alltag am Theater lehrt.“ Im Ensemble der Münchner Kammeroper muss Freibott nicht fies sein. Hier singt er die Partie des einfältigen Edelmannes „Polidoro“ in der Oper „La finta semplice“, einem Frühwerk Mozarts.
„In der furios verdichteten Version in deutscher Sprache von Dominik Wilgenbus wird der Edelmann zur nymphomanen jungen Dame“, erklärt Freibott. In seiner Interpretation jedoch, „ganz ohne tuntig zu werden.“ Die Presse der Landeshauptstadt berichtet, dass Mozarts „La finta semplice“ ein mitreißend und fantasievoll inszeniertes Stück sei und „alle Sänger fantastische Schauspieler sind.“ Freibott aus Ebern ist einer von ihnen.
Auch außerhalb Deutschlands tritt der Eberner Tenor mit seiner strahlenden Stimme in Erscheinung. Beim Richard-Strauss-Wettbewerb der Salzburger Sommerakademie hat er einen Musikpreis gewonnen. Seine Liederabende mit namhaften Pianisten, bei denen er sich wie in der Oper gleichermaßen als Sänger und als Darsteller versteht, seien Balsam für seine Stimme - „und noch mehr für die Seele“, setzt er schwelgerisch hinzu. „Es gibt zwar stilistische und technische Unterschiede zwischen den Gattungen Oper, Lied und Oratorium“, räumt der Künstler ein, „doch der Zuschauer möchte immer eine glaubhafte Figur mit einer echten Persönlichkeit auf der Bühne sehen, ganz gleich ob beim Liederabend oder in der großen Gala.“ Von Kritikern attestierte technische Fähigkeiten oder die sichere Höhe wären „nichts wert, wenn mir der Zuschauer kein Wort glaubt“, meint Freibott lachend. Etwas ernster fügt er hinzu: „Auf der Bühne ist mir Wahrhaftigkeit wichtiger als Perfektion.“
Inmitten all dieser Anforderungen und Erkenntnisse kam ihm im November ein Abstecher nach Kanada gerade recht, wohin er als Gastkünstler des Gesangförderprogramms „Jeunes Ambassadeurs lyriques 2015“ nach Montréal eingeladen war. Als Gast aus Bayern erhielt er die Chance, auf drei verschiedenen Bühnen aufzutreten. Krönender Abschluss war ein Galakonzert in Montréal, wobei dem Tenor Freibott aus Deutschland die Auszeichnung „Best Foreign Artist“ zuerkannt wurde. Außerdem erhielt er das Angebot eines Gastengagements 2016 in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt. Unter anderem steht eine Rolle in der modernen Ein-Akt Oper „Gutenberg“ von Volker David Kirchner, die dort am 24. März zur Uraufführung kommt, in Aussicht.
Es gibt also viel zu tun für den jungen Opernsänger. Zwischen dem Studium der Gesangspartien und den Auftritten geht es von Vorsingen zu Vorsingen. Ständiges Vorstellen an Theatern soll helfen, ins Gespräch zu kommen. Auch Glück gehöre dazu. „Im richtigen Moment mit offenem Herz und Verstand den richtigen Leuten zu begegnen", das sei trotzdem wichtiger als manches geplante Vorstellungsgespräch. Wilgenbus in München sei beispielsweise so eine Begegnung gewesen. „In der Zusammenarbeit mit ihm habe ich meine lehrreichsten Gespräche über die Oper und die glücklichsten Theatermomente erlebt.“
Es ist zu spüren, dass sich der Tenor aus Ebern in München wohl fühlt. „In Ebern gibt es nun mal leider nicht viel zu tun für einen Berufssänger“, sagt er mit Blick auf das heimische Autokennzeichen. Dass „hier die Alpen um die Ecke“ sind, sei ein kleiner Trost für ihn, den „Wanderwütigen“ in der lebhaften Stadt. „Das Schönste an München ist halt doch die A9 nach Franken“ witzelt er. „Ich freue mich riesig, wenn ich als Sohn und Enkel in mein Ebern und die Haßberge kommen kann“, erklärt er. Am ersten Weihnachtsfeiertag unterstützt Freibott das Vokalensemble unter der Leitung von Wolfgang Schneider während des Gottesdienstes in St. Laurentius. Das ist fast schon Tradition. Umso mehr bedauert er es, dass wegen seiner Verpflichtungen an der Kammeroper in diesem Sommer erstmals seit 2011 sein Eberner Benefizkonzert ausfallen musste.
Auf die Frage, wohin ihn seine Karriereleiter führen soll, winkt Freibott ab: „Karriere ist das, was man rückblickend hatte, und nicht das, was noch kommt.“ Auch die Frage nach dem richtigen Gesangsfach ist für den vielseitigen Franken vorerst unwichtig. Ob als Heldentenor, lyrisch oder herrisch, albern, ernst oder modern, von Freibott wird in jedem Falle noch zu hören sein – nicht nur in Ebern.