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HAßFURT
Und das Mieder glatt und eng
Von unserer Mitarbeiterin Sabine Meissner
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:21 Uhr

„Was ziehe ich nur an?“ Die Frage ist wohl eine der meist gestellten, auch wenn sie oft nur rhetorischer Natur ist. Fein raus ist, wer auf eine Kleiderordnung oder einen Dresscode, wie es heutzutage heißt, zurückgreifen kann. Auch Uniformträgern bleibt die Frage nach der täglichen Bekleidung erspart. Menschen, die ihre Verbundenheit zur geliebten Heimat in ihrem Äußeren zum Ausdruck bringen möchten, können das am besten mit einer Tracht tun.

Für den Haßbergkreis existiert keine spezielle Tracht – noch nicht! Renate Ortloff hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine ebensolche zu kreieren und ihr den behördlichen Segen erteilen zu lassen. Ortloff ist seit 2008 beim Landratsamt tätig und dort seit knapp einem Jahr in der Kreisentwicklung Kultur eingesetzt. Nach ihrem Verständnis gehört zu einer Heimatverbundenheit auch, dass die Menschen äußerlich sichtbar machen, woher sie kommen und wohin sie gerne gehören.

Nach einem Aufruf an die Bevölkerung, ihr bei der Entwicklung der Tracht mit Informationen zur Seite zu stehen, „haben sich viele Informanten und etwa 40 Interessierte aus dem gesamten Landkreis Haßberge für das Nähen der neuen Haßbergtracht gemeldet“, erzählt Ortloff. Einige hätten kundgetan, dass sie die Tracht, wenn es dann mal eine geben sollte, selber nähen möchten, andere lieber eine fertige geschneidert bekommen wollen. Alle seien sich einig, dass die gefundenen Gemeinsamkeiten aus alten Vorlagen der früheren Landkreise Haßfurt, Hofheim und Ebern als feste Elemente in die neue Haßbergtracht einfließen müssten.

„Die ehemaligen Landkreise Ebern, Haßfurt und Hofheim haben sich schon 1972 bei der Namensfindung des neuen Landkreises an bestimmte Vorgaben gehalten“, erläutert Ortloff. Die Vielfalt der ländlichen Region und der Begriff für Heimat, für die Region aus der man stammt und mit der man sich identifiziert, sollte wiedergegeben werden. „So entstand „Haßbergkreis“, stellt sie fest. Das Wappen des neuen Landkreises sei nach bereits vorhandenen Vorgaben gestaltet worden, indem die drei Wappenmotive aus den früheren Landkreiswappen entnommen wurden. Allen gemeinsam sei der fränkische Rechen. Der Bamberger Löwe war Bestandteil der Landkreiswappen Ebern und Haßfurt, und der sächsische Rautenkranz war im Wappen des früheren Landkreises Hofheim vertreten", erläutert Ortloff.

Der Anspruch, Spezifisches zu erhalten und dabei Neues zu gestalten, habe bereits damals gegolten. „Und wenn wir heute, nach 43 Jahren, eine gemeinsame Tracht entwerfen", meint Renate Ortloff, „dann sollen genau diese Ansprüche wieder zugrunde gelegt werden.“

Bei ihrer Suche nach der typischen Tracht für die heimische Gegend sei ihr wiederholt gesagt worden, unsere Region sei keine Trachtenregion gewesen. Es sei gar nichts Spezielles zu finden, hätten viele gemeint, und außerdem sei zu berücksichtigen, dass eine Tracht, so wie Mode generell, dem wechselnden Zeitgeschmack unterliege. Durch Hochzeiten und Umzüge würden bestimmte Kleidungsstücke und Schnitte übernommen und dadurch sozusagen wandern. „Trotzdem bin ich bei meinen vielen Gesprächen fündig geworden“, freut sich Ortloff, „es gibt tatsächlich nachweisbare identische Erkennungsmerkmale, die bei noch existierenden Trachten zu finden waren.“

Als typische Merkmale habe sie herausgefunden, dass es einen Rock und ein Mieder gab, das Mieder glatt und eng und der Rock gestiftelt war. Über den Bauch hatte der Rock ein bis zwei Kellerfalten. Darüber kam die Schürze mit Volant im unteren Bereich aus dem gleichen Stoff. Die Schürzenbänder wurden nicht gebunden, sondern eingehakt. Die Bluse hatte Stehkragen und enge oder zusammengebundene Ärmel sowie Spitzenverzierung. Die Künstlerin Janna Liebender-Folz hat nach diesen Recherchen eine Tracht gezeichnet, die Renate Ortloffs Vorstellungen für die Haßbergtracht sehr nahe kommt.

