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HAßBERGKREIS
Sie hat unter äußerem Druck standgehalten
Beide Preisträger wurden zur Verleihung des Menschenrechtspreises von Pro Asyl von ihren „Schützlingen“ begleitet. Das Bild zeigt (von links) Mobin Naemzade, der in der Pinneberger Synagoge Asyl bekam, Laudator Volker Jung, Preisträger Wolfgang Seibert, den Pro-Asyl-Vorsitzenden Andreas Lipsch, Preisträgerin Doris Otminghaus und Hasib Afzali, der in Haßfurt im Kirchenasyl lebte.
Foto: Peter Schmieder | Beide Preisträger wurden zur Verleihung des Menschenrechtspreises von Pro Asyl von ihren „Schützlingen“ begleitet.
Von unserem Redaktionsmitglied Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:08 Uhr

„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Mit diesem berühmt gewordenen Zitat bekräftigte Martin Luther seinerzeit, dass er sich nicht einschüchtern lasse und auch auf äußeren Druck hin seine kritischen Thesen nicht zurücknehmen würde. Heute, etwa 500 Jahre später, begründet Haßfurts evangelische Pfarrerin Doris Otminghaus mit ebendiesen Worten, warum sie gar nicht anders konnte, als Flüchtlingen, denen die Abschiebung drohte, Kirchenasyl zu gewähren – obwohl sie sich damit auch selbst nicht nur Freunde machte. Am Samstag wurde sie in Frankfurt für ihr Engagement ausgezeichnet: Die Stiftung Pro Asyl ehrte sie in diesem Jahr mit ihrem Menschenrechtspreis.

Doris Otminghaus ist eine von zwei Personen, die in diesem Jahr den Preis erhielten. Neben ihr wurde zudem Wolfgang Seibert ausgezeichnet: Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Pinneberg bei Hamburg hatte Flüchtlingen, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit, Asyl in der Synagoge gewährt. Jedoch betonten sowohl die beiden Preisträger in ihren Dankesreden als auch Kirchenpräsident Volker Jung in seiner Laudatio auf Otminghaus und Seibert, dass sie diese Leistung nicht alleine vollbracht hätten. Hinter der Pfarrerin und dem Gemeindevorsteher stünden zwei Gemeinden, die die Aktionen mitgetragen hätten.

Jung ist Kirchenpräsident der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau – vom Amt her vergleichbar mit einem evangelischen Landesbischof in Bayern. „Wir leben in einer Zeit, in der wieder verstärkt über das Kirchenasyl diskutiert wird“, sagte er in seiner Laudatio. Dass auch über das Thema gestritten werde, wertete er als schlechtes Zeichen, denn beim Kirchenasyl handle es sich oft um einen „letzten Rettungsanker in einer verzweifelten Situation“. Pfarrerin Otminghaus zitierte er mit den Worten: „Kirchenasyl ist kein Spaziergang. Es ist eher ein Kirchengefängnis.“ Denn das Asyl gilt hier nur, so lange sich der Flüchtling tatsächlich auf dem Gelände der Kirche aufhält.

Weiter ging Jung in seinen Ausführungen auf die Geschichte des Kirchenasyls ein. So habe es Asyl an heiligen Orten bereits im antiken Griechenland gegeben. Weiter zitierte er: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ Mit diesem Zitat des „Juden Jesus“ verwies er auch auf die jüdischen Wurzeln des Christentums. So flössen gerade bei dieser Thematik die christlich-jüdisch-hellenistischen Traditionen zusammen, in denen die Wurzeln des Abendlandes liegen.

„Das Kirchenasyl beansprucht kein eigenes, höheres Recht. Es stellt nicht das Gewaltmonopol des Staates in Frage“, sagte Jung. Vielmehr schaffe es einen menschenrechtlichen Schutzraum, verbunden mit der Bitte an den Staat, die Angelegenheit noch einmal zu prüfen. Großen Applaus erhielt er für die klare Aussage, Abschiebungen nach Afghanistan seien in der aktuellen Lage „nicht verantwortbar“. Weiter betonte Jung, die beiden Preisträger hätten auch erfahren, dass Kirchasyl nicht nur für die Asylanten kein Spaziergang ist, sondern auch für diejenigen, die Unterschlupf gewähren, da sie sich damit selbst in Konfliktsituationen begäben. Als „besonders irritierend“ bezeichnete er, dass nun versucht werde, „transparent durchgeführte Kirchenasylverfahren zu kriminalisieren“. So ermittelten bayerische Staatsanwaltschaften gegen Doris Otminghaus und andere Pfarrer, die Kirchenasyl gewährt hatten, wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Im Gespräch mit einigen Journalisten bekräftigte Jung am Rande der Veranstaltung, die Haßfurter Pfarrerin sei eine würdige Preisträgerin, denn sie habe „auch unter äußerem Druck standgehalten“.

