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Bamberg: Vatikan-Kenner Andreas Englisch berichtet Schaurig-schönes
'Vaticanisto' Andreas Englisch las nicht aus seinem Buch, sondern sprach frei.
Foto: Marion Krüger-Hundrup | "Vaticanisto" Andreas Englisch las nicht aus seinem Buch, sondern sprach frei.
Marion Krüger-Hundrup
 |  aktualisiert: 15.10.2021 02:35 Uhr

Schon einmal hat Andreas Englisch hellseherische Fähigkeiten bewiesen. Nämlich als der Vatikan-Korrespondent in einer Fernsehtalkshow des NDR verkündete: "Papst Benedikt XVI. wird zurücktreten." Englisch bezog nach dieser Prophezeiung verbale Prügel von allen nur denkbaren Seiten.

Selbst sein Verlag, dem er einige Bestseller verschafft hatte, distanzierte sich von ihm. Und musste Abbitte leisten, nachdem die Voraussage tatsächlich eintraf.

Möglich, dass jetzt der Hallstadter Kulturboden Kirchengeschichte der besonderen Art schreibt. Denn im Rahmen des Bamberger Literaturfestivals gab Andreas Englisch zu guter Letzt preis, wer aus seiner Sicht der nächste Papst wird: "Der Erzbischof von Manila!" Also Kardinal Luis Antonio Tagle, bis 2019 Erzbischof von Manila auf den Philippinen und seitdem Kardinalpräfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker im Vatikan.

"Fehler verzeiht der Vatikan nicht" 

Wer nun Andreas Englisch in den weitverzweigten Fluren der vatikanischen Paläste und Gärten diese sensationelle Information zugeflüstert hat, bleibt sein Geheimnis. Wie so vieles an Quellen im Verborgenen bleibt: Der stets so titulierte Vatikan-Experte schützt seine Informanten – und damit sich selbst. Denn "Fehler verzeiht der Vatikan nicht", habe er erfahren müssen.

Dafür verzieh ihm das Publikum im vollbesetzten Kulturboden, dass Englisch am Mittwochabend gar nicht – wie angekündigt – aus seinem Buch "Der Pakt gegen den Papst: Franziskus und seine Feinde im Vatikan" las. In freier Rede entfachte der Autor ein sprachliches Gewitter, dessen Donnerschläge zusammenzucken ließen. Der "Vaticanisto", wie in Italien Vatikan-Experten genannt werden, brillierte mit einem Detailwissen aus der unmittelbaren Umgebung von Papst Franziskus, so dass sich dem Zuhörer unwillkürlich die Frage aufdrängt: Was ist Wahrheit, was Fiktion? Ja, vielleicht nur Nebelkerze?

Wenn Englisch etwa den "Beginn der Revolution gegen Papst Franziskus" so schildert, als habe er nach dessen Wahl im Konklave direkt neben Zeremonienchef Guido Marini und dem neuen Pontifex gestanden und deren harschen Schlagabtausch über angemessene liturgische Gewänder für den ersten Auftritt auf dem Balkon mit eigenen Ohren gehört, so ist das sicher amüsant. So ist das ein spannendes Narrativ, aber keine sachliche Information.

Weil jetzt Schluss ist mit dem Geprotze

Wollte jemand an diesem Abend in Hallstadt überhaupt eine nüchterne Analyse der krisengeschüttelten Kirche hören? Andreas Englisch registrierte mit seinem feinen Gespür für Stimmungen und Strömungen, wie es um seine Zuhörer bestellt war. Begierig sogen sie auf, was der Erzähler Englisch an hartem Tobak auftischte. "Es herrscht Krieg im Vatikan!"

Weil "dieser eigenartige Mann aus Argentinien alles neu macht und zeigt, dass in dem Laden Vatikan Schluss ist mit dem Geprotze!" Erzkonservative Kardinäle und mächtige Gegner aus dem inneren Zirkel der Kurie fühlten sich in ihren Privilegien von Franziskus bedroht.

