Der Buddha aus Bronze lächelt beharrlich, wie er es seit nunmehr 300 Jahren tut. Christin Kummerer kniet vor der historischen Plastik. "Ich bin mir immer bewusst, dass die Objekte einzigartig sind, an denen ich arbeite", sagt die 28-Jährige. "Mache ich etwas falsch, geht im schlimmsten Fall ein Teil der Geschichte verloren." Mit dem Zeigefinger drückt sie das Blattgold behutsam dorthin, wo der Zahn der Zeit seine Spuren allzu deutlich hinterlassen hat.
Berufsrisiko nennt die Restauratorin aus Oberaurach die Gefahr eines solchen verhängnisvollen Fehlers. Bei dem 60 Zentimeter hohen, 120 Kilo schweren Koloss aus Bronze ist diese jedoch vergleichsweise gering. "Andere Objekte sind deutlich weniger robust", erklärt sie.
Zwei Restauratorinnen gründen in Oberaurach ein Unternehmen
An einem solchen Objekt sitzt Julia Abramwvicz. Auch sie ist Restauratorin. Abramowicz hat diesen Beruf studiert. Kummerer - gleichzeitig Meisterin der Kirchenmalerei - hat ihn im Handwerk gelernt. Etwa fünf Jahre haben die beiden nach der Ausbildung gemeinsam in einem Betrieb in Bamberg gearbeitet, als Angestellte. Nun aber, im September dieses Jahres, haben sie in Oberaurach ihr eigenes Unternehmen gegründet. "Abrummerer" heißt es, eine Kreuzung aus den Nachnamen der beiden Geschäftsführerinnen. Historische Kulturgüter aller Art - Papierobjekte, Gemälde, Kirchenmalerei, Figuren und Skulpturen - restaurieren sie. "Egal, ob aus privater oder öffentlicher Hand", erklärt Julia Abramowicz.
Doch noch befindet sich der Betrieb am Anfang. Künftig sollen die Objekte aus vergangenen Zeiten auch in einem historischen Ambiente überarbeitet werden können: Die neue Werkstatt entsteht gerade in einer rund 200 Jahre alten Scheune in Oberaurach, direkt neben dem Haus von Julia Abramowicz. "Wir machen diesen Umbau in Eigenregie", sagt die 38-Jährige. Doch bis das Projekt abgeschlossen ist, dauert es noch. So lange arbeiten "Abrummer" in einem klimatisierten Provisorium im Keller des Hauses.
Detektivarbeit in der Werkstatt - Alltag für die Restauratorinnen
Dort sitzt Julia Abramowicz gerade an der Werkbank. Auf einer Palette mischt sie Farben. Es gilt den exakten Hautton der bemalten Skulptur aus Holz zu treffen, an der Abramowicz gerade arbeitet. "Wir nennen ihn den Sündiger in der Hölle", sagt sie. Die 38-Jährige blickt auf die Figur, die in einem befeuerten Kochkessel kniet - die Hände vor der Brust gefaltet, die Augen gen Himmel gerichtet. "Wahrscheinlich stammt er aus dem 15. oder 16. Jahrhundert", mutmaßt Abramowicz. Genaues sei nicht bekannt. Auch das, so die Restauratorin weiter, mache ihren Beruf so interessant. "Wir fühlen uns teils wie Detektivinnen, weil wir immer wieder Neues und Unerwartetes über die Objekte herausfinden, an denen wir arbeiten".
Wie etwa vor gut zweieinhalb Jahren. Damals - noch angestellt - gelang Abramowicz und Kummerer während der Restaurierungsarbeiten eines spätgotisches Wandgemäldes in einer Kirche in Passau eine außergewöhnliche Entdeckung. Unter einer Schicht aus Tünche trat ein Abbild zum Vorschein, das über Jahrhunderte verborgen geblieben war: die Figur einer Heiligen, erklärt Kummerer: "Zwei Monate waren wir alleine damit Beschäftigt, diese Malerei freizulegen." Ausgestattet mit Kopflupe, Holzspartel, Skalpell - Zentimeter für Zentimeter, Strich für Strich.
Geduld und Beharrlichkeit zählen ohnehin zu den wichtigsten Eigenschaften einer Restauratorin, das haben die zwei nicht nur in dieser Zeit in Passau gelernt. Denn auch das Scheitern ist für sie Normalität. "Oft gibt es nicht den einen Weg, die eine Methode, mit der man das Werk wieder zum Strahlen bring", erklärt Kummerer. "Genau", sagt Abramowicz, während sie weiter den passenden Farbton für den Sünder sucht.
Die richtige Technik zu finden und das geeignete Werkzeug, das sei eine Mischung aus Wissen und Erfahrung. "Dieser Buddha beispielsweise stand in einer relativ feuchten Umgebung", erklärt Kummerer. Ein fahler Mantel aus Kalk umgab sie. Kein Glanz mehr aus Gold. Mit einem zerbrochenen Stäbchen aus weichem Holz kratzten die Restauratorinnen die Kalkschicht von der beschädigten Bronze. Ein Öl diente schließlich als Klebstoff für das Blattgold. Eine historische, über Jahrhunderte erprobte Technik.
Nicht alle Zeugnisse der Zeit sind schlecht
Ihr Beruf wirft immer die Frage auf, wie weit eine Restaurierung gehen darf. "Jedes Objekt hat seine Geschichte", sagt Christin Kummerer. "Und unsere Aufgabe ist es auch, diese Geschichte zu bewahren. Nicht alle Spuren sind schlecht." Sie nimmt Blickkontakt auf mit Buddha: "Er soll am Ende nicht aussehen, als wäre er in den Goldtopf gefallen."
Deutliche Schäden beheben Kummerer und Abramowicz. Andere Zeugnisse der Zeit dürfen bleiben: So viele Eingriffe wie nötig, so wenige wie möglich - lautet ihr Leitsatz. "Das ist die Ethik, mit der wir uns als Restauratorinnen auch befassen", sagt Abramowicz. Ein schmaler Grad zwischen dem Wunsch der Kundinnen und Kunden, die meist mehr wollen, und dem kunsthistorischen Anspruch an das Werk.
"Letztlich ist unser Beruf nicht nur spannend, weil wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, wie mit diesem Buddha", erklärt Christin Kummerer. "Wir können dazu beitragen, dass ein solches Objekt weitere 300 Jahre überlebt." In Bayern und Franken scheinen die Voraussetzungen für diese Arbeit besonders gut. Denn die Zeiten des Katholizismus waren auch geprägt von sakralem Prunk und Protz in den Kirchen und Kathedralen. "Hier im Süden Deutschland warten bestimmt noch viele verborgene Schätze auf uns", sagt Julia Abramowicz.
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