Zu den Feinheiten, beispielsweise ob der Stoff gestreift oder kariert ist, „sollen die Leute mitreden können“, meint Ortloff. Jeder, der Interesse hat und mitmachen möchte, solle sich bitte bei Renate Ortloff melden. Eine der Befürworterinnen ist Helga Baetz aus Untermerzbach. Die 69-Jährige berichtet der Heimatzeitung, sie habe sich bei Renate Ortloff gemeldet, weil ihr die Idee sehr gefalle. „Schon seit meiner Kindheit bin ich zum Trachttragen durch meine Mutter angehalten worden“, erzählt sie. Damals hätte sie am Ammersee gelebt und sei bodenständig erzogen worden. Von ihrer Mutter habe sie das Schneidern einer Tracht gelernt und die Tradition gerne an ihre Tochter Iris weitergegeben. „Mit 17 habe ich schon angefangen, Dirndl und Tracht selbst zu nähen“, sagt sie.

Als Gehilfin in der Landwirtschaft, die jung geheiratet hat, habe sie sich diese Kunst hobbymäßig angeeignet, so wie andere Frauen auch. Gegenseitige Hilfe beim Nähen habe Freude gebracht und den Gemeinsinn gefördert. In den 80-er Jahren habe sie sich in Franken an Trachtenumzügen beteiligt, beispielsweise in Coburg oder Kemmern. „Wir haben alles selber genäht“, schwärmt Helga Baetz. Die Coburger Tracht sei ein schwarzes Gewand aus Mieder und Rock gewesen. „Schwarz ist typisch für die evangelischen Ecken“, erläutert sie, „anders als am Ammersee, wo alles bunt war.“ Bluse und Schürze habe man bei der Coburger Tracht frei wählen können, ebenfalls die Tücher, die farbig sein konnten. „Ich bin gespannt, was bei der Haßbergtracht heraus kommt“, äußert die enthusiastische Hobbytrachtennäherin. Sie werde auf alle Fälle „Frau Ortloff bei der Umsetzung ihrer Idee unterstützen.“ Begeistert erzählt sie „von der schönen Zeit mit Trachtenumzügen“ und zeigt Fotos, die sie sowie Mann und Tochter in schmucken Trachten zeigen.

Renate Ortloff hat neben Meinungen der Haßbergler auch Hilfe von der Trachtenberatungsstelle des Bezirks Unterfranken eingeholt. Außer fachlicher Information über die Merkmale überlieferter historischer Bekleidung erwartet sie Unterstützung durch das „Förderprogramm Tracht“ des Bezirks. Die Künstlerin Liebender-Folz hat vorab und vorerst unverbindlich zu Papier gebracht, wie die Haßbergtracht aussehen könnte. Zuerst ginge es einmal um die weibliche Tracht, und über die für die Buben, könne man dann später reden.

Kontakt: Renate Ortloff, Landratsamt Haßberge, Herrenhof 1 in Haßfurt, Tel. 09521/27 324; Email: renate.ortloff@hassberge.de

Renate Ortloff beschäftigt sich mit der Kreation einer „Haßbergtracht“, die äußerliches Zeichen der Heimatverbundenheit ihrer Trägerin sein soll. Das Foto zeigt sie an ihrem Arbeitsplatz im Landratsamt.
Foto: sme | Renate Ortloff beschäftigt sich mit der Kreation einer „Haßbergtracht“, die äußerliches Zeichen der Heimatverbundenheit ihrer Trägerin sein soll. Das Foto zeigt sie an ihrem Arbeitsplatz im Landratsamt.
An Trachtenumzüge wie hier in Kemmern erinnert sich Helga Baetz gerne. Das Foto zeigt sie mit Ehemann Ewald und Tochter Iris und Mitgliedern des Trachtenvereins Untermerzbach.
Foto: sme | An Trachtenumzüge wie hier in Kemmern erinnert sich Helga Baetz gerne. Das Foto zeigt sie mit Ehemann Ewald und Tochter Iris und Mitgliedern des Trachtenvereins Untermerzbach.
 
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