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HAßFURT
Rentnerin zum ersten Mal in ihrem Leben vor Gericht
Marcus Wessels
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:50 Uhr

Eine wie auch immer geartete kriminelle Energie kann man der 76-jährigen Rentnerin, die zum ersten Mal in ihrem Leben vor den Schranken des Gerichts stand, wahrlich nicht nachsagen. 60 Jahre lang war sie unfallfrei Auto gefahren, aber heuer im Frühjahr hatte sie nach einem kleinen Parkrempler ihre Fahrt fortgesetzt. Das Urteil für diese Unfallflucht fiel vergleichsweise milde aus: Die ältere Dame muss zwar eine Geldstrafe von 600 Euro zahlen, darf ihren Führerschein aber behalten.

Es war der 14. April gegen 10.30 Uhr, als das Missgeschick passierte. Damals war die Angeklagte zum Einkaufen in die Kreisstadt gefahren. Nachdem sie ihre Waren in ihrem roten VW Polo verstaut hatte, setzte sie sich ans Steuer und legte den Rückwärtsgang ein. Ob sie dabei nicht in den Rückspiegel schaute, weiß man nicht, jedenfalls übersah sie das dahinter stehende Fahrzeug und prallte mit geringer Geschwindigkeit auf.

Irgendwie muss sie das mitgekriegt haben, denn sie hielt an, stieg aus und ging um die beiden Autos herum. Ihr Rechtsanwalt Alexander Wessel erklärte, dass der Unfallschaden derart gering gewesen sei, dass seine Mandantin ihn gar nicht wahrgenommen hätte und deshalb anschließend weiterfuhr. Tatsächlich waren es nur kleine Kratzerspuren, und der Verteidiger sprach von einem Bagatellschaden. Gleichwohl veranschlagte ein Gutachter dessen Behebung mit über 1000 Euro.

Um den Unfallhergang lückenlos aufzuklären, wurden zwei Zeugen vernommen, die damals zufällig vor Ort waren. Dabei schilderte eine unbeteiligte junge Frau, dass die Beschuldigte, nachdem sie ausgestiegen war, alles genau angeschaut und sich sogar an der Stelle gebückt habe, wo der Fremdschaden entstanden war. Von daher war die Einlassung der Rentnerin, wonach sie überhaupt nichts gemerkt haben wollte, doch etwas unglaubwürdig.

Da eine der Augenzeuginnen das Nummernschild des roten VW Polo notiert und eine Angestellte des Supermarktes die Polizei verständigt hatte, gelangte die Sache in die Mühlen der Justiz. Und so kam es, wie es kommen musste: Sechs Wochen nach dem Vorfall erhielt die körperlich und geistig fitte Frau Post vom Staatsanwalt. Der schickte ihr einen Strafbefehl über zwei Monate Fahrverbot, verbunden mit einer Geldstrafe von 900 Euro. Weil dies der verwitweten Rentnerin gar zu hoch erschien, legte sie mit Hilfe ihres Verteidigers Einspruch ein und die Strafsache landete vor dem Amtsgericht.

Und hier kam sie tatsächlich um einiges besser weg, denn auch Rechtsreferendar Mario Geyer als Vertreter der Staatsanwaltschaft erkannte an, dass sich die Frau ein Leben lang nichts hatte zuschulden kommen lassen. Zudem hat die Versicherung den angerichteten Schaden längst reguliert. Strafrichterin Ilona Conver stellte zwar fest, dass die Beschuldigte schlicht und einfach die Polizei hätte holen müssen. Gleichwohl würden hier doch die Umstände „aus dem Rahmen fallen“ und deshalb verfahre sie nicht nach Schema F. In ihrem letzten Wort betonte die Dame: „Das ist mir noch nie passiert und das wird mir auch nie wieder passieren.“

 
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