Kaum hat sich Luise mit ihrer Schnauze den Schnuller der Babyflasche geschnappt, saugt sie los. Wie wild trinkt sie die Milch, als ob es sie seit Tagen nichts mehr bekommen hätte. Dabei liegt ihre letzte Flasche erst zwei Stunden zurück. Jetzt schaut sie mit ihren dunklen Augen herüber. Mit einem Satz ist sie auf dem Boden und stakst mit Trippelschritten davon. Auf den Bodenfliesen bleiben zwei kleine Milchpfützen zurück.
Die Szene spielt sich im Wohnzimmer von Britta Merkel in Oberschwappach ab. Seit zwei Wochen ist die Vorsitzende der Tierschutzinitiative (TI) Haßberge Luises Ersatzmama. Der Frischling wurde als Findelkind an einer Autobahn aufgelesen und landete im Tierheim Ansbach. Dort wusste man nicht so recht mit dem damals etwa zwei Wochen alten Wildschwein-Mädchen umzugehen. Der Deutsche Tierschutzbund vermittelte Luise schließlich zur TI, weil dort bekannt war, dass Britta Merkel vergangenes Jahr bereits zwei Frischlinge aufgepäppelt und die notwendige Erfahrung darin hat.
Flasche im Stundenrhythmus
Denn so putzig Klein-Luise mit ihren Rückenstreifen, den knuffigen Ohren, dem dünnen Schwänzchen und ihrem Rüsselchen auch aussieht: Der Frischling ist ziemlich anstrengend. Tagsüber alle zwei, nachts alle drei Stunden bekommt sie ihr Fläschchen mit Ferkelaufzuchtmilch. Anfangs gab's die Flasche sogar im Stundenrhythmus – so oft würde Luise normalerweise auch an die Zitzen ihrer Mutter andocken, wenn sie noch bei ihr wäre. „Doch das hält man auf Dauer nicht aus“, sagt Britta Merkel, vor allem nicht nachts.
Wie wenig Scheu Luise vor Menschen hat, hat sie am Dienstag gezeigt, als sie im Seniorenwohnheim der Arbeiterwohlfahrt in Zeil zu Besuch war. Sie trabte durch den Raum und nahm sofort Kontakt zu den vielen fremden Menschen auf – zur Freude der Senioren, die den Frischling mehr beachteten als Dackel Findus und Hundeoma Babsi, die die TI ebenfalls mitgebracht hatte.
Natürlich ist ein solches Verhalten für ein junges Wildschwein nicht. Aber es fehlt eine Alternative. Ohne Menschenhand wäre Luise gestorben. Sie wird großgezogen, bis sie sechs Monate alt und geschlechtsreif ist. Dann soll sie in einem Wildpark unterkommen. Doch dies ist gar nicht so einfach, heißt es auf Nachfrage beim Schweinfurter Wildpark. Wildschweine haben eine fest Sozialbindung innerhalb ihrer Verbände (Rotten). Neuankömmlinge werden schlecht integriert, vor allem, wenn sie alleine kommen. Oft bleiben sie „die ärmsten Schweine im Revier“, so die Erfahrungen des Wildparks.
Den bei der TI untergekommenen Frischling in freie Wildbahn auszusetzen, das kommt nicht in Betracht. Dazu ist Luise bereits viel zu sehr auf Menschen geprägt. Selbst Dackel Findus – eigentlich ein Jagdhund – ist zum besten Spielkameraden geworden. Dies sind nicht unbedingt die notwendigen Voraussetzungen, um im Wald zu überleben.
Dort haben dem Reh- und Schwarzwild der milde Winter und das weitgehend trockene Frühjahr gut getan, berichtet Hans Stark, der vom Landratsamt Haßberge ernannte Jagdberater. Der Tierbestand werde aber nicht über Gebühr ansteigen, wenn die Jäger aufpassen – sprich mehr Wild schießen. Ein Auf und Ab im Bestand „gibt es immer“.
Kein Frost, viel Futter
Manfred Husslein, am Landratsamt in Haßfurt Ansprechpartner für das Jagdrecht, bestätigt: Der quasi frostfreie Winter plus das gute Futterangebot hat das Wild vermehrungsfreudig gestimmt. Obwohl auch er sagt, dass generelle Rückschlüsse von gutem Wetter auf eine gute Entwicklung von Tierbeständen unseriös sind. Entscheidend sei immer das Wetter zu den von Art zu Art unterschiedlichen Zeitpunkten der Brunft und Brut. Einige feucht-kalte Tage in einem trockenen und warmen Frühjahr können sich da auf bestimmte Tierarten negative auswirken.
Den Vorsprung, den die Vegetation in diesem Jahr gegenüber den vergangenen Jahren mit länger anhaltenden Wintern hat, schätzt Hans Stark auf drei Wochen. Dass der reich gedeckte Tisch in Wald und Flur nicht nur Vorteile für Tiere hat, darauf weist der Landesverband Bayern im Deutschen Tierschutzbund hin. Die ungewohnt frühe Mahd und Ernte auf Wiesen und Feldern gefährde besonders Hasen und Rehe, die ihre Jungtiere dort verstecken. Auch Gelege brütender Vögel sind gefährdet. Landwirte müssten deshalb besonders vorsichtig sein und nach Tieren suchen, bevor sie mit ihren Maschinen aufs Feld fahren.