
Seit Jahren nimmt die Lebenserwartung zu. Die Medizin macht große Fortschritte, die Menschen werden immer älter. Diese gute Nachricht hat jedoch Schattenseiten: Manche Krankheiten treten erst ab einem bestimmten Alter auf. Und mit der Lebenserwartung steigt auch die Zahl der Menschen, die an diesen Alterskrankheiten leiden.
Das gilt auch für Demenzerkrankungen. Seit 1994 findet jährlich am 21. September der Welt-Alzheimertag statt, der dabei helfen soll, die Öffentlichkeit auf die Situation der Betroffenen, sowie der pflegenden Angehörigen aufmerksam zu machen. „Vor 15 Jahren war das Problem noch viel weniger bekannt als heute“, sagt August Werner. Seit mittlerweile 20 Jahren ist der SPD-Politiker aus Augsfeld in der Seniorenarbeit aktiv und setzt sich in verschiedenen Gremien für eine bessere Unterstützung von Angehörigen ein. Denn hier sieht er große Defizite.
„Es sollte sein wie bei der Kindererziehungszeit“, meint er. Ähnlich wie dort solle es auch für pflegende Angehörige von Demenzkranken finanzielle Unterstützung sowie eine Anrechnung auf die Rentenversicherung geben, wenn die Pflege so aufwändig wird, dass sie keine berufliche Tätigkeit mehr zulässt. „Am Anfang war Demenz nicht mal in der Pflegeversicherung eingeschlossen“, beklagt Werner, „das hat sich mittlerweile zum Glück geändert.“
Die Situation sei aber weiterhin problematisch, da es bei Demenz im Vergleich zu körperlichen Erkrankungen ungleich schwerer sei, in eine angemessene Pflegestufe eingestuft zu werden. „Der Medizinische Dienst ist sehr penibel, das müsste großzügiger gehandhabt werden“, meint er. So berichtet er, Pflegestufe 1 werde schon abgelehnt, wenn der Betroffene noch alleine isst, selbst wenn er sich nicht mehr ohne fremde Hilfe anziehen kann.
August Werner selbst war sechs Jahre lang Pfleger eines betroffenen Angehörigen und kann daher aus eigener Erfahrung berichten: „Ich weiß, was für eine Arbeit das ist. Ein Demenzkranker hat nicht mehr die Fähigkeit, sein Leben selbst zu organisieren.“ So sagt er über den Umgang mit den Erkrankten: „Entweder man sperrt sie in der Wohnung ein, oder man muss sie den ganzen Tag beaufsichtigen.“
Doch wie sollen Menschen verfahren, wenn sie bei einem Verwandten die ersten Anzeichen einer Demenzerkrankung bemerken? „Es gibt ja Medizin, mit der man vorbeugen und es verlangsamen kann“, meint Werner, „die Angehörigen sollten also frühzeitig etwas unternehmen“. Ein Problem sei allerdings, dass viele Betroffene das Problem nicht erkennen wollen und aggressiv reagieren, wenn sie ein Angehöriger darauf anspricht. So solle man beim Versuch, jemanden zum Arztbesuch zu bewegen, sehr behutsam vorgehen, vielleicht sogar, ohne den Verdacht einer Demenz auszusprechen. „Man sollte nicht sagen: ,Bei dir stimmt's oben nicht mehr!' Sondern eher: ,Komm, wir gehen mal beide zum Arzt und lassen uns durchchecken.'“
Sorgen macht ihm auch die demographische Entwicklung. Denn es gibt immer weniger Kinder. „Die Seniorenheime werden bald weitere Einrichtungen für die Demenzkranken brauchen. Wer soll die Leute noch pflegen und die Kosten tragen?“, fragt sich August Werner.
Auch Christa Ficht kann über Erfahrungen als pflegende Angehörige berichten. „Das ganze Leben ist voll auf die Oma ausgerichtet“, sagt die 60-Jährige aus Augsfeld. Liebevoll kümmert sie sich um ihre 91 Jahre alte Mutter, die mittlerweile die Pflegestufe 2 hat. Christa Ficht weiß, wie schwierig es sein kann, in eine Pflegestufe eingestuft zu werden. Ein Problem war, dass die Betroffenen gerade bei Demenz oft starke Schwankungen im Verhalten zeigen. So gab es Dinge, die ihre Mutter an machen Tagen hinbekam, an anderen nicht. „Just als jemand da war, war sie fit“, berichtet Christa Ficht. So habe es drei Anläufe gebraucht, bis eine Einstufung in Pflegestufe 1 bewilligt wurde. „Bei Stufe 2 ging es dann aber problemlos“, berichtet sie.
Eher untypisch war in diesem Fall, dass die alte Dame selbst erkannt hatte, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung war, so dass die Krankheit relativ früh diagnostiziert wurde.
Für Christa Ficht käme es nicht in Frage, ihre Mutter in ein Heim zu stecken. „Einmal hatten wir sie für acht Tage in eine Pflegestation gegeben“, berichtet sie, „das ist jetzt sieben Jahre her. Aber das mache ich nie wieder!“ Denn in dieser kurzen Zeit habe die alte Frau so stark abgebaut, dass sie ihre eigene Tochter nicht mehr erkannte.
