Religiöses Symbol oder nicht? Die Frage stellt sich nicht erst bei den Kreuzen, die nach einem Erlass von Markus Söder in allen Behörden hängen sollen. Auch in der Kopftuchdebatte gibt es den Streit, ob es nun ein Zeichen religiöser Demut ist oder ein politisches Symbol für die Unterdrückung der Frau. Interessant ist, wie Muslime in verschiedenen nichtmuslimischen Staaten das Kopftuch verteidigen. Da, wo Religionsfreiheit bedeutet, dass jeder überall frei seinen Glauben praktizieren kann, bezeichnen sie es als religiöses Symbol, das geschützt werden muss. Da, wo Religionsfreiheit bedeutet, dass religiöse Symbole in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben, wird argumentiert, das Kopftuch sei ja gar kein religiöses Symbol.
Ähnlich versucht es Söder mit dem Kreuz: Er will für seine christlichen Wähler ein christliches Symbol in die Öffentlichkeit bringen, doch das kann er in einem säkularen Staat nicht offiziell sagen. Also behauptet er, in dem Fall sei das Kreuz ein Symbol für die Werte unserer Gesellschaft.
Dafür bekommt er zu Recht Gegenwind von verschiedenen Seiten. Christen sind sauer, dass der Ministerpräsident das zentrale Zeichen ihrer Religion für seinen Wahlkampf missbraucht und ihm die religiöse Bedeutung abspricht. Befürworter einer Trennung von Staat und Kirche sehen es kritisch, dass ein religiöses Symbol in staatlichen Einrichtungen hängen soll.
Tun wir mal nicht so, als wüssten wir nicht, wer der Adressat der Aktion ist. In Zeiten der Angst vor einer angeblichen Islamisierung des Abendlandes will Söder offenbar das Christentum hochhalten. So als gäbe es nur den Islam als Religion der Neuankömmlinge und nur das Christentum als Religion der Alteingesessenen. Als bayerischer Atheist, Agnostiker oder Jude kann man sich da leicht fragen: „Wo ist eigentlich mein Platz in Söders Bayern?“ Aber das ist aus Sicht des Ministerpräsidenten wohl ein Kollateralschaden.
Übrigens: Als Journalist etwas darüber zu erfahren, wie der Kreuzerlass in der eigenen Heimat umgesetzt wird, ist gar nicht so einfach. So mache Behörde will sich nicht äußern, verweist auf Pressestellen im fernen München und nach dem fünften „Augenblick, ich verbinde“ landet die Anfrage im Nirwana. Schön, dass bayerische Beamte bei diesem hochsensiblen Thema so selbstständig agieren dürfen.