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Ziege auf der Autobahn: Die Polizei hätte Mathilde fast erschossen, doch Tierschützer retteten sie gerade noch
Das vier Monate alte Jungtier hatte auf der A70 zwischen Limbach und Sand für Aufruhr gesorgt. Gibt es für die kleine Ziege ein Happy End?
Ziege Mathilde bekommt im Tierheim Besuch von Bernhardiner Teddy.
Foto: Matthias Jung | Ziege Mathilde bekommt im Tierheim Besuch von Bernhardiner Teddy.
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:16 Uhr

Mathilde steht auf einem Bett aus Stroh. Die Ziege knabbert gemächlich an den Blättern eines Weidenzweiges. Noch vor wenigen Tagen hatte das Tier für reichlich Aufruhr im Landkreis Haßberge gesorgt. Immer wieder war Mathilde auf dem Seitenstreifen der Autobahn 70 zwischen Limbach und Sand am Main gesichtet worden und hatte so die Verkehrspolizei in Atem gehalten.

Am vergangenen Freitag folgte schließlich eine aufwändige Suchaktion. Kurzzeitig sah es nach einem Einsatz mit tödlichem Ende für das vier Monate alte Jungtier aus, das den Helferinnen und Helfern immer wieder entwischte. Nun aber wartet die Ziege in einem Gehege der Tierschutzinitiative (TI) Haßberge darauf, sich schon bald einer neuen Herde anschließen zu können. 

Rehkitz-Retter im Sondereinsatz

Dass Mathilde noch lebt, hat sie vor allem zwei Menschen zu verdanken: Matthias und Yvonne Jung. Das Ehepaar gehört eigentlich dem ehrenamtlichen Team "Rehkitz-Rettung" der TI an. "Ab Mai suchen wir mit Drohne und Wärmebildkamera die Wiesen im Landkreis nach Jungtieren ab", sagt Matthias Jung. Der 43-Jährige ist zuständig für die Technik der TI, er steuert das 25.000 Euro teure Fluggerät, wenn es im Einsatz ist. "Ich bin dann als Läuferin am Boden unterwegs", erklärt Yvonne Jung, zweite Vorsitzende der TI Haßberge. Doch diesmal erwartete die erfahrenen Tierretter kein gefährdetes Rehkitz.

Matthias und Yvonne Jung: Die zwei ehrenamtlichen Tierschützer der TI Haßberge retten normalerweise Rehkitze vor Mähwerken. Nun war es eine Ziege auf der Autobahn.
Foto: Lukas Reinhardt | Matthias und Yvonne Jung: Die zwei ehrenamtlichen Tierschützer der TI Haßberge retten normalerweise Rehkitze vor Mähwerken. Nun war es eine Ziege auf der Autobahn.

Die Nachricht, dass eine offenbar herrenlose Ziege seit mehreren Tagen auf der A70 nahe ihres Heimatortes Limbach umherirrte und dann immer wieder verschwand, hatte das Paar bereits am Donnerstag erreicht. Die Planungen für den Rettungseinsatz westlich des Autobahntunnels Schwarzer Berg begannen. "Der Grünstreifen am Rande der Strecke ist begrenzt durch einen Zaun, etwa zwei Kilometer lang, 15 Meter breit und extrem dicht mit Büschen bewachsen", sagt Matthias Jung. Nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Wärmebildkamera kaum durchdringbar. Das perfekte Versteck.

"Mit der Drohne darf ich die Autobahn aus Gründen der Sicherheit normalerweise nicht überfliegen."
Matthias Jung, Tierschützer

Ein weiteres Problem: "Mit der Drohne darf ich die Autobahn aus Gründen der Sicherheit normalerweise nicht überfliegen", sagt Jung. Doch nun war Gefahr im Verzug, wegen Mathilde. Keine zwei Stunden habe es gedauert, erklärt der Tierschützer, dann sei die entsprechende Genehmigung vorhanden gewesen. Der Einsatz konnte beginnen. 

Autobahn zunächst einspurig gesperrt

In den frühen Morgenstunden des Freitags, gegen 7.30 Uhr, sperrten Mitarbeiter der Autobahnmeisterei gemeinsam mit Beamten der Verkehrspolizei die rechte Spur in Fahrtrichtung Schweinfurt. Matthias Jung stand mit zwei Funkgeräten in der Hand und einem Mobiltelefon am Ohr auf einer Autobahnbrücke unweit des Einsatzortes. Von dort aus steuerte der 43-Jährige die Drohne in der Luft – und koordinierte die Einsatzkräfte am Boden, unter ihnen auch Yvonne Jung.

Der Grünstreifen auf der rechten Seite der Autobahn nahe Sand am Main ist durch einen Zaun eingehegt. Wild kann so nicht auf die Strecke gelangen – und sich und den Verkehr gefährden.
Foto: Matthias Jung | Der Grünstreifen auf der rechten Seite der Autobahn nahe Sand am Main ist durch einen Zaun eingehegt. Wild kann so nicht auf die Strecke gelangen – und sich und den Verkehr gefährden.

