
Testballon im Klosterkeller: Das in Eichelsdorf beheimatete Künstlerduo "Pohyps und Konsorten", namentlich Maike Jansen und Stefan Ferencz, hat in den vergangenen achtzehn Monaten ein Theaterstück kreiert. In Form einer Vorpremiere konnten dreißig Gäste nun miterleben, was dabei herauskam.

Bereits die Vorankündigung ließ erahnen, dass hier ein Thema aufgegriffen wird, das in die Tiefe geht: "Spuren im Gedächtnis oder Was bleibt", sei "ein nonverbaler Szenenbogen kleiner Alltagsepisoden, in denen der Alltag zuweilen zum Rätsel wird."
Achtzig Minuten Theater, bei welchem kein einziges Wort fällt? Nicht ganz: Ferencz bekannte einleitend, dass er und seine Partnerin sich erlauben, nervös zu sein, und sich etwas Blödes ausgedacht hätten, das nicht blöd sei, sondern aus dem Herzen stamme. Ein Theater für Erwachsene, im Anschluß wäre ein Gedankenaustausch erbeten.
Damit aber waren der Worte genug gewechselt. Eine ältere Dame betrat die Bühne. Mit einem Sack in der Hand, aus welchem Sand rieselte. War es die Zeit, welche uns davon läuft? Vom ersten Moment an erzeugte die 58-jährige Jansen Spannung pur. Es herrschte Totenstille. Die Künstlerin unternahm Anstrengungen, eine Strickjacke anzuziehen, fand den Eingang zum Ärmel jedoch nicht. Ein mechanischer Wecker tickte laut. Vorsichtiges Gelächter unter den Gästen, das jedoch im Hals stecken blieb.

Hochzeitstag: Er deckt liebevoll den Tisch, gratuliert, bringt zwei Weingläser, schenkt ihr Blumen, streichelt sie. Die Gattin jedoch bekommt von alledem nichts mit. Starr sitzt sie da, regungslos lässt sie alles über sich ergehen, scheint in einer völlig anderen Welt zu sein. Er lässt nicht locker, stimmt ein herzergreifendes Liebeslied an. Und erhält Zutritt zu ihrer Seele: sie reagiert, die Szene mündet in einem Tanz. Mehr sei nicht verraten. "Zum Glück". sagte eine Besucherin später, seien auch immer wieder einmal Momente da, die die Spannung etwas lösen.
Jansen und Ferencz sind viel auf Reisen. Seit 2004 leben sie zusammen, arbeiten gemeinsam. "Mobiles Theater" ist ihr künstlerisches Zuhause. In der Eleganz ihrer Bewegungen wird erkennbar, dass sie das Genre aus dem FF beherrschen. Ob Tanz, Blick oder Gesichtsmimik, alles sitzt, alles ist durchdacht. Sie spielen Stücke, welche Menschen allen Alters in ihren Bann reißen. Ferencz geht in Krankenhäuser, als Clown bringt der 60-jährige Kinderaugen zum Leuchten.

Und nun erproben sie sich an einem solch ernsten Thema. Wann es wo zur Erstaufführung kommen wird, ist noch ungewiss. Achtzehn Monate hat es gedauert von den ersten vorsichtigen Gedanken bis zur jetzigen Reife. Noch feilen sie weiter an dem Programm, saugen Kritiken auf. In einem Punkt herrschte jedoch offensichtlich Einigkeit im Saal: Dies ist ganz großes Theater. Das Thema berührt, die Umsetzung ist herzergreifend. Tränen sind geflossen während der Vorführung, so manche schmerzliche Erinnerung wurde geweckt. Auch dankbare Gedanken kamen hoch. Jansen und Ferencz haben ein Thema ans Licht gebracht, das in vielen Menschen schlummert, gerne verdrängt wird und doch wie ein Ungeheuer an der Seele nagt. Ihnen gelang es, ohne eine einzige Silbe zu sprechen, dieses zu benennen und so einen geschützten Raum zu schaffen, der es den Anwesenden beim anschließenden Beisammensein ermöglichte, sich hierzu auszutauschen. Um dann, nachdenklich, womöglich auch erleichtert und befreit, den Heimweg anzutreten.
Unter den Gästen war Bruno Schneyer. Er leitet seit Jahrzehnten das Kino in Zeil am Main. Der 65-jährige hat in seinem Berufsleben einen scharfen Blick erworben für die hohe Kunst der Bühnengestaltung, der Wirkung gekonnt eingesetzter Beleuchtung und des optimalen Umgangs mit Spannungsbögen. Im Gespräch mit der Redaktion lobte er die Aufführung in höchsten Tönen. Es schien, als habe er für alle Anwesenden gesprochen.