Wer zufällig in Jesserndorf seinen Blick nach oben richtet, wenn die Brüder Helmut und Stefan Ungar ihre Birmingham-Roller-Tauben steigen lassen, dem bietet sich ein ungewöhnliches Schauspiel. Da unterbrechen die Tauben urplötzlich ihren Rundflug, schlagen Saltos rückwärts und purzeln mehrere Meter in die Tiefe, bevor sie ihren kreisenden Flug wieder fortsetzen.
Die Gebrüder Ungar stammen aus Mediasch in Rumänien, einer Stadt mit etwa 44.000 Einwohnern, nahe Hermannstadt in Siebenbürgen. "Wir sind Siebenbürger Sachsen", sagt der Ältere der beiden, der 67-jährige Stefan. Siebenbürger Sachsen sind eine deutschsprachige Minderheit im heutigen Rumänien, die die Reliktmundart "Siebenbürgisch-Sächsisch" sprechen. Seit 1996 wohnen die beiden mit ihren Familien in Jesserndorf und haben sich dort, zusammen mit ihrer Schwester, drei Wohnhäuser gebaut – quasi eine kleine "Siebenbürger-Siedlung."
Stefan und sein 58-jähriger Bruder Helmut, suchen an einem regnerischen Tag ihren Taubenschlag auf, der sich hinter ihren Häusern, am nordwestlichen Ortsrand, befindet. Dem Besucher bietet sich dort ein ordentlicher Anblick mit einer artgerechten Unterbringung ihrer "Kunstflugtauben" in mehreren Schlägen. Am Eingang zu den Taubenschlägen ist eine Vielzahl von Plaketten angebracht, die von Erfolgen mit ihren Kunstflugtauben künden.
Herausragend ist hier der Erfolg, der auf einer Urkunde der "Europäischen Flugroller Union" dokumentiert ist. Im Jahr 2019 erreichten sie mit ihren "Birmingham-Roller-Kit" Platz eins und wurden "Europa-Campions." Darauf sind die beiden Brüder sichtlich stolz. Aber auch von Deutschen Meisterschaften, ab dem Jahr 2016 über die Jahre bis 2021, mit vielen ersten Plätzen, zeugen Plaketten vom Erfolg der beiden Brüder mit ihren Kunstflugtauben.
"Wir hatten zu Hause in Rumänien schon immer Tauben und vor etwa zehn Jahren haben wir hier angefangen die Rasse "Birmingham-Roller" zu züchten", sagte Helmut Ungar. Sein Bruder Stefan überlegt kurz: "Derzeit dürften wir so um die 120 Tiere haben." Mitglied sind die Brüder in den Vereinen "Deutscher-Hochflug-Club" und "Deutsche Flugroller Union", wo Taubenfreunde zahlreicher Nationen organisiert sind.
Wie erreicht man solche Erfolge? Da sei Training nötig, sagen die beiden Brüder und auf einen fragenden Blick erklären sie, dass man die Tiere bei ihren Flügen, die häufig durchgeführt würden, beobachten müsse. "Das Futter spielt hier eine entscheidende Rolle", sagt Helmut Ungar und sein Bruder Stefan ergänzt, dass die Birmingham-Tauben das "Rollen" in ihren Genen hätten.
Mit jungen Tauben müsse man täglich, mit älteren zwei bis dreimal die Woche Trainingsflüge machen. Mit dem Futter könne man die Tauben "managen", erzählt Helmut Ungar. Hungrig müsse man die Tauben auf ihren Trainingsflug schicken, der manchmal so hoch nach oben führt, dass man sie nur noch als kleine Punkte erkennen kann. Im Flug zeigen sie dann ihre Kunststücke und je nachdem wie hungrig sie sind, würden sie diese schneller und öfters machen, um wieder in den Schlag zurückzukommen, um dort ihr Futter zu erhalten. Die Tiere müsse man beim Flug sehr gut beobachten, um die Besten zu selektieren.
Wie aber erkennen die Brüder die Vögel in großer Höhe? Dazu werden die Tauben an den Schwingen oder am Stoß mit Farben markiert, die sich im Sonnenlicht spiegeln und so könne man jene, die den meisten Erfolg versprechen, die am besten Rollen und die Vorgaben von Prüfungsrichtlinien erfüllen, herausfinden, erklärt Helmut Ungar.
Der regnerische Tag eignet sich nicht besonders für einen Trainingsflug? Das dürfe keine Rolle spielen, mit den Tauben müsse bei jeder Witterung trainiert werden. Dies auch deshalb, weil sich die Prüfer für einen bestimmten Tag beim heimischen Taubenschlag anmelden und da müsse geflogen werden, egal welches Wetter gerade herrsche. Deshalb lässt Helmut Ungar auch an diesem Tag bei teilweise starkem Regen, eine Gruppe von 20 Tauben aus dem Schlag.
Zunächst flattern die possierlichen Vögel von ihrem Schlag auf die "Startrampe". Nachdem sie dort erwartungsvoll sitzen, öffnet Helmut Ungar das Gitter der Abflugrampe und los geht’s. Sie steigen nach oben, kreisen mehrmals in niedriger Höhe über ihren Taubenschlag, um sich dann in mehreren Runden nach oben zu schrauben. Hier erklärt Helmut Ungar, dass sie bei Regen nicht ganz so hochsteigen, also besser zu sehen sind, als wenn sie nur noch als kleine Punkte wahrgenommen werden können.
Immer wieder purzeln oder rollen mehrere Tiere nach unten, um dann wieder ihren Flug fortzusetzen. Das geht an diesem Tag etwa eine halbe Stunde so, bis sie sich wieder langsam in tiefere Zonen begeben und schließlich auf dem Dach ihres Schlages landen. "Durch Geräusche mit einer Dose oder wenn man eine Taube in die Futterstelle setzt, kann man das Landen beschleunigen", erzählt Helmut Ungar.
Jedenfalls stürzen sich die Tauben gurrend auf das von Helmut bereit gelegte Futter im Bereich der Abflugrampe, um dann, nachdem alles aufgepickt ist und Helmut die Innenklappe der Abflugrampe geöffnet hat, wieder in ihren Schlag zurückzufliegen.
Eines machen die beiden Brüder deutlich: Man muss Spaß an der Arbeit mit den Tieren haben und viel Zeit mitbringen, um sie ordentlich versorgen und pflegen zu können. Dazu gehört auch, dass der Taubenschlag täglich gereinigt wird und die Tiere einmal, die Zuchttiere zweimal täglich, gefüttert werden. "Leider haben wir im Jahr auch viele Verluste, so 20 bis 60 pro Jahr", sagt Helmut Ungar.
Das komme daher, dass sie auf ihren Flügen öfters Greifvögeln, wie dem Habicht, dem Sperber oder Wanderfalken zum Opfer fallen. Würden die Tiere in der Luft attackiert, würden sie möglichst schnell nach oben steigen, wo die Greife mitunter nicht folgen könnten. "Einmal hat ein Habicht eine Kunstflugtaube nach ihrer Landung am Futterplatz direkt vor meinen Augen geschlagen", sagt Helmut. Hohe Verluste kämen auch daher, dass die Greifvögel nicht gleich beim ersten Jagdversuch erfolgreich sind und deshalb, bis sie eine Taube erbeutet haben, mehrere verletzen, die dann auch sterben.