Andreas Englisch: "Papst Franziskus spaltet die Kirche, weil er über die Armen redet, weil er eine verbeulte Kirche will, die an die Ränder geht!" Franziskus' Feinde hätten deswegen einen Pakt geschmiedet, der nur ein Ziel habe: "Den Papst zum Rücktritt zu zwingen". Und den Papa emeritus Benedikt XVI. alias Joseph Ratzinger als einzig wahren Stellvertreter Christi auf Erden zu reaktivieren.

Ob Ratzinger dies denn anstrebe, wollte jemand aus dem Publikum wissen. "Der ist nur noch eine Marionette gewisser Kreise", entgegnete Englisch und sprach sogar von "Krieg und Hass zwischen den beiden Päpsten".  Zumal Franziskus durch gewisse Personalentscheidungen, die Ratzinger düpiert hätten, eine eiserne Regel gebrochen habe.

Nämlich die, dass "ein Papst niemals seinen Vorgänger kritisiert und vielmehr immer und zu allen Zeiten bestätigt, dass sein Vorgänger in unendlicher Weisheit und von Gott geleitet absolut alles richtig gemacht hat".

Kein innerkirchliches Thema ausgelassen

Andreas Englisch ließ kein innerkirchliches Thema aus, das Gläubige wie Kirchenhasser interessenhalber eint: Die einen aus Sorge um die Zukunft der Kirche, die anderen aus genüsslicher Bestätigung ihrer Urteile über diese Institution. Abendmahlgemeinschaft und Amazonassynode. Wiederverheiratete Geschiedene und Homosexuelle. Stockende Kurienreform und Umgang mit Missbrauch. Frauen in der Kirche und Kirchenaustritte. Und topaktuell natürlich der Strafprozess im Finanzskandal rund um Kardinal Giovanni Angelo Becciu, in dem infolge einer Rechtsanpassung durch Papst Franziskus jetzt erstmals ein Kardinal auf der Anklagebank sitzt.

"Vaticanisto" Englisch fasste jeweils schlaglichtartig die Position des amtierenden Papstes zusammen. Und zeichnete dabei das Bild "eines Monarchen, der nicht mehr König sein will und die Revolution von oben anzettelt". Der den Ortskirchen Freiheiten lässt aus Barmherzigkeit und Liebe zu den Menschen. Der kein Alleinherrscher ist, sondern sich mit kurialen Kräften und konservativen Kreisen arrangieren muss.

Fast geriet Andreas Englisch ins Predigen von der Kanzel Kulturboden, als er die päpstliche bedingungslose Option für die Armen, Schwachen, Stimmlosen in eigene Worte fasste. Seine Hallstadter Gemeinde applaudierte tosend.

Paul, Pius, Benedikt und Johannes Paul

Natürlich durfte für den Wahl-Römer Englisch der Rekurs zu früheren Päpsten nicht fehlen. Vor allem nicht zu Papst Johannes Paul II., "der Franziskus sehr ähnlich war", auch wenn er den großen Fehler begangen habe, "den Missbrauch noch unter den Teppich zu kehren". Geschichtenerzähler Englisch landete beim "bestürzenden Kurs Ratzingers" oder noch früher bei "Pillen-Paule" Papst Paul VI. und dessen umstrittener Enzyklika "Humane vitae". Selbst Pius XII. erwähnte er noch.

Das Leben im Vatikan sei nicht schwarz-weiß, fasste Englisch zusammen, der seit 1987 in Rom lebt und drei Päpste aus nächster Nähe kennt. Bei deren Auslandsreisen saß und sitzt er oft mit im päpstlichen Flugzeug und verfolgt die fliegenden Pressekonferenzen. Im vatikanischen Pressesaal ist er akkreditiert. Trifft sich in den Cafés rund um den Petersdom mit Bischöfen und Priestern. Mit so manchem Maulwurf aus dem Vatikan.

Doch wer in den Kulturboden gekommen war, um pikante Fakten und konspirative Namen aus der Zentrale der katholischen Weltkirche zu hören, wurde letztlich enttäuscht. Einen "kurzweiligen Abend" hatten aber Klaus Stieringer und Wolfgang Heyder bei der Begrüßung zuvor versprochen. Ja, kurzweilig waren diese 90 Minuten Dauerfeuerwerk ohne Moderator allemal. Dennoch hätte eine Lesung wenigstens aus einem der hinteren Kapitel des angekündigten Buches größerer Seriosität gedient.

 
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