Manchmal stehe ich wie festgewachsen und kann mich nicht vom Fleck rühren – dann packt mich der Zorn!“ Helmut Langs Wut richtet sich gegen die Krankheit Parkinson, die bei ihm das abrupt auftretende Erstarren verursacht. Bei seiner Frau Ursula löste dies schon manchen Schweißausbruch aus: „Man steht mitten auf der Straße und plötzlich geht es keinen Schritt mehr weiter“, schildert sie die als „Freezing“ bezeichneten Blockaden, unter denen viele Parkinsonkranke leiden.
1817 beschrieb der britische Arzt James Parkinson in seiner „Abhandlung über die Schüttellähmung“ erstmals die nach ihm benannte Krankheit. Demnach handelt es sich um eine fortschreitende Erkrankung des Nervensystems, in deren Verlauf immer mehr Nervenzellen in der Substantia nigra (schwarze Substanz) im Mittelhirn absterben. Bei gesunden Menschen wird genau dort der Botenstoff Dopamin gebildet. Dieser ist für die Übertragung von Impulsen und damit für die harmonische Ausführung sämtlicher Bewegungsabläufe zuständig. Durch den Mangel an Dopamin verliert der Parkinsonkranke die Herrschaft über seine Muskeln. Es entstehen die klassischen Symptome wie unkontrolliertes Zittern, Bewegungsarmut, Muskelstarre und schwere Gang- und Gleichgewichtsstörungen. Warum die Nervenzellen zugrunde gehen, konnte bisher nicht geklärt werden.
Geschätzte 300 000 Menschen sind in Deutschland inzwischen von der Krankheit betroffen. Die ersten Beschwerden treten meist im Alter zwischen 50 und 60 Jahren auf. Aufgrund der unspezifischen Frühsymptome dauert es häufig sehr lange, bis Morbus Parkinson diagnostiziert wird. Elfriede Markfelder aus Dampfach schildert, dass ihr Mann Siegfried bereits im Alter von 40 Jahren mit den ersten Beschwerden zu kämpfen hatte. „Seine Kraft nahm zusehends ab, nachmittags war er nicht mehr leistungsfähig.“ Er konnte nicht mehr riechen, sei häufig hingefallen oder vom Rad gestürzt. Bis im Alter von 60 Jahren endlich seine Parkinson-Erkrankung erkannt wurde, hatte er zahllose Arztbesuche und Fehldiagnosen hinter sich.
Schleichende Entwicklung
Die schleichende Entwicklung der Krankheit erschwert ihre Erkennung im Frühstadium; sie lässt sich nicht mit Hilfe eines Bluttests nachweisen. Erst wenn bereits ein Großteil der Neuronen abgestorben ist, werden die typischen Symptome sichtbar. Auch die 64-jährige Mechthild von Berg-Markowski aus Kleinmünster hatte eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, bis sie schließlich im Alter von 50 Jahren erfuhr, was hinter ihren starken Beinschmerzen steckt. Bis dahin war sie mit Rheumamitteln behandelt worden.
Der Befund „Morbus Parkinson“ stürzt die Betroffenen meist in ein tiefes Loch. „Ich war geschockt und verzweifelt“, erinnert sich Helmut Lang. Den 74-jährigen Königsberger traf die Hiobsbotschaft vor zehn Jahren. „Um eine solche Diagnose verkraften zu können, bräuchten die Betroffenen und ihre Familien eigentlich therapeutische Begleitung“, sagt seine Frau Ursula. Gudrun Marek aus Bundorf, deren Mann Ludwig seit vielen Jahren unter der tückischen Krankheit leidet, bestätigt: „Am Anfang versucht man es zu verheimlichen und zieht sich total zurück.“
Wo sie Rat und Unterstützung fanden, waren Selbsthilfegruppen in Schweinfurt beziehungsweise Bad Neustadt. Nun sind sie alle in der Parkinson Selbsthilfegruppe Haßfurt organisiert, die vor sieben Jahren von den Rotariern ins Leben gerufen wurde. „So eine Gruppe hilft sehr viel“, sagt Ursula Lang. Man werde auf zukünftige Erscheinungsformen der Krankheit vorbereitet, erhalte wichtige Informationen und Tipps und mache sich gegenseitig Mut.
Dies haben sowohl die Parkinsonkranken als auch ihre Angehörigen bitter nötig. Denn der Alltag ist keineswegs leicht zu bewältigen. „Alle Lebensbereiche sind betroffen“, schildert Ursula Lang das Ausmaß der Erkrankung. Alles verlangsame und verändere sich – das Denken, die Psyche und vor allem die Bewegungen. Schluckstörungen erschweren das Essen, die Sprache wird leise und verwaschen und die veränderte Selbstwahrnehmung ist nicht selten Anlass für Auseinandersetzungen mit den Angehörigen. „Mein Mann glaubt, er spricht laut und deutlich und ich kann kein Wort verstehen“, nennt Ursula Lang ein Beispiel.
