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KREIS HASSBERGE
Und schon wieder ein verrücktes Jahr
Zwei Wochen früher als in „normalen“ Jahren: das Getreide steht vor der Reife, im Bild beim Hofheimer Stadtteil Eichelsdorf.
Foto: Alois Wohlfahrt | Zwei Wochen früher als in „normalen“ Jahren: das Getreide steht vor der Reife, im Bild beim Hofheimer Stadtteil Eichelsdorf.
Alois Wohlfahrt
Alois Wohlfahrt
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:53 Uhr

Es ist eine schöne Tradition: Wenn sie tiefrot von den Bäumen leuchten, werden die Kirschen in Aidhausen versteigert. Wie in vielen anderen Jahren ist das auch heuer so. Obligatorisch kommt dann der Aufruf zum „Kirschen-Verstrich“ von Willi Bulheller. Nur: dass die Früchte bereits so früh zeitig sind, „das hab ich noch nie erlebt“, sagt der 81-jährige Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins Aidhausen. „Noch nie erlebt“ – das ist ein Ausdruck, der in diesem Jahr beim Blick auf die Natur längst nicht zum ersten Mal gefallen ist. Und es dürfte auch nicht das letzte Mal gewesen sein.

Nassach war früher einmal geradezu ein„Kirschen-Dorf“. Weit über den Ort hinaus wurden die roten Früchte verkauft, erinnert sich der 79-jährige Ernst Schwappach. Aber längst vorbei sind diese Zeiten. Die besten Kirschen waren die Herzkirschen. Und die waren längst nicht zu der Zeit reif, wie es auf den Bäumen in diesem Jahr ist. „Normalerweise Ende Juni“, war Erntezeit, erinnert sich der Nassacher.

Nicht wenige empfinden: es ist in Sachen Klima ein verrücktes Jahr, schon wieder ein verrücktes Jahr. Dessen Auswirkungen bekommen auch die Landwirte zu spüren. „In der Vegetation sind wir rund zwei Wochen voraus“, sagt Joachim Dömling vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Schweinfurt. Und das Bemerkenswerte dabei: „Im Frühjahr lagen wir noch drei Wochen hinterher“. Da hatte es noch einmal eine Kälteperiode mit Schnee gegeben, auf den Feldern war nichts vorwärtsgegangen.

Und was sorgte dann für den Vegetations-Schub? Die hohen Temperaturen und auch die Trockenheit, so Joachim Dömling weiter. Und so werden in den nächsten Tagen die Mähdrescher bereits auf den Wintergerstenfeldern bei der Arbeit zu sehen sein. Wenngleich er durchaus schon erlebt hat, dass Wintergerste im Juni gedroschen wurde, dann allerdings eher Ende des Monats.

Erne „höchstens Mittelmaß

Eine alte Bauernregel sagt: frühe Ernte, schlechte Ernte. Nicht uneingeschränkt stimmt dem Joachim Dömling zu. Denn das bislang verrückte Jahr hat nun mal auch für gewaltige Unterschiede beim wichtigen Faktor Niederschlag gesorgt. Es werde wohl Ortschaften geben, in denen in diesem Jahr geradezu Rekorderträge geerntet werden können und dann wieder Ortschaften, ein paar Kilometer weiter, mit vielleicht auch noch schlechten Bodenqualitäten, auf denen dann entsprechen geringe Erträge zu erwarten sind. So stark wie in diesem Jahr hat er die Unterschiede selten erlebt, so Joachim Dömling weiter. Insgesamt rechnet er damit, dass die Getreideernte wohl „höchstens Mittelmaß“ werde.

Und wenn das Wetter die nächsten Tage trocken und heiß weitergehen werde, dann könnte es durchaus sein, dass die Wintergerste gar noch das Beste war, weil dem Weizen, der sich gerade im Reifeprozess befindet, die Trockenheit noch mehr schadet. So habe es aus dem Norden Deutschlands inzwischen bereits „katastrophale Nachrichten“ gegeben, berichtet Dömling weiter. Dort habe inzwischen gar schon die Rapsernte begonnen. Ein Regen würde manchen Weizenfeldern in der Region zumindest insofern noch helfen, dass die Körner besser ausgebildet werden.

Gewinner in diesem Jahr gibt es auf den Feldern allerdings auch. Und dies sind der Mais und die Zuckerrüben, so Dömling. Die meisten Flächen mit diesen Früchten „machen Spaß“. Der Grund: beide Früchte brauchen erst einmal wenig Wasser und lieben Wärme. „Der Mais mag dieses Wetter“, so der Fachmann vom Amt.