„Kirchenasyl braucht Mut“, sagte Doris Otminghaus in ihrer Rede, mit der sie sich für den Preis bedankte. Dabei verwies sie auf eine Situation, in der es an vielen Stellen knistere. „Und ich komme aus Bayern. Da knistert es nicht nur, da donnert es“, spielte sie auf die besonders kritische Situation in ihrer Heimat an. Doch zum Mut, der dazugehört, Kirchenasyl zu gewähren, gehöre auch der Mut, „sich berühren zu lassen“. Denn die Menschen fassen Vertrauen und erzählen ihre Geschichten; dabei berichten sie auch von den schlimmen Erlebnissen, die sie vor oder auf der Flucht durchmachen mussten. „Es werden Menschen mit einem Namen und einem Gesicht.“ Die Hilfe in der Not sei eine „geforderte Pflicht“ von Christen, die zwangsläufig aus dem Glauben folge. „Deshalb finde ich es unverständlich, wenn wir in Bayern verfolgt werden.“ Zudem verwies sie auf Martin Luther. Neben dem bereits eingangs erwähnten Zitat sprach sie auch über eine Abhandlung, die der Reformator 1517, also vor exakt 500 Jahren, über das Thema Kirchenasyl verfasst hatte. Darin kommt er zu dem Schluss, wenn das Kirchenasyl verletzt werde, sei das eine Majestätsbeleidigung gegen Gott.

Wolfgang Seibert begründete sein Handeln mit den Worten: „Ich habe eigentlich nur das gemacht, was selbstverständlich sein sollte.“ Weiter führte er aus: „Ich habe das Richtige getan und ich würde es wieder tun.“ Derzeit ist seine Gemeinde in Pinneberg die einzige jüdische Gemeinde, die Menschen ins Synagogenasyl aufgenommen hat. Seibert brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass nun, nach der Preisverleihung, auch andere Gemeinden diesem Beispiel folgen.

Zur Bedeutung nicht nur des Kirchenasyls sondern des Asyls allgemein verwies er auf die Lehren aus der Nazi-Zeit. Demnach hätten damals viel mehr Menschen vor Verfolgung und Vernichtung gerettet werden können, „wenn auch nur ein anderer Staat Asyl gewährt hätte. Nicht nur Juden, sondern auch Sinti, Roma, Schwule, Lesben, Christen, Gewerkschafter und viele andere.“ Eine der Lehren aus den schlimmen Erfahrungen sei die Verankerung des Asyls in der deutschen Verfassung gewesen. Dass dieses nun wieder mit verschiedenen Gesetzen „ausgehöhlt“ werde, halte Seibert für verfassungswidrig. So zitierte er die alte Weisheit: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, und schloss mit einem Zitat von Hannah Arendt: „Kein Mensch hat das Recht, gehorsam zu sein.“

Doris Otminghaus kündigte im Gespräch mit der Presse an, die 5000 Euro, mit denen der Menschenrechtspreis dotiert ist, würden in die Arbeit des Vereins Matteo fließen. Diesen baut die Pfarrerin gerade mit auf, es geht dabei um Vernetzung, Beratung und Rechtshilfe rund ums Thema Flüchtlinge.

Teilerfolge haben die beiden Preisträger bereits errungen: Beide wurden auf ihrer Reise nach Frankfurt von muslimischen Flüchtlingen begleitet, die bei ihnen im Kirchenasyl waren, dieses aber mittlerweile wieder verlassen durften. Beispiele, die zeigen, dass es durchaus Fälle gibt, in denen der Staat seine Bewertung ändert.

Aus der Hand des Pro-Asyl-Vorsitzenden Andreas Lipsch (rechts) nahm Doris Otminghaus den Preis entgegen. Mit auf dem Bild: Der andere Preisträger des Jahres 2017, Wolfgang Seibert.
Foto: Peter Schmieder | Aus der Hand des Pro-Asyl-Vorsitzenden Andreas Lipsch (rechts) nahm Doris Otminghaus den Preis entgegen. Mit auf dem Bild: Der andere Preisträger des Jahres 2017, Wolfgang Seibert.
Musikalische Untermalung: Bei Pro Asyl spielte die Gruppe „Blue Mange“, bestehend aus einem syrischen und einem iranischen Musiker sowie einer deutschen Musikerin.
Foto: Peter Schmieder | Musikalische Untermalung: Bei Pro Asyl spielte die Gruppe „Blue Mange“, bestehend aus einem syrischen und einem iranischen Musiker sowie einer deutschen Musikerin.
 
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