Das wichtigste sei es, sich so viel wie nur möglich einfallen zu lassen, um den Alltag zu erleichtern. Haltegriffe in der Wohnung, spezielles Geschirr, Notrufuhren sind nur einige der Hilfsmittel. Doch auch die Angehörigen dürfen ihr eigenes Wohlergehen nicht aus dem Blick verlieren. „Wenn es mir mit der Unruhe und dem Zittern zu schlimm wird, gehe ich einfach raus“, sagt Gudrun Marek. „Ich setze mich beim Essen manchmal so, dass ich ihn nicht sehe“, gesteht Ursula Lang.
Siegfried Markfelder wird zwei Tage in der Woche in der Tagespflege in Hofheim betreut. „Vorher konnte ich nicht mal mehr zum Einkaufen gehen“, sagt seine Frau Elfriede. „Mein Mann war völlig zurückgezogen. Die Tagespflege tut ihm gut – er ist ein ganz anderer Mensch geworden.“
Keine Heilung, nur Linderung
Auf Heilung können die Erkrankten nicht hoffen. Die Einnahme von Medikamenten lindert lediglich die Symptome und beeinflusst, bei frühzeitiger Behandlung, der Krankheitsverlauf günstig. Seit einigen Jahren bietet auch eine operative Behandlungsmethode Hilfe, wenn die medikamentöse Behandlung nicht ausreicht. Bei der „tiefen Hirnstimulation“ regen eingesetzte Elektroden bestimmte Gehirnregionen elektrisch an. Extreme Gangstörungen brachten Mechthild von Berg-Markowski permanent zum Stürzen. Um diese Verletzungsgefahr einzuschränken, entschied sie sich für den sogenannten Hirnschrittmacher. Ein halbes Jahr ist die riskante Operation her. „Ich habe lange gezögert“, sagt sie, „aber es ist wirklich viel besser geworden.“
Trotz aller Kümmernisse, die das Leben mit Parkinson mit sich bringt, kämpfen diese Betroffenen darum, es möglichst glücklich und qualitätvoll zu meistern. Und die Not macht auch erfinderisch: In einer Flasche Apfelsaft und einer Flasche Mineralwasser je einen überdimensionalen Strohhalm, demonstriert Helmut Lang stolz seine geniale „Schorlemischmethode“. „Natürlich ist viel Verzweiflung dabei, wenn man immer mehr nicht kann und eine Sache nach der anderen aufgeben muss.“ So musste sich Lang schon von seinen Bienenvölkern und von der Wetterstation, die er 49 Jahre betrieb, trennen. „Aber man kann auch mit den kleineren Dingen zufrieden sein, die man noch kann.“ Nun ist er zum leidenschaftlichen Fotografen geworden, der bereits ganze Reihen von Ordnern mit Fotos archiviert hat. Seine Frau gönnt sich drei Wochen im Jahr bei einer Kur eine Auszeit.
Ludwig Marek beschäftigt sich möglichst viel, trotz der Beeinträchtigung durch das „Off-On-Phänomen“ – wechselnde Phasen von Überbewegungen und völliger Starre.. „Am Abend kann ich dann sagen: Hab' ich auch nicht viel gemacht, hab' ich den Tag doch rumgebracht“, lacht er. Gudrun Marek genießt die Thermalbadbesuche mit Freunden und gemeinsam mit ihrem Mann unternimmt sie jedes Jahr eine Schiffsreise. „Busfahrten sind schwierig zu machen, aber mit dem Schiff können wir noch gut reisen“, sagt sie. Ein Unternehmen organisiere spezielle Flussfahrten, bei denen auch ein Arzt dabei sei. „Und beim Landgang gibt es immer eine schnelle und eine langsame Truppe“, fügt Ludwig Marek hinzu.
Infos: Die Regionalgruppe Haßfurt der Deutschen Parkinson-Vereinigung trifft sich jeden ersten Freitag im Monat um 18 Uhr im Gasthaus zur Eisenbahn in Zeil. Jeden Montag, außer in den Schulferien, findet um 16 Uhr in der Mainmühle in Haßfurt Gruppengymnastik statt. Ansprechpartner sind Lotte Scheller, Tel. (0 97 23) 46 83 und Ursula Lang, Tel. (0 95 25) 524.
Alttag in den Haßbergen
Der Bote vom Haßgau beschäftigt sich in dieser Serie mit Fragen zum demografischen Wandel und zum Altern. Wie sieht er aus, der „Goldene Herbst“ im Landkreis? In loser Folge werden die Wohn- und Lebenssituationen älterer Menschen geschildert.