Debatten im Stadtrat, Leserbriefe und Kommentare in der Zeitung – die Frage, ob dem im Landkreis Haßberge wohnenden Künstler Herman de Vries ein Museum in der Kreisstadt gewidmet werden soll, sorgt für kontroverse Diskussionen. Befürworter des Projekts argumentieren mit dem weltweiten Renommee des Künstlers und sprechen von einer großen Aufwertung der Stadt. Demnach könnten Kunstliebhaber, auch aus dem Ausland, als Touristen angelockt werden. Gegner des Museums bezweifeln hingegen, dass der Künstler bedeutend genug ist, um so viel internationales Publikum anzuziehen, dass die Kosten des Projekts gerechtfertigt wären. Die Heimatzeitung ging daher der Frage nach, wie Experten die Bedeutung von Herman de Vries einschätzen.
„Mich hat der Künstler auf der Kunstbiennale in Venedig 2015 sehr begeistert“, antwortet Burcu Dogramaci auf die Anfrage des Haßfurter Tagblatts. Die Kunsthistorikerin ist Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Später seien ihr die Arbeiten des Niederländers in der Galerie Preiss und im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg begegnet. „Mein Interesse an seinen Werken geht so weit, dass ich sie als Ausgangspunkt eines Proseminars am Institut für Kunstgeschichte der LMU München im kommenden Sommersemester 2017 nehme“, berichtet die Kunsthistorikerin weiter. Unter dem Titel „Über den Umgang mit Pflanzen“ werde sich das Seminar mit künstlerischen Positionen der Gegenwart beschäftigen.
Eben diesen Umgang mit Pflanzen und der Natur sehen auch andere Experten als die große Leistung von Herman de Vries. „Als bildender Künstler hat Herman de Vries nicht nur zum ökologischen Bewusstsein in der BRD beigetragen, sondern gerade auch in der Region zur Wertschätzung des Steigerwaldes als einmaligem Naturerbe Europas“, urteilt Professor Hans Dickel vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Erlangen-Nürnberg. Seiner Ansicht nach zählt Herman de Vries „zu den prägenden europäischen Künstlern der 1970er Jahre, die mit ihrer Überwindung der traditionellen Kunstgattungen (Malerei und Plastik) unsere Wahrnehmung von Natur und Kultur verändert und erweitert haben.“ Zudem betont Dickel, als Hochschullehrer sei er stolz, „vor einigen Jahren eine sehr gute Abschlussarbeit eines Studenten über Herman de Vries betreut zu haben.“
Auch der Bamberger Kunstgeschichtsprofessor Wolfgang Brassat verweist auf die Rolle, die das Thema Umweltschutz im Werk von Herman de Vries spielt und geht zudem auf die Biografie des 1931 im holländischen Alkmaar geborenen Künstlers ein. De Vries, der die Reichsgartenbauschule in Hoorn besuchte und später als Gärtner und als Mitarbeiter an einem Institut für angewandte biologische Forschung arbeitete, trete seit einiger Zeit vor allem als „ökologisch engagierter Künstler“ hervor. „Er arbeitet mit Erde, getrockneten Pflanzen, Mineralien und anderen Elementen der Natur, die er als ,Offenbarung' verstanden wissen will, und tritt für einen behutsamen, fürsorglichen, nicht ausbeuterischen Umgang mit ihr ein.“ Das Thema seiner Kunst, die „keineswegs marktschreierisch daherkommt oder auf skandalöse Provokationen setzt“, sei somit auch von allgemeinem Interesse. Das Werk des Künstlers sei „eines, das im Unterschied zu vielen Kunstrichtungen der Moderne und Postmoderne keinerlei skandalöse Dimensionen hat. Mit seiner ökologischen Dimension behandelt es ein Thema von allgemeinem Interesse und steigender Brisanz.“ So erwartet der Bamberger Professor von der öffentlichen Präsentation der Kunstwerke auch in Haßfurt einen breiten Zuspruch.
Brassat setzt de Vries zudem ins Verhältnis zu anderen großen Künstlern der Gegenwart: „Er ist sicherlich kein ,Superstar' der Kunstszene wie etwa Gerhard Richter, Jeff Koons oder Matthew Barney, aber doch ein weithin bekannter Künstler, der bereits einen festen Platz in der Kunstgeschichte eingenommen hat.“ Der Kunsthistoriker berichtet, Herman de Vries sei bereits in den 50er Jahren als Vertreter der informellen Malerei und als namhaftes Mitglied der holländischen Künstlergruppe „nul“ bekannt geworden. Zu dieser Gruppe gehören auch große Namen wie Jan Schoonhoven oder Armando.
