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HASSBERGKREIS
Vom chinesischen Reissack zur Resolution
CSU-Parteitag       -  Wer an TTIP denkt, hat in der Regel diese Bilder im Kopf: Menschen protestieren entschieden gegen das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Im Kreistag warb nun Ifo-Experte Prof. Gabriel Felbermayr für Vertrauen in das Verhandlungsgeschick der EU.
Foto: DPA | Wer an TTIP denkt, hat in der Regel diese Bilder im Kopf: Menschen protestieren entschieden gegen das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Im Kreistag warb nun Ifo-Experte Prof.
Von unserem Redaktionsmitglied Martin Sage
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:18 Uhr

Für Kreisrat Otto Kirchner (Königsberg, CSU) war es ein dreiviertelstündiger „Weltverbesserungskongress“, der die EU–Kommission nicht mehr interessieren werde als wenn in China der berühmte Reissack umfällt. Dennoch befasste sich der Kreistag Haßberge am Montag mit dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP. Und am Ende der Debatte war sich das Gremium mehrheitlich einig, dass man in Erwägung ziehen wird, sich der Resolution der bayerischen kommunalen Spitzenverbände zu TTIP anzuschließen. Nur will man sich vorher noch einmal schlau machen, was Städte- und Gemeindetag genau schreiben. TTIP steht für das englische „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, übersetzt: Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft.

ÖDP, die Grünen und die Linke hatten die Behandlung des Themas gefordert, aber auch aus allen anderen Fraktionen seien ihm Anfragen zu speziellen TTIP-Themen vorgelegen, sagte Landrat Wilhelm Schneider (CSU) zu Beginn. Das Abkommen im Kreistag zu behandeln sei aber schwierig, so Schneider, weil noch nichts Endgültiges entschieden sei. Da fehlen die konkreten Ansätze. Aber der Landrat hatte einen hochkarätigen Gast zur Aufklärung gebeten, Professor Gabriel Felbermayr, Leiter des Zentrums für Außenwirtschaft am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, besser bekannt unter der Abkürzung Ifo-Institut.

Doch der Wirtschaftswissenschaftler, der in persönlichen Kontakt mit den Verhandlungsführern steht, das sind auf amerikanischer Seite Dan Mullaney und auf EU-Seite Ignacio Garcia Bercero, räumte gleich am Anfang ein: „Wir wissen noch immer sehr wenig“ und schloss sich selbst mit ein: „Ich tappe in vielen Bereichen genauso im Nebel wie Sie.“ Die Kritik der mangelnden Transparenz teile er.

Zwar machte Felbermayr darauf aufmerksam, dass Positionspapiere, Resolutionen und Mandate der Obama-Administration und des EU-Parlaments inzwischen öffentlich gemacht sind und von jedermann zum Beispiel im Internet nachgelesen werden können. Doch Details sind auch hier noch nicht festgelegt. Und solange dies nicht der Fall ist, könne man auch über Wachstumsaspekte nicht spekulieren, sondern allenfalls über Potenziale reden. „Wir kennen das, was man Leitplanken nennt“, sagte Felbermayr, und diese Leitplanken stimmen den Wissenschaftler durchaus positiv: So ist Felbermayr davon überzeugt, dass die kommunale Daseinvorsorge von TTIP nicht berührt wird, wie so viele Lokalpolitiker befürchten, wenn es etwa um die Versorgung mit Wasser geht. Dies gehe aus der Resolution der Europäischen Union hervor – und er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die EU gegen diese selbst gesetzte Leitplanke verstoßen werde.

„Ich werbe bei Ihnen um Vertrauen, dass die EU gute Leitplanken gesetzt hat“, sagte der Professor im Kreistag. Aber auch er kam immer wieder zu dem Punkt zurück, dass vieles noch nicht ausverhandelt und schwer vorhersagbar sei: „Wenn wir behaupten, dass durch TTIP viele neue Jobs entstehen, dann bewegen wir uns auf dünnem Eis“. Er selbst erwarte aber, dass das Freihandelsabkommen zu sichereren und besser bezahlten Jobs in Deutschland führen werden – denn Deutschland sei Exportnation und komme schließlich auch mit den Billiglohnländern wie Rumänien oder Portugal innerhalb der EU zurecht. Es sei sowieso falsch zu glauben, die USA seien ein Billiglohnland, die Erwerbseinkommen lägen hier im Durchschnitt 30 Prozent über EU-Niveau.

Kreisrat Matthias Lewin (Knetzgau, Die Grünen) hakte nach, ob nicht NAFTA, das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Mexiko, spätestens 20 Jahre nach Vertragsabschluss gezeigt habe, dass – abgesehen von den Aktionären – die beiderseitigen Erwartungen enttäuscht worden seien: In den USA seien Hundertausende Jobs etwa in der Autoindustrie verloren gegangen, das einst blühende Detroit gehöre heute zum „Rostgürtel“ der vereinigten Staaten. Und die Arbeiter in Mexiko, wohin die Jobs gewandert seien, verdienten statt 18 Doller die Stunde wie einst ihre US-amerikanischen Kollegen nur sechs Dollar am Tag – „und das ist auch in Mexiko zu wenig zum Leben.“

Doch Kreistagskollege Otto Kirchner belehrte ihn eines Besseren: Er habe selbst ein Werk in Mexiko, erklärte der geschäftsführende Gesellschafter der Fränkischen Rohrwerke (Königsberg). „Und ich bin Zulieferer der Autoindustrie und kann versichern: Die Löhne liegen dort überall deutlich höher.“ Prof. Felbermayr wollte nicht ausschließen, dass es gerade in Mexiko viele hausgemachte Probleme gibt, deretwegen NAFTA nicht den gewünschten Erfolg gezeitigt hat.