Verteilt auf zwei Gruppen, die sich am Ende in der Mitte treffen sollten, durchkämmten die Helferinnen und Helfer den Grünstreifen am Rande. Für den Einsatz der Wärmebildkamera war es zu diesem Zeitpunkt schon zu spät. "Wenn die Temperaturen steigen und sich alles erhitzt, leuchtet jeder Stein", sagt Matthias Jung. Die moderne Technik fiel aus. Doch dann erspähten Yvonne Jungs Augen etwas Hellbraunes im Geäst: Mathilde. "So unverhofft, wie ich sie gesehen habe, so schnell war sie wieder weg", erzählt die 43-Jährige. Zwei Stunden vergingen, das Tier blieb verschwunden.

Überraschende Wende bei der Suche

"Die Suchaktion wurde abgebrochen", erinnert sich Yvonne Jung. Zu lange hatte der Einsatz inzwischen gedauert. Die Helferinnen und Helfer hatten zudem ein Loch im Zaun am äußeren Rand des Grünstreifens entdeckt. War die Ziege hier entwischt und nun auf der anderen, der sicheren Seite? Während die Einsatzkräfte abrückten, durchkämmte die Tierschützerin ein letztes Mal die Gegend. "Ich habe in dieser Zeit die Drohne eingepackt und gelangweilt außerhalb des Zauns am Auto auf meine Frau gewartet", erzählt Matthias Jung. "Plötzlich stand auf der anderen Seite die Ziege vor mir." Diesmal ließ der 43-Jährige das Tier nicht mehr aus den Augen.

"Ausgerechnet der Drohnenpilot und IT-Experte hat das Tier gefangen."
Yvonne Jung, Zweite Vorsitzende TI Haßberge

Der Einsatz begann von vorne: Die Polizei rückte an und sperrte die Autobahn erneut, diesmal komplett. "Die Beamten waren schussbereit", sagt Matthias Jung. Die Verkehrspolizei Schweinfurt-Werneck bestätigt das auf Nachfrage. Die Suchaktion sollte nun beendet werden, ob mit gutem oder schlechten Ausgang für Ziege Mathilde. "Die Gefahr war zu groß", sagt Matthias Jung heute. "Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn ein Auto mit einer Familie in so ein Tier rauscht." Eine Betäubung des Tieres war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, der Spezialist anderweitig im Einsatz.

Wieder verging eine Stunde, immer wieder entwischte das flinke Tier. Auf der Autobahn staute sich bereits der Verkehr. "Die Polizei gab uns noch fünf Minuten", sagt Matthias Jung. Er hatte sich inzwischen auf die andere Seite des Zaunes begeben – und lockte die offenbar hungrige Ziege schließlich mit zerriebenen Holzresten auf der Handfläche zu sich. Jung packte zu, mit Erfolg. 

Keine Ermittlungsansätze für die Polizei

"Ausgerechnet der Drohnenpilot und IT-Experte hat das Tier gefangen", scherzt Yvonne Jung heute. Wie Mathilde, die nach dem Einsatz von den Polizisten auf diesen Namen getauft wurde, auf die Autobahn gelangt ist, ist weiterhin unklar. Vonseiten der Verkehrspolizeiinspektion Schweinfurt-Werneck heißt es, dass es derzeit "keinerlei Ermittlungsansätze" gebe. Das Tier trage weder Marken im Ohr noch einen Chip im Körper. "Es wurden alle Halter im Landkreis abtelefoniert und gefragt, ob ihnen eine Ziege abhandengekommen ist", sagt Yvonne Jung. Ohne Ergebnis. 

Fleißig am Futtern: Ziege Mathilde befindet sich derzeit in Obhut der Tierschutzinitiative Haßberge in Knetzgau.
Foto: Lukas Reinhardt | Fleißig am Futtern: Ziege Mathilde befindet sich derzeit in Obhut der Tierschutzinitiative Haßberge in Knetzgau.

"So zahm wie Mathilde ist, liegt zumindest nahe, dass sie auf dem Autobahnparkplatz ausgesetzt wurde", vermutet Matthias Jung. In diesem Fall, so erklärt die Polizei, müsste wohl der Halter die Kosten für den Einsatz tragen, die bislang noch nicht abschätzbar seien.

Auch im Tierheim zeigt die kleine Ziege kaum Berührungsängste, dort hat sie inzwischen Freundschaft mit Bernhardiner Teddy geschlossen. Wie es für Mathilde weiter geht, ist offen. "Es gibt viele Interessenten, also Halter, die sie gerne in ihre Herde aufnehmen würden", erklärt Yvonne Jung. Vorher müsse das Tier aber noch auf Krankheiten und Parasiten untersucht werden.

 
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Kommentare
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  • T. F.
    Herzlichen Dank an das Ehepaar Jung.... gerade in diesen Zeiten, ist das eine Geschichte, in der mir das Herz aufgeht... alles Gute für Mathilda 🍀
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  • A. B.
    Waltzing Mat(h)ilda

    grinsen
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