Und auch bei Früchten, die ein wenig höher hängen, lautet die Zwischenbilanz: auch wenn ihre Entwicklung rund zwei Wochen voraus ist, gibt es keine negativen Auswirkungen, so Obstbauer Alois Endres aus dem Knetzgauer Ortsteil Zell. Äpfel und Birnen haben derzeit einen Umfang, wie sie ihn sonst erst Anfang Juli hätten. Zur guten Entwicklung hat dazu beigetragen, dass es immer wieder einen „schönen Landregen“ gegeben hat, die Bäume haben eine „gute Wasserversorgung“. Nach jetzigem Stand erwartet er eine „normale Ernte“, allerdings wohl 14 Tage früher.

Und dies kam in den vergangenen Jahren immer öfter vor. Zwei Gründe gibt es dafür seiner Einschätzung nach: eine vermehrte Aktivität der Sonne und auch der vom Menschen verursachte Klimawandel. Allerdings, so Endres: auch in den 1960er Jahren habe es bereits extrem heiße Tage gegeben, so seine Erinnerung an diese Zeit.

Nicht nur bei wirtschaftlich genutzten Pflanzen ist deutlich spürbar, dass der Sommer seiner gewohnten Zeit voraus ist, sondern selbst am Wegrand wird dies deutlich. Etwa an der derzeit schön blau blühenden Wegwarte. Schon seit rund einer Woche blüht sie, berichtet Diplombiologe Otto Elsner (Rottenstein). Dabei beginnt das eigentliche Zeitfenster für die Blüte der Wegwarte etwa ab Mitte Juli. Rund vier Wochen ist sie heuer früher dran. Es war durchgehend warm, dann entwickeln sich die Pflanzen einfach schneller, und diese Entwicklung wurde in diesem Jahr auch nicht durch die Eisheiligen gebremst. „Es ist ein außerordentliches Jahr“, so Elsner.

Frühe Schmetterlinge

Und das zeigt sich auch in der Tierwelt: etliche Schmetterlingsarten sind jetzt schon unterwegs, die normalerweise erst im Hochsommer zu sehen sind, so etwa der Kaisermantel oder der Schachbrettfalter.

Dass auch die Tierwelt auf Vegetationsentwicklung der vergangenen Wochen reagiert hat, bestätigt auch Dietmar Will, Diplombiologe, der sich eingehend mit Ornithologie beschäftigt. Bemerkenswertes hat er am Haßfurter Himmel vor wenigen Tagen beobachtet: Scharen von Staren, die sich so bewegten, wie es in Bildern aus Großstädten immer wieder zu sehen ist. Eine Erscheinung, die sonst eher im Frühherbst zu beobachten ist. Warum sich die Stare jetzt schon so zusammentun? „Sie sind bereits mit ihrer Reproduktion fertig“, die Nachwuchsaufzucht ist weit fortgeschritten. Die Familienverbände mit den Jungvögeln rotten sich bereits zusammen.

Und was Will ebenfalls aufgefallen ist: noch immer ist frühmorgens das Konzert der Vögel, der Amseln etwa, zu hören. Amseln haben inzwischen bereits die zweite Brut. Und für den Nachwuchs stehen die Chancen gut, denn es gibt Nahrung ohne Ende.

Eigentlich ein Farbtupfer des Hochsommers, aber er tritt in großer Zahl bereits jetzt auf: der Kaisermantel.
Foto: Alois Wohlfahrt | Eigentlich ein Farbtupfer des Hochsommers, aber er tritt in großer Zahl bereits jetzt auf: der Kaisermantel.
Ein ähnliches Schauspiel wie auf diesem Symbolbild bekamen vor wenigen Tagen auch Einwohner Haßfurts zu sehen: Tausende Stare bei ihrem gemeinsamen beeindruckenden Flug.
Foto: Brigitte Umkehr | Ein ähnliches Schauspiel wie auf diesem Symbolbild bekamen vor wenigen Tagen auch Einwohner Haßfurts zu sehen: Tausende Stare bei ihrem gemeinsamen beeindruckenden Flug.
Ebenfalls eigentlich eine Botin des Hochsommers: die Wegwarte. Aber derzeit steht sie schon in voller Blüte.
Foto: Alois Wohlfahrt | Ebenfalls eigentlich eine Botin des Hochsommers: die Wegwarte. Aber derzeit steht sie schon in voller Blüte.
 
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