Verschmitzt lächelnd gibt Sibylle Ruß den Spitznamen dieses Christkinds preis: „Der kleine Schönborn“ sei er wegen seiner Lockenpracht getauft worden, die an den einstigen Fürstbischof erinnert. Dabei ist die Bamberger Restauratorin nicht ganz unschuldig an dem jetzigen Erscheinungsbild der stehenden Christkindfigur aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts: Sibylle Ruß hat die Haare in einer reversiblen Montage wieder aus Wollvlies rekonstruiert.
Denn dieses Christkind kam als „Ruine“ – wie Ruß sagt - ins Diözesanmuseum: Die Beine waren abgebrochen, Hände und Füße aus Wachs stark beschädigt oder ganz verloren. Motten hatten die Haare aus Wollvlies komplett zerfressen, die Bekleidung war verschmutzt und durch Lichtschädigung geschlissen, der Heiligenschein bis zur Unkenntlichkeit verbogen. Kurz: Es war ein „Extremobjekt“, das das ganze fachliche Können von Sibylle Ruß erforderte: „Um das Objekt überhaupt im Museum ausstellen zu können, musste die Bearbeitung weiter gefasst werden“, erzählt die Restauratorin.
Neben Reinigung und Sicherung der Textilien und der Wachsteile waren fehlende Hände und Füße zu ergänzen. Holzbildhauer und Restaurator Klaus Tenschert aus Hirschaid wurde unter anderen einbezogen. „Wir haben aber kein neues Christkind geschaffen, sondern das alte lediglich rekonstruiert!“ betont Ruß.
Mehr wird Sibylle Ruß am Sonntag, 16. Oktober, berichten, wenn Interessierte am „Europäischen Tag der Restaurierung“ den kleinen Schönborn selbst in Augenschein nehmen können. An diesem Tag geben Restauratoren deutschland- und europaweit exklusive Einblicke in ihre Arbeitsplätze, die sich in Museen, privaten Ateliers, den Hochschulen, Denkmalämtern, Archiven und Schlösserverwaltungen befinden.
Vier Kulturgüter zu sehen
„Kulturerbe im Klimawandel“ lautet das Motto 2022, das dazu einlädt, Fallbeispiele aktueller Konservierungs- und Restaurierungsprojekte kennenzulernen. In Bamberg sind gleich vier Kulturgüter zu sehen, die hiesige Restauratoren geschützt und gerettet haben, jeweils zwei im Diözesanmuseum mit Sibylle Ruß und im Historischen Museum in der Alten Hofhaltung mit Klaus Tenschert.
Beide erfahrenen Fachleute sprechen von einer „Restaurationsethik“, die ihre hochspezialisierte Arbeit bestimmt: „Wir sichern den Bestand und restaurieren nicht auf das Original zurück.“ Konservatorische, minimale Eingriffe am Werk haben das Ziel, den Zustand zu stabilisieren und weiteren Verfall aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen. So gewinnt auch die Regulierung des Klimas als Umfeldbedingung für einen kulturhistorischen Gegenstand zunehmend an Bedeutung. Selbstredend, dass bei allen Maßnahmen nur akribisch getestete Materialen Verwendung finden oder etwa schädliche Lösungsmittel nicht gebraucht werden. Ein fundiertes chemisches und physikalisches Wissen, detaillierte Kenntnisse von historischen Erscheinungsformen verschiedener Objektgattungen sowie künstlerisches Einfühlungsvermögen und einen guten kunsthistorischen Überblick sind für den modernen Restaurator unabdingbar.
Krone mit Gold- und Perlenstickerei
Wie der Spagat zwischen konservierender Erhaltung und Rekonstruktion gelingen kann, stellen die nun in Bamberg zu bewundernden Objekte unter Beweis. Neben dem Christkind hat sich Sibylle Ruß der sogenannten Festtagskrone der heiligen Kunigunde angenommen, die aus dem ehemaligen Benediktinerkloster Michaelsberg stammt: „Ein fantastisches Stück aus unterschiedlichen Textilien mit Gold- und Perlenstickerei“, schwärmt die Restauratorin. Doch der heutige Zustand, der vermutlich der Säkularisation von 1803 geschuldet ist, zeigt ein undefinierbares Konglomerat aus Leinen- und Goldfäden. Das ursprüngliche Aussehen der Krone aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – in einem Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert überliefert – lässt sich nicht einmal mehr vermuten. „Meine Bearbeitung der Krone beschränkte sich auf eine umfassende Analyse, Oberflächenreinigung und Sicherung loser Materialien“, erklärt Sibylle Ruß.
Restaurator Tenschert hat sich behutsam zwei wertvollen Besitztümern des Historischen Vereins Bamberg angenommen: dem Holzrelief Marientod aus einem Flügelaltar um 1500 – mutmaßlich aus der Bamberger Karmelitenkirche - und dem Leinwandgemälde Hofkammerrat Johann Georg Pröstler (1692 bis 1755) auf dem Sterbebett. Gerade dieses Gemälde erforderte einen enormen restauratorischen Aufwand, da es zusammengerollt, ja geknickt im Depot gelagert und Wasserschäden davongetragen hatte. Obendrein war es mit einem Getreide- oder Mehlschädling befallen: „Ich habe allein 240 Wurmlöcher geschlossen“, blickt Tenschert zurück, der dank seines Fachwissens das Bild stabilisieren und konservieren konnte. So nimmt es durch die Darstellung eines hochrangigen weltlichen Verstorbenen eine für die Sammlung des Historischen Vereins einmalige Stellung ein.
Führung und Vortrag
Klaus Tenschert und Sibylle Ruß sind am Sonntag zu den Öffnungszeiten der Museen anwesend: Historisches Museum 10 bis 17 Uhr, Diözesanmuseum 12 bis 17 Uhr. Restaurator Tenschert bietet um 11 und 14 Uhr einen Vortrag mit Fotos zu seinen bearbeiteten Objekten an, Restauratorin Ruß lädt um 13 und 15 Uhr zu Führungen ein.