Wenn Petra Scholl mit ihrem Hund Rusty das Hospiz- und Palliativzentrum der Sozialstiftung Bamberg betritt, dann schlagen viele Patientenherzen höher. So auch das von Gustav Kellermann. Als das Besuchshunde-Team ins Zimmer 9 kommt, sitzt der ältere Herr gebeugt am Tisch, vor sich eine Grußkarte. Rusty bringt schnell Leben in den Raum. Der weiß-blonde Mischling springt am Tisch hoch und nimmt vorsichtig das Leckerli zwischen die Zähne, das ihm Gustav Kellermann entgegenstreckt.
Die Gesichtszüge des Patienten wirken schnell entspannter. Ein großer Erfolg für einen Menschen, der mit seiner unheilbaren Krankheit nun dort ist, wo die medizinische Behandlung nicht mehr heilt, sondern nur noch Schmerzen lindert. Er redet mit dem Tier, fragt den Vierbeiner augenzwinkernd, ob er schon für den Arbeiter-Samariter-Bund arbeite. In der Tat tut das Rusty schon seit fast zwei Jahren. Kellermanns Blick fällt auf die Weinflasche neben ihm. „Dem müssen Sie ein bisschen Wein geben, die Leckerlis sind sonst viel zu trocken“, sagt er scherzhaft zu Petra Scholl. Während Rusty die eine oder andere drollige Drehung macht, erinnert sich Gustav Kellermann an seinen eigenen Hund zurück. „Ich hatte einen ausgesprochen schönen Schäferhund. Der hat den Schnee geliebt“, erzählt er. Und an Rusty gewandt: „Ich mag den Schnee auch. Da können wir eine schöne Tour machen.“ Der Besuch des Vierbeiners scheint ihm gut zu tun.
Nach einer Weile legt sich der fünf Jahre alte Rüde etwas abseits auf den Boden. Sein Blick wandert zum Frauchen. Petra Scholl hat das Signal verstanden. Zeit zu gehen. Dass Rusty den Patienten ein zweites Mal sehen wird, ist leider unwahrscheinlich. Petra Scholl, die einmal im Monat hierher kommt, hat bisher nur einen Patienten zwei Mal gesehen. Laut Dr. Jörg Cuno, Leitender Arzt der Palliativstation, beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer nur acht bis neun Tage. Die Station ist für die Patienten die letzte in ihrem Leben.
„Ein Geschenk“
Rusty und die anderen Hunde sind nicht nur bei den Patienten gern gesehene Gäste. Die ganze Belegschaft freut sich, wenn Petra Scholl einmal im Monat mit ihrem Vierbeiner vorbeischaut. Dr. Cuno bringt es auf den Punkt: „Der Besuchshundedienst ist ein Geschenk für uns. Er nimmt uns für einen kurzen Moment aus der Verantwortung.“ Genauso wohltuend sei es auch für die Angehörigen. „Der Besuchshundedienst tut uns und der ganzen Station gut“, betont der Arzt.
Seit zwei Jahren kommen Petra Scholl und Rusty monatlich zu Besuch. Die Ehrenamtliche ließ ihren Hund beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) eigens für den Begleithundedienst ausbilden. Von allen 28 Hundeteams gehört sie zu denjenigen zwei, die unter anderem die Palliativstation aufsuchen. Bis vor wenigen Wochen ging sie immer gemeinsam mit ihrer Kollegin Karin Fenzl zu den Patienten, doch starb deren Labrador an Altersschwäche.
Sie unterstützten sich stets gegenseitig, tauschten sich beim anschließenden Spaziergang über das Erlebte aus. Nun bereitet sich ein neues Besuchshundeteam allmählich auf die Arbeit im Palliativzentrum vor.
Bisher war die 51-Jährige noch kein Mal an den Punkt gelangt, an dem sie sich gesagt hätte: „Jetzt ist es zu viel.“ „Ich habe vorher auch schon begleitende Sterbehilfe im Altenheim geleistet. Ich war also vertraut mit der Situation“, sagt die Altenpflegehelferin. Für ihren Hund sei die Arbeit keine große Umgewöhnung gewesen, denn: „Ich habe ihn schon als zehnwöchigen Welpen ins Altenheim mitgenommen.“
Es sei wissenschaftlich nachgewiesen, dass Tiere, insbesondere Hunde, bei Patienten positive Reaktionen hervorrufen, selbst bei den lethargischen und verschlossenen Kranken, erklärt Dr. Cuno. Er und Petra Scholl erinnern sich an einen Mann, der stets stark in sich gekehrt war. In Anwesenheit des Hundes machte er plötzlich kleine Kunststückchen – er jonglierte mit Pampelmusen. Ein Anderer war blind und taub, hatte sich schon längst aufgegeben. Als er über das Fell des Hundes streichelte, huschte seit langem ein breites Lächeln über seine Lippen.
Der leitende Arzt führt diese Effekte auf das Wesen der Hunde zurück: „Hunde strahlen Ruhe und gleichzeitig Lebendigkeit aus.“ Haustiere spenden den Patienten Trost. Deswegen dürfen sie ihre Schützlinge während der letzten Lebenstage mit hernehmen. Dr. Cuno lächelt: „Ein Patient hatte sogar seinen japanischen Kampffisch dabei.“
Dass nicht jeder Hund dafür geeignet ist, solch schwierige Besuche zu absolvieren, weiß Wolfgang Caps, der Geschäftsführer des ASB Forchheim. Die Besuchshundedienste des ASB sind in 40 verschiedenen Einrichtungen tätig, darunter Kindergärten, Altenheime, Behindertenwerkstätten und eine Schule für Legastheniker.
Für den Einsatz in der Palliativstation testet man die psychische Stabilität des Vierbeiners. Wichtigste Voraussetzung eines solchen Teams sei aber das gegenseitige Verständnis zwischen Hund und Hundeführer. „Ich muss meinem Hund blind vertrauen können“, sagt Petra Scholl. Zusammen mit dem Patienten bilden sie drei Parteien. Geht es einem dabei nicht gut, funktioniert das Miteinander nicht.
Trauriges auf der Palliativstation
Oft sei es zuerst der Hund, der zeigt, wenn er genug hat. Er kennt seine Grenzen und weiß, mit welchen Situationen er umgehen kann oder nicht. Dann liege es an bestimmten Gerüchen oder Stimmungen, die der Hund wahrnimmt und ablehnt.
Als nächstes ist Zimmer 12 an der Reihe. Als Petra Scholl klopft und eintreten will, bleibt Rusty wie angewurzelt stehen. Keinen Zentimeter bewegt er sich vorwärts. Der Ehemann der Patientin kommt auf sie zu. Er sagt, seine Frau habe gerade eine Morphium-Spritze erhalten. Er wisse nicht, ob sie noch heute oder erst morgen sterben werde. Das ist der traurige Alltag einer Palliativstation. „Er konnte den Tod riechen“, meint Petra Scholl zu Rustys Verhalten. Für heute ist erst einmal genug.
Bei einem Spaziergang an der frischen Luft erholt sich das Besuchshundeteam. Den nächsten Besuch werden sie Kindern mit Leseschwäche abstatten.