„Sie ist wie ein zweieinhalbjähriges Kind“, beschreibt Christa Ficht den Zustand und das Verhalten ihrer Mutter. So muss sie ihr beim Essen, Waschen und auf der Toilette helfen. Das Laufen fällt der Seniorin immer schwerer, noch kann sie allerdings kürzere Strecken gehen. Christa Ficht versucht vor allem, ihre Mutter in das Leben der Familie zu integrieren, ihr das Gefühl zu geben, dazuzugehören. Solange sie körperlich noch in der Lage war, ein Messer zu halten, durfte die alte Frau Gemüse schneiden, wenn ihre Tochter kochte. „Es war natürlich alles unterschiedlich groß und ich musste hinterher viel vom Boden aufsammeln, aber sie hatte das Gefühl, eine Aufgabe zu haben und nützlich zu sein“, erzählt Christa Ficht. Auch zum Einkaufen oder in ihr Wochenendhaus im Fichtelgebirge nimmt sie ihre demente Mutter oft mit, sowie zu Festen, Veranstaltungen und Konzerten. „Hauptsache, sie sieht was, sie nimmt was wahr.“
Besonders lobt die fürsorgliche Tochter die Angebote des Mehrgenerationenhauses, die sie rege in Anspruch nimmt. Sie dankt Dorith Böhm-Näder von der Fachstelle für pflegende Angehörige: „Die gibt sich so eine Mühe!“ Diese sieht das Problem, dass viele Menschen die zur Verfügung stehenden Angebote gar nicht nutzen. „Es gibt viel Hilfe, die aber auch angenommen werden muss“, sagt sie. „Nur wenn es den Pflegenden gut geht, kann es dem Gepflegten gut gehen“, lautet ihr Motto. Wichtig sei es, ein Hilfsnetzwerk aufzubauen und die Menschen nicht mit einem pflegebedürftigen Angehörigen alleine zu lassen. So bietet das Mehrgenerationenhaus neben Veranstaltungen auch den Helferinnenkreis, bestehend aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, die sich für zwei Stunden um Patienten kümmern können. So können sich die Angehörigen eine kleine Auszeit gönnen, denn ab einem gewissen Stadium der Krankheit ist es nötig, die Betroffenen rund um die Uhr zu betreuen: Dann kann es passieren, dass Patienten Herdplatten aufdrehen oder Dinge in den Mund nehme, die nicht essbar sind.
Außerdem bietet das Mehrgenerationenhaus des Roten Kreuzes Schulungen für Angehörige an, sowie für Geschäftsleute, die lernen sollen, wie sie mit betroffenen Kunden umgehen können. „Auch die Polizei hat bei uns eine Schulung gemacht“, berichtet Dorith Böhm-Näder. Zudem gibt es für Schulen das Programm „Alzheimer & You“, das auch Kinder an die Thematik heranführen soll.
Eine Stütze für die Angehörigen, die das Rote Kreuz im Mehrgenerationenhaus bietet, ist der offene Gesprächskreis, der einmal im Monat stattfindet. Hier können sich die Menschen austauschen und über ihre Erfahrungen sprechen. „Manchmal laden wir dazu auch Fachkräfte ein“, berichtet Böhm-Näder.
Während die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Helferinnenkreises keine Fachausbildung besitzen, setzt die Caritas auf Demenz-geschultes Personal. Die Ambulante Betreuung bietet die Möglichkeit, einen Helfer ins Haus kommen zu lassen, „damit die Angehörigen mal ein bis zwei Stunden was für sich machen können“, berichtet Pflegefachberaterin Ursula Zoth. „Schließlich müssen sich die Angehörigen oft 24 Stunden am Tag um die Leute kümmern. Das hält keiner auf Dauer aus.“
Zudem gibt es die Möglichkeit, die Tagespflege in Anspruch zu nehmen, bei der die Patienten früh abgeholt und am Abend wieder zurückgebracht werden. „Das gibt den Angehörigen einen ganzen Tag zum Ausschnaufen“, sagt Zoth. Wie die Betroffenen auf das Angebot der Tagespflege reagieren, hänge aber stark vom Einzelfall ab. „Es gibt welche, die sich total darauf freuen, die Leute dort wiederzusehen. Andere wollen das überhaupt nicht und weigern sich, in den Bus einzusteigen“, erzählt die Pflegefachkraft.
Wie August Werner weiß auch Caritas-Mitarbeiterin Zoth, dass es oft schwer ist, Betroffene von einem Arztbesuch zu überzeugen, „denn bei den Meisten wird es verleugnet, das Verständnis für die eigene Krankheit fehlt“. Dabei sei eben die Diagnose eines Facharztes oft wichtig, um Leistungen zu beantragen. „Wenn derjenige im Krankenhaus war und dort so was auffällt, sollte man auf jeden Fall den Arztbrief aufheben“, sagt sie. Als erste Anlaufstelle bei einem Verdacht nennt sie zunächst den Hausarzt.
Worauf Ursula Zoth vor allem aufmerksam machen möchte, ist, dass die Leute sich so früh wie möglich Hilfe suchen sollen. „Ich bin auch als Beratungskraft unterwegs. Leider komme ich oft erst dazu, wenn die Leute schon eingestuft sind. Die Leute wissen oft nicht, dass sie sich schon vorher an uns wenden können.“ Besonders wichtig ist ihr zudem, dass die Menschen nicht abgeschoben oder ruhig gestellt werden. „Es sind Menschen wie du und ich. Sie gehören integriert.“
Film zum Weltalzheimertag
Am Sonntag, 21. September, zeigt um 17.00 Uhr das Kino Zeil zum Weltalzheimertag den Film „Nebraska“ von Alexander Payne: Der demenzerkrankte Woody Grant fällt auf einen betrügerischen Werbeprospekt herein und macht sich mit seinem Sohn auf den Weg, um einen vermeintlichen Millionengewinn abzuholen.
Pfarrer Urs Espeel bringt den Besuchern mit einführenden Worten das Thema Alzheimer nahe. Nach der Vorführung stehen Dorith Böhm-Näder (MGH Haßfurt, Fachstelle für pflegende Angehörige) und eine Mitarbeiterin des VdK (Pflegebegleiter) zum Gespräch bereit.