Das Diebesgut war ein tonnenschwerer Findling, markiert mit einer großen „1“. Angeblich sollte er gegen Drüsenerkrankungen heilend wirken. Eines nachts im Sommer 1999 verschwand er aus dem Jesserndorfer Wald. Mit dem Felsen Nummer „1“ waren weitere 19 Findlinge aus dem städtischen Forst gestohlen worden. Die Diebe, teilte die zuständige Polizei Ebern damals mit, mussten sich schweren Geräts bedient haben. Und dieser eine markierte Fels, er sollte, so sagten Esoteriker zumindest, Teil eines ganzen „megalithischen Sanatoriums“ sein.
Heilkraft aus dem Fels im Wald? Die Haßberge am östlichen Rand Unterfrankens bieten viele Ausflugszielen. Ein besonderes ist der etwa zwei Kilometer langen Heilsteinpfad in Jesserndorf bei Ebern. Dort treffen Wanderer tief im Wald auf eine verträumte Landschaft von Sandsteinfelsen, denen über die Zeit hin einige Heilkräfte zugesprochen wurden. Jeder Stein soll gegen ein bestimmtes Leiden helfen. Eine Quelle mit der „Oase der Ruhe“ und eine Mariengrotte gibt es auch.
Direkt gegenüber der Ortsausfahrt von Jesserndorf in Richtung Ebern führt ein unscheinbar wirkender Feldweg in Richtung Waldrand. Dort gibt es gute Parkmöglichkeiten, eine Tafel informiert über die verschiedenen Wanderrouten. Der Pfad führt den Wanderer in einen Mischwald. Folgt man dem Wanderzeichen des Wildschweins auf dem unteren Weg, erschließt sich ein angenehmer Rundgang entlang verschiedener Felsen. Eben jene, die dem „Heilsteinpfad“ seinen Namen gegeben haben.
Wie die Felsen entstanden
In der gesamten Region nördlich der ehemaligen Kreisstadt Ebern bilden talwärts gerutschte Rhätsandsteinblöcke mehrere ausgedehnte Felsenmeere. Die Sandsteine stammen aus den Rhät-Lias-Übergangsschichten. Die zerklüfteten Felsformationen wurden im Hochmittelalter teilweise zur Anlage einiger bedeutender Felsburgen verwendet. Auf dem „Heilsteinpfad“ tragen einige Felsen verschiedene Nummern. Sie wurden von Verfechtern der „Geomantischen Heilweise“ als „Heilsteine“ auserkoren. Geomantie, damit meinen sie das Erkennen und Erspüren von guten Plätzen in der Landschaft und das Nutzen der angeblichen Kräfte der Erde. Ende des 20. Jahrhundertes entstand daraus eine Bewegung: In den nördlichen Haßbergen setzte ein regelrechter Esoterik-Tourismus ein, Heilpraktiker schickten ihre Patienten zu den Steinen in den Wald.
Der Königsberger Sonderschullehrer Oswald Tränkenschuh hatte über die wundersame Wirkung der Sandsteinfindlinge mehrere Bücher veröffentlicht. Mit dem Pendel hatte er ausgelotet, welcher Stein welche Wirkung entfaltet. Die Steine bei Jesserndorf sollen spezielle Heilkräfte für verschiedene Leiden haben. Ob Rücken, Herz oder Kopf – gegen allerhand Gebrechen soll der Energiefluss der großen Findlinge helfen.
Einige einschlägig interessierte Laienforscher entdeckten die Felsburgen der Region und interpretierten diese Anlagen in prähistorische Kultstätten von teilweise globaler Bedeutung um. Die mittelalterlichen Felsabarbeitungen und Fundamentbänke von Ruinen wie Rotenhan oder Lichtenstein wurden zahlreichen Gläubigen aus ganz Europa bei Führungen als vorgeschichtliche „Heilbänke“ oder „Schamanensitze“ präsentiert.
Stein-Diebstahl im Wald
Die Besucher richteten beträchtlichen Schaden an der Substanz der Denkmäler an, auch die Flora und Fauna um die „Kultplätze“ wurde stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Nordburg in Lichtenstein musste sogar eingezäunt werden und ist seitdem nur noch gegen Eintrittsgeld zu besichtigen. Bei Jesserndorf wurden im besagten Sommer vor 17 Jahren einige der tonnenschweren Heilsteine in der Nacht auf einen Lastwagen geladen und sind seitdem verschwunden.
Der Landkreis Haßberge entschloss sich schließlich dazu, einige besonders stark esoterisch genutzte Burgruinen wissenschaftlich durch den Archäologen Joachim Zeune erforschen zu lassen, um alle vorher entstandenen Spekulationen endgültig zu widerlegen. Die Untersuchungen erbrachten wie erwartet keinerlei Hinweise auf eine Nutzung der Felsen vor dem Mittelalter. Die ältesten aufgefundenen Artefakte stammen aus dem Hochmittelalter. Letztendlich wurde der Heilsteinpfad als Wanderweg ausgezeichnet, damit dieser trotz seiner okkulten Vergangenheit auch Naturfreunden offensteht, die sich an den ungewöhnlichen Formen der Natur erfreuen.
Rast an der „Oase der Ruhe“
In der Mitte des Rundwegs liegt ein idyllisches Fleckchen, die „Oase der Ruhe“. An einer Felsquelle stehen verschiedene Bänke, weshalb sich der Ort gut zur Rast anbietet. Dort wird der Wanderer von einer kleinen Holztafel aufgefordert, sich erst die Quelle anzuschauen und sich dann auf einer Bank am Fels niederzulassen, und seine müden Glieder auszuruhen. Gegen Ende der kleinen Tour gabelt sich der Weg und führt nach einer kurzen Abzweigung den Berg zur einer Art Felskapelle hinauf. Auf Schildern neben einer Maria-Figur steht, dass Gläubige diesen Ort „Maria-Grotte“ und „Herrgottswinkel“ getauft haben. Selbst eine Gebetsbank ist hier neben vielen Kerzen aufgebaut.