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MEMMELSDORF
Spannende Funde aus den Genisot
Das Fragment der Tora wird in einer eigenen Vitrine präsentiert. Und die steht genau an der Stelle, an der früher im Gottesdienst aus diesen Gesetzesbüchern gelesen wurde, erläutert Hansfried Nickel, Vorsitzender des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf.
Foto: Beate Dahinten | Das Fragment der Tora wird in einer eigenen Vitrine präsentiert. Und die steht genau an der Stelle, an der früher im Gottesdienst aus diesen Gesetzesbüchern gelesen wurde, erläutert Hansfried Nickel, Vorsitzender des ...
Von unserer Mitarbeiterin Beate Dahinten
 |  aktualisiert: 05.09.2012 12:02 Uhr

„Abgelegt“, so lautet der Titel einer Ausstellung über Genisa-Funde aus ganz Unterfranken in der Synagoge Memmelsdorf. Damals von den Besitzern quasi entsorgt, weil unbrauchbar geworden, sind die Stücke heute wichtige Zeugnisse jüdischen Lebens. Die Beschäftigung damit kann spannend sein – und auch sehr unterhaltsam. Das vermittelte Elisabeth Singer vom Genisa-Projekt Veitshöchheim, ein gelungener Beitrag zum Europäischen Tag der jüdischen Kultur am vergangenen Sonntag.

„Erste/zweite Betrigerei“ – nur diesen Kolumnentitel trägt das Fragment. Ein Titelblatt gibt es nicht mehr. Auch das Ende der Geschichte fehlt. Den Text aus dem Bereich der jiddischen Unterhaltungsliteratur hat Singer zum ersten Mal in der Memmelsdorfer Genisa entdeckt. Die Nachforschungen der jungen Wissenschaftlerin ergaben: Es handelt sich um eine Verwechslungskomödie nach dem Vorbild eines holländischen Theaterstücks von 1648.

In dem Fragment geht es kurz gesagt darum, dass Frauen mit Vortäuschung falscher Tatsachen versuchen, ihre Männer loszuwerden.

Der Begriff Genisa (Mehrzahl Genisot) bezeichnet eine Art Depot für Texte und Gegenstände, die nach Vorschrift der jüdischen Religion nicht zerstört werden dürfen. In den meisten Synagogen in Franken – so auch in Memmelsdorf – wurde der Dachboden für diese Zwecke genutzt. Bei Bauarbeiten oder im Zusammenhang mit dem Wechsel der Besitzverhältnisse kamen die dort abgelegten Stücke wieder zum Vorschein.

Die Funde als Informationsquellen zu erschließen, ist Sinn und Zweck des Genisa-Projekts, das 1998 am Jüdischen Kulturmuseum Veitshöchheim eingerichtet wurde. Die Ausstellung mit Exponaten aus ganz Unterfranken soll einen Einblick in die Arbeit dieses Projekts geben. Das Fragment der Tora, der Schriftrolle mit den Fünf Büchern Mose, wird aufrecht in einer eigenen Vitrine präsentiert. Und die steht genau an der Stelle der Memmelsdorfer Synagoge, an der früher im Gottesdienst aus diesen Gesetzesbüchern gelesen wurde, erläutert Hansfried Nickel, Vorsitzender des Träger- und Fördervereins. So ahnt selbst der unbedarfte Besucher etwas von der Bedeutung dieses Stücks. „Die Memmelsdorfer Tora ist eine Besonderheit“, betont denn auch Elisabeth Singer. Der Grund: „Thorarollen und -kapseln wurden in der Regel bestattet, sie finden sich nur selten in Genisot.“

Das Ablegegebot sei in der Praxis ausgeweitet worden, von liturgischen und religiösen Schriften auf alles, was in Hebräisch geschrieben war – unter anderem, weil Schrift als heilig galt – und auf „alles andere Schriftgut in vielen anderen Sprachen“: von christlicher Literatur über Schulbücher, Briefe und Gemeindedokumente bis hin zu Einkaufszetteln und Lottoscheinen – „ein sehr breit gefächertes Spektrum“.

Neben Gebetbüchern, Bibeln, Talmud und anderer hebräischer Literatur wurden in den Genisot immer auch Texte in jiddischer Sprache entdeckt. Nicht alle Juden hätten Hebräisch lesen können, erläutert Singer. Die jiddischen Werke seien aber auch inhaltlich einfacher zu verstehen. Ein Beispiel dafür aus der Memmelsdorfer Genisa: eine Ausgabe des „Sever lev tov“, bereits 1669 in Sulzbach gedruckt und deshalb auch etwas Besonderes. Das Werk gehört zur Gattung der Moralbücher, die für das Alltagsleben wichtige Religionsgesetze vermitteln sollten, und das mit einem gewissen Unterhaltungswert – damit sich die einfache Leserschaft nicht profaner Unterhaltungsliteratur zuwendet. Nichtsdestotrotz gab es jiddische Adaptionen zeitgenössischer Unterhaltungsliteratur, von Prinz Eugen etwa, Geschichten aus 1001 Nacht, den Schildbürgern oder Till Eulenspiegel.

Aber nicht nur Geschriebenes, sondern auch verschiedene Arten von Textilien wurden in einer Genisa deponiert. Anschauliche Belege dafür finden sich ebenfalls in der Ausstellung: ein Gebetsriemen, kleine Beutel für Gebetbücher, sogar ein Strumpf und Schuhe. Oft seien in Genisot einzelne Kinderschuhe zu finden, berichtet Elisabeth Singer. Warum, darüber rätseln die Fachleute noch. Sie bleibt also spannend, die Erforschung der Funde aus den Genisot.

 
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