Brassat spricht außerdem vom Purismus der monochromen weißen Malereien, den aleatorischen Verfahren der Zufallskunst von Herman de Vries, den Experimenten, mit denen er in den 70er Jahren die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst auslotete, seinen Aktivitäten im öffentlichen Raum und seiner Arbeit mit vorgefundenen Elementen. Damit, so der Professor, „operierte er immer auch auf dem Niveau avancierter Avantgarde-Kunst.“
Die Kunst von Herman de Vries wurde in der Vergangenheit in zahlreichen Ausstellungen in renommierten Museen gezeigt. Als besondere Auszeichnung für den Künstler nennen die Kunsthistoriker seinen Beitrag zur Biennale in Venedig, wo er seine Kunstwerke im niederländischen Pavillon ausstellte. Die dort gezeigten Werke setzten sich mit der Umgebung von Venedig, dem Ausstellungsgelände der Giardini und der Lagune auseinander. „Dieser vom Publikum und der Kritik sehr positiv aufgenommene Beitrag hat sein internationales Renommee noch einmal gewaltig gesteigert.“
Auch auf das besondere Verhältnis des Künstlers zum Landkreis Haßberge geht Wolfgang Brassat ein: „Ohne seine ökologische Orientierung wäre es sicherlich nicht dazu gekommen, dass es einen derart renommierten Künstler wie de Vries nach Eschenau verschlug.“ Damals habe de Vries eigentlich beabsichtigt, nach Irland auszuwandern, sei dann aber von der Schönheit der Haßberge so angetan gewesen, dass er sich 1970 hier niederließ. „Ich weiß nicht, ob jemals ein Kulturschaffender von vergleichbarer Bedeutung der Region eine solche Liebeserklärung ausgesprochen hat“, meint der Bamberger Professor. Die Möglichkeit, ihm in der Kreisstadt ein Museum einzurichten, hält Brassat für eine „einmalige Gelegenheit“. „Mit einer solchen Einrichtung würde die Stadt einen touristischen Anziehungspunkt gewinnen und sich als kulturell lebendiger Ort profilieren können“, meint Brassat. Zwar lasse sich der zu erwartende Gewinn an Attraktivität, Aufmerksamkeit und touristischen Einnahmen nur schwer prognostizieren. „Doch ich bin mir sicher, dass dies eine sinnvolle Investition wäre“, lautet sein Fazit zu dem Museum. Immerhin bekomme die Stadt die Kunstwerke geschenkt und erhalte hohe Zuschüsse zur Gebäudesanierung. Zudem erwähnt er die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Das Risiko bei dem Projekt schätzt Brassat als gering ein. „Sie würden ja nicht in einen unbekannten jungen Künstler mit ungewissem Ausgang investieren, sondern ein Geschenk annehmen eines hoch betagten Künstlers, der sich seit Jahrzehnten im Kunstsystem behauptet und sich international einen Namen gemacht hat.“
Auch die anderen Experten sprechen sich aus ähnlichen Gründen für das Museum aus. Professor Josef Kern vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Würzburg sagt, de Vries sei „ohne jeden Zweifel seit Jahrzehnten ein international anerkannter Künstler, dessen unverwechselbaren Werke in zahlreichen Ausstellungen sowie als ,Kunst im öffentlichen Raum' präsentiert wurden und werden. Ein ihm gewidmetes Museum werde „sicherlich weit über die Grenzen hinaus (besonders in den Niederlanden!) das Interesse von Kunstfreunden wecken und zur Stärkung des Tourismus beitragen.“
Auch die Münchner Professorin Burcu Dogramaci kommt zum Ergebnis, sie könne „das Ansinnen der Stadt Haßfurt, ohne es intensiver zu kennen, nur unterstützen.“
Standpunkt
Kunstgeschmack
Von Peter Schmieder
Kunst ist immer auch Geschmackssache. Gerade bei der zeitgenössischen Kunst finden sich viele Menschen, die keinen Sinn hinter den Bildern sehen. Und das ist vollkommen in Ordnung. Dennoch: Wenn ein Künstler von Weltrang in einer Region lebt, sollte sich die Region dessen bewusst sein. Aussagen wie „Ich kann damit nichts anfangen“ sind persönliche Meinungen, nicht mehr und nicht weniger. Dennoch hat man bei vielen Gegnern des Herman-de-Vries-Museums den Eindruck, ihr Hauptargument sei, dass ihnen die Kunst des Niederländers nichts sagt und sie ihn deswegen für überbewertet halten. Würden ihnen persönlich de Vries' Werke gefallen, würden manche das Museum wohl nicht mehr so sehr als „Schmarrn“ abtun, wie es jetzt von manchen Seiten in der öffentlichen Diskussion geschieht. Das heißt nicht, dass man ein solches Projekt nicht auch nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bewerten sollte. Eine Stadt muss sich immer die Frage stellen, ob sie sich eine Investition leisten kann. Aber die Frage nach dem persönlichen Geschmack sollte dabei eine geringere Rolle spielen, als sie es momentan bei manchen Haßfurtern zu tun scheint.
Sicher kommt es oft vor, dass Menschen in ihrer Heimat „hochgespielt“ werden, um jemanden zu haben, auf den die Region stolz sein kann. Dann wird beispielsweise jemand, der einmal eine kleine Zwei-Sätze-Sprechrolle im Tatort hatte, gleich als „Filmstar“ betitelt. Doch die Aussagen der Kunsthistoriker zeigt, dass Herman de Vries sicher nicht in diese Kategorie fällt. Deswegen muss man seine Kunst nicht mögen. Aber man sollte ihre Bedeutung anerkennen. De Vries ist ein weltweit anerkannter Künstler, dem Experten einen wichtigen Platz in der Kunstgeschichte zuerkennen. Dies nur aufgrund persönlicher Vorlieben nicht anzuerkennen, wäre kurzsichtig.