Ein junger Mann liegt am Boden. Panik steht ihm ins Gesicht geschrieben, in den Händen hält er eine Waffe. Dann drückt er ab und eine andere Person fällt tot zu Boden. Einen Moment bleibt der junge Mann liegen, atmet durch, dann verlässt er das Gebäude. Vor der Tür übergibt er sich. Dann starrt er auf den leeren Parkplatz, der vor ihm liegt. Die Kamera folgt einer alten Plastiktüte, die vom Wind getragen wird. Dann landet die Tüte auf dem Boden, direkt vor einem Auto, das gerade ankommt. Der junge Mann ist bereits verschwunden, als zwei Männer aus dem Auto steigen: Es sind die beiden Kommissare Max Ballauf (Klaus Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die Helden des Kölner Tatorts.
Doch etwas ist anders. Denn zu der Szene gibt es keine Filmmusik. Wäre sie dabei, würden wir wohl kaum über sie nachdenken. Ohne sie dagegen hat der Zuschauer das Gefühl, dass etwas fehlt.
„Filmmusik wird immer wichtiger“, sagt Jonas Göbel. Der 28-jährige Wonfurter ist studierter Musiker, seit fünf Jahren ist der Schlagzeuger und Pianist selbstständig, unter anderem unterrichtet und komponiert er. In diesem Jahr war er einer von drei Profimusikern, die den Talent Award von „FilmTonArt“ in München gewannen. „FilmTonArt“ ist ein großes, jährlich stattfindendes Festival des Bayerischen Rundfunks, bei dem sich alles um die musikalische Untermalung von Filmen dreht.
In dem Wettbewerb ging es um die oben beschriebene Szene aus dem Tatort „Kartenhaus“. Alle Teilnehmer bekamen ebendiese knapp zweieinhalb Minuten dauernde Szene vorgelegt, allerdings ohne die Original-Filmmusik, die bei der Fernsehausstrahlung des Films im Februar zu hören war. Ihre Aufgabe war es nun, selbst ein Musikstück zu schreiben, das auf die Szene zugeschnitten ist. „Die Vorgabe war, dass es ein Stück für zwei Klaviere und ein Schlagzeug sein muss“, erzählt Jonas Göbel. Denn mit diesen Instrumenten wurden die besten Ergebnisse bei „FilmTonArt“ live aufgeführt. Für Göbel waren das perfekte Voraussetzungen, denn das sind genau die beiden Instrumente, die er studiert hat.
Im Gespräch mit dem Haßfurter Tagblatt erzählt er auch, wie die Musik zu einer solchen Filmszene entsteht. „Ich schaue mir die Szene an und spiele dazu“, sagt er. „Es war sofort da. Das läuft alles über die Emotion.“
Am 10. Juni, zwei Wochen vor dem Festival, war Einsendeschluss für die fertigen Musikstücke. „Ich habe meine Sachen schon etwa eine Woche vorher eingesendet“, erzählt Jonas Göbel. Vier Juroren wählten dann aus den mehr als 50 Einsendungen die drei besten aus. In der Jury saßen die beiden Komponisten René Dohmen und Joachim Dürbeck. Von ihnen stammt die Musik, die bei der Fernsehausstrahlung des Tatorts Verwendung fand. Mit dabei waren außerdem die Leiterin von „FilmTonArt“ Elke Falkenberg und Andrej Melita, Komponist und Dozent an der Hochschule für Musik und Theater in München.
Am Abend des 24. Juni war es dann soweit. Bei der Preisverleihung im BR-Studio in München wurden die drei besten Teilnehmer vorgestellt, Musikstudenten spielten dabei deren Stücke vor Livepublikum. „Ich war extrem nervös, ob die das richtig spielen“, erzählt Jonas Göbel. „So ist es immer, wenn Leute spielen, für die ich verantwortlich bin.“ Daher sei er auch nervös, wenn seine Schüler einen Auftritt haben. Bei der Verleihung der Preise, die auch auf dem Sender BR-Alpha übertragen wurde, führte Bayern3-Moderatorin Christine Rose durchs Programm.
Auch wenn die Jurymitglieder in der Begründung ihrer Entscheidung deutlich sagten, dass Musik immer eine Geschmacksfrage sei und die drei Bestplatzierten auf einem ähnlich hohen Niveau seien, gab es eine offizielle Rangfolge. In dieser gelang Jonas Göbel der 2. Platz, womit er zwei Studiomonitore im Wert von 2200 Euro gewann. Für den Sieger Erik Stadel gab es ein 2400 Euro teures Keyboard, der Drittplatzierte Tobias Sasse erhielt einen Einkaufsgutschein im Wert von 500 Euro. „Für mich ist es wie ein kleines Sprungbrett“, erzählt Jonas Göbel. Er sei der einzige Quereinsteiger unter den Bestplatzierten, die anderen beiden seien bereits im Geschäft.
„Man geht da nicht hin und erwartet, dass man gewinnt“, hatte Jonas Göbel bei der Preisverleihung auf Christine Roses Frage geantwortet, was er erwartet habe. Seine Musik zu der Tatort-Szene unterscheidet sich stark von den Einsendungen seiner Mitbewerber. Während sich die beiden anderen Gewinner für einen viel wilderen Anfang entschieden hatten, ist Jonas Göbels Musik zu der Szene sehr ruhig. Jury-Mitglied René Dohmen las die Begründung für den 2. Platz vor: „Jonas Göbel setzt voll auf Emotion. Ruhig und beständig erzählt er die Gefühlswelt des Protagonisten. Dabei setzt er nicht auf laute Effekte, sondern führt mit seinem Pianothema gefühlvoll durch die Sequenz.“
Den Erfolg bei FilmTonArt möchte Jonas Göbel nun vor allem nutzen, um das Komponieren als anderes Standbein zu etablieren. „Das kommt jetzt ins Rollen“, sagt Göbel, der zusammen mit seinem Vater eine private Musikschule betreibt. „Sonst bin ich vor allem als Spieler bekannt.“
-> Die Preisverleihung sowie die betreffende Szene mit der Musik der jeweiligen Komponisten findet man auch im Internet unter www.br.de/unternehmen/inhalt/filmtonart/programm/komponistenwettbewerb/index.html