Sabine Schmitt (Sand, Die Linke) wollte durchaus glauben, dass die öffentliche Daseinsvorsorge nicht oder nur gering von TTIP berührt wird. „Aber wir schaut es mit TiSA aus, da geht es doch ausschließlich um Dienstleistungen?“ wollte sie vom Gast aus München wissen? TiSA ist die Abkürzung für „Trade in Services Agreement“, was auf deutsch „Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ heißt. Es soll das Freihandelsabkommen mit den USA in absehbarer Zeit ergänzen. Es sei doch kaum vorstellbar, dass die EU nun bei TTIP feste Leitplanken installiere, um die öffentliche Daseinvorsorge vor privatwirtschaftlicher Konkurrenz zu schützen, und eben diese Leitplanken bei TiSA dann einfach über Bord schmeiße, antwortete Felbermayr. „Da mache ich mir keine großen Sorgen.“

Rainer Baumgärtner (ÖDP, Zeil) forderte dazu auf, sich bewusst zu machen, dass Wachstum auf der einen Seite zur Ausgrenzung auf der anderen Seite führe, wenn dieses Wachstum nicht ökologisch und sozial abgefedert sei. Er griff damit einen moralischen Aspekt von TTIP auf, denn gerade viele Entwicklungsländer befürchten, weiter ins Hintertreffen zu geraten, wenn die EU und die USA, die knapp 50 Prozent des Welthandels ausmachen, noch enger zusammenarbeiten – und maßgelblich die Standards des Welthandels bestimmen. Aber Baumgärtner machte sich auch konkret Sorgen um die Haßbergkliniken, die es als kommunale Krankenhäuser schon ohne TTIP immer schwerer hätten, gegenüber der mächtigen Konkurrenz der privaten Klinikkonzerne zu bestehen. Und Helene Rümer (Prappach) wollte wissen, wie es denn in Zusammenhang mit TTIP und der öffentlichen Daseinvorsorge um die Kommunalunternehmen bestellt ist – ob auch sie vor rein privatwirtschaftlicher Konkurrenz geschützt bleiben?

Hier musste der 39-jährige Volkswirtschaftler, der aus Steyr in Österreich stammt, passen: „Ich bin kein Jurist, die Frage kann ich nicht beantworten“ – was Landrat Schneider veranlasste in Aussicht zu stellen, als weiteren Referenten einen Rechtswissenschaftler in den Kreistag zu holen.

Jürgen Hennemann (Ebern, SPD) wollte das chinesische Reissack-Beispiel von Otto Kirchner bei TTIP und EU-Kommission nicht gelten lassen und sprach sich dafür aus, dass der Kreistag eine Resolution verfasst mit all den Befürchtungen, die es auf lokaler Ebene gibt. Das rief Kurt Sieber (Königsberg, FDP) auf den Plan, der verkündete, sich nicht an der Ausarbeitung einer Resolution zu beteiligen, weil er sich nicht anmaßen wolle, das zu können. Dem Vorschlag von Landtagsabgeordneten Steffen Vogel (Theres, CSU) wollte sich Sieber aber durchaus anschließen. Und zwar dass sich der Kreis, wie eingangs erwähnt, an die Resolution des Bayerischen Städte- und Gemeindetags anhängt.

Vogel war es auch, der daran erinnerte, dass nicht nur die Europäer Angst vor der Aufweichung wichtiger Standards etwa in der Medizin, der Lebensmitteltechnik oder Hygiene haben. „Wenn wir sagen, uns graust es vor dem berühmten Chlorhühnchen, dann sage ich nur, die Amerikaner graust es ebenso, wie bei uns Hühnerfleisch behandelt wird“, sagte Vogel und meinte damit vor alllem, dass rohes Geflügelfleisch drei oder vier Tage in Plastikfolie verpackt in deutschen Auslagen liegen darf, was in den USA wegen der Salmonellengefahr nie geschehen dürfte. „Und ich ziehe meinen Sohn jede Woche einmal durch ein Chlorbad“, ergänzte Vogel scherzhaft anhand des Beispiels Schwimmbadbesuch, dass eine Chlorbehandlung seiner Meinung nach zur Keimtötung durchaus Sinn machen kann.

Wer immer noch glaube, der Gesundheitssektor sei von TTIP betroffen, habe die Texte einfach nicht gelesen, fuhr der Landtagsabgeordnete fort. Und überhaupt, TTIP lasse ja durchaus auch Nachverhandlungen zu, wenn zum Beispiel der Bundestag nach Vertragsabschluss erkenne, dass er sich mit dem einen oder anderen Inhalt nicht einverstanden erklären könne.

Hier allerdings warf Prof. Felbermayr ein, dass Nachverhandlungen wenn überhaupt möglich so doch nur sehr schwer verwirklichbar seien. Und am Ende stellten Kreistag und Referent gewissermaßen als Symbol für die noch immer fehlende Transparenz bei den Verhandlungen fest, dass niemand genau wusste, ob die USA und die EU alleine oder ob auch noch alle Mitgliedsstaaten die Verträge ratifizieren müssen.

 
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