Mit einer kleinen Schaufel fährt die Verkäuferin immer wieder in das Glas mit den Süßigkeiten. Vorsichtig, beinahe liebevoll, zählt sie ein Brausebonbon nach dem anderen in ein Tütchen aus Pergamentpapier. Zehn Stück für zehn Pfennig. Das kleine Mädchen trippelt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Endlich bekommt es den köstlichen Schatz von Lina Schmidt über den Tresen gereicht.
„Es war göttlich“, gerät Ulrike Hemmerlein bei der Schilderung ihrer Einkaufserlebnisse im Gemischtwarenladen Jakob Schmidt in Friesenhausen (Lkr. Haßberge) ins Schwärmen. Das ist lange her. Bis etwa 1976 führte Lina Schmidt den Laden ihrer Eltern Jakob und Babette Schmidt. Dann versank das Anwesen in den Dornröschenschlaf – bis es von Andrea Meub, die mit ihren Eltern im Nachbarhaus lebt, im Jahr 2013 erworben und zu neuem Leben erweckt wurde.
Zunächst meldete das Freilichtmuseum Fladungen Interesse an, zumal die Ladeneinrichtung samt Warenbestand noch erhalten ist. Allerdings erwiesen sich die Kosten für die Umsetzung nach Fladungen als zu hoch.
Heute ist die neue Inhaberin froh, dass das Haus samt Inhalt noch da ist. Sie hat Gefallen gefunden an Zeugnissen vergangener Zeiten. Stück für Stück säuberte sie die Einrichtung, schleppte die noch vorhandenen Waren aus dem Laden und den Lagerräumen in ihre Wohnung und reinigte sie vom Staub der Jahrzehnte. „Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu stöbern“, lacht sie. „Es war wie eine Schatzsuche.“
Mäuse suchten nach Nahrung
Nicht alles konnte gerettet werden. In den Tüten mit Farbpigmenten etwa suchten offensichtlich ganze Mäusefamilien nach Nahrung und hinterließen ihre Verunreinigungen. Doch was übrig ist, leuchtet dem Betrachter beim Öffnen in intensivem Ultramarinblau oder knalligem Zinnoberrot entgegen.
Liebevoll hat Andrea Meub den Kaufladen hergerichtet. Von gemusterten Fliegen für die Herren bis zu spitzenverzierten Miedern für die Damenwelt, von Melitta-Kaffeefiltern bis zu „naturgeschmiedeten Türken-Sensen“, von „chemisch reiner Verbandswatte“ bis zur Maggi-Würze bieten die Regale und Vitrinen einen wunderbaren Blick in die Konsumwelt vergangener Jahrzehnte.
„Mindestens dreimal täglich machten wir eine Besorgung im Nachbarsladen“, erinnert sich Andrea Meubs Mutter, Else Häpp. Da überlegte man vorher nicht lange oder schrieb gar einen Einkaufzettel. „Was gerade fehlte, wurde schnell gekauft.“ Ob Heringe, Marmelade oder Kaffee – vieles wurde aus großen Behältern in die mitgebrachten Schüsseln oder Tüten abgefüllt. Manch ein Kleid wurde aus Stoff von der „Jakobs Lina“, wie Lina Schmidt im Dorf genannt wurde, genäht, unzählige Knäuel Wolle aus ihrem Laden wurden zu Strümpfen oder Pullovern verstrickt.
Kaufladen als Rettung in letzter Sekunde
Das Befühlen der ledernen Schuhe lässt die Druckstellen und Blasen erahnen, die ihnen vermutlich geschuldet waren. Kein Geschenk für Mutters Geburtstag oder gar für den Muttertag? Der Kaufladen war oft Rettung in letzter Sekunde. „Wenn man kräftig an der Tür rumpelte, konnte man auch nach Ladenschluss oder am Sonntagmorgen noch schnell was kaufen“, erinnert sich Ulrike Hemmerlein.
Eine weitere Dienstleistung, die im Laden um die Ecke durchaus üblich war, wird der Käufer heute ebenfalls kaum mehr finden: Geld vergessen oder knapp bei Kasse? „Bei der 'Jakobs Lina' hat man auch ohne Geld etwas bekommen“, sagt Else Häpp.
Die Zeit ist längst vorbei. Am kommenden Sonntag, 19. Juni allerdings, lebt die Vergangenheit noch einmal auf. Friesenhausen feiert dann sein 1200-jähriges Bestehen mit einem bunten Markttreiben: Handwerker lassen sich etwa bei ihrer Arbeit über die Schultern blicken und bieten ihre Waren feil, es gibt Ausstellungen zur Geschichte des Ortes, das Schloss kann besichtigt werden. Und auch in den ehemaligen Gemischtwarenladen Jakob Schmidt kehrt dann wieder Leben ein. Andrea Meub öffnet die alten Türen und lässt Besucher einen Blick in die Konsumwelt vergangener Zeiten werfen.