Der 70-jährige Alois trägt eine Flinte unterm Arm. Vor 48 Jahren, erzählt der gebürtige Österreicher im Gespräch mit dem Ehepaar Inge und Manfred Wagner aus Holzhausen, sei er nach Kanada ausgewandert. Wie jedes Jahr im Herbst geht er nun auf Elchjagd. Ein solches Tier wiegt normalerweise zwischen 600 und 700 Kilo und reicht ihm und seiner ganzen Verwandtschaft über den langen Winter. Kanada, sagt er mit leuchtenden Augen und einem verschmitzten Lächeln in den Mundwinkeln, „war und ist und bleibt mein Traumland.“
Durch dieses Traumland radelten die Wagners (beide 61) von Alaska aus über mehrere tausend Kilometer. Schneebedeckte Berge, eisige, aber schmelzende Gletscher, riesige Wälder, glasklare Seen, reißende Flüsse, tiefe Schluchten – eingebettet in eine schier endlose und unberührte Weite: Natur pur erlebten die beiden auf der Tour, für sie mehrere Wochen unterwegs waren. So muss man sich Alaska und den kanadischen Westen mit den Ausläufern der Rocky Mountains vorstellen. Eine einzige fantastische und grandiose Landschaft, in der nur wenige Menschen leben. Von daher stellten die Radler – auf gut fränkisch – schnell fest: In Kanada war „Kanner-da“.
Ausnahme: Der Bär. Obwohl man ihn eher selten zu Gesicht bekommt, kann er überall sein. Als die Radler nach über 2000 Kilometern „ihren“ ersten Bären direkt neben der Straße sahen, hielten sie den Atem an. Ein ausgewachsener Schwarzbär labte sich an Kräutern und Gräsern. Aus sicherer Entfernung zückte Manfred Wagner seine Kamera. Und dann radelten beide ganz langsam an der gegenüberliegenden Straßenseite – in gerade mal acht bis zehn Metern Entfernung! – in höchster Anspannung vorbei, Meister Petz ständig im Auge, die Bärenpfeife umgehängt und das Bärenspray griffbereit.
Eine weitere tierische Begegnung erlebten die leidenschaftlichen Radler wenige Tage später. Eine große Herde Bisons mit mehr als 100 dieser riesigen Tiere lagerte und stand beidseits sowie mitten auf der Straße. Wenn eine solche Gruppe in Panik gerät, trampelt sie alles nieder, was sich ihr in den Weg stellt. Nach kurzer Beratschlagung schoben die mutigen Pedalritter ihre Räder ganz langsam hindurch – und redeten dabei ständig beruhigend auf die Giganten ein: „Ist ja gut, wir tun euch nichts, keine Angst, ist ja gut…“ Inge Wagner wäre bei diesem Streich fast das Herz fast stehengeblieben.
Ein weiteres Highlight waren die Hot Springs, ein weitgehend naturbelassenes Wasserbecken, in das ständig schwefelhaltiges Wasser vulkanischen Ursprungs nachläuft. Das Wasser hat eine Temperatur von 42 bis 52 Grad. Inge Wagner wollte gar nicht mehr raus aus dieser großen Badewanne. Frostig waren dagegen die sternenklaren Nächte. Neben dem zum Greifen nahen Sternbild des Großen Wagens waren die Abenteurer vor allem von den Polarlichtern begeistert.
Bei dieser Tour durch die Natur beobachteten die Franken die „Big Five“ in freier Wildbahn: Elche, Karibus, Moschusochsen, Bären und Bisons. Meistens übernachteten die Wagners im Zelt, entweder auf Campingplätzen oder in der freien Natur. Dabei achteten sie sorgfältig darauf, dass sich im oder am Zelt keine Lebensmittel befanden – eine wichtige Vorsichtsmaßnahme gegen den unerwünschten Besuch von Bären in der Nacht.
Mitte Oktober wären die Radfreaks nach plötzlichem Wintereinbruch mit eisigen Temperaturen in den kanadischen Rocky Mountains fast eingeschneit worden. Zu guter Letzt gelangten sie im Fraser Canyon zum „Hell?s Gate“ – dem Tor zur Hölle. Doch die Saison war vorbei, und deshalb war auch das Höllentor mit der Seilbahn über den Canyon geschlossen. Immerhin war der Hells Gate Tunnel noch offen und die unerschrockenen Globetrotter strampelten hindurch, ohne Feuerschaden zu erleiden.