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HAßFURT
Opfer? Wir sind auch Täter!
„Wir können die Welt nicht retten? Wieso nicht – wer denn sonst?“ Das ist die zentrale Botschaft des redegewandten, schonungslos Missstände offenbarenden Kabarettisten Hagen Rether, der in der Stadthalle in Haßfurt zu Gast war und den – trotzdem begeisterten - Zuhörern mal so richtig seine Meinung sagte.
Foto: Ulrike Langer | „Wir können die Welt nicht retten? Wieso nicht – wer denn sonst?“ Das ist die zentrale Botschaft des redegewandten, schonungslos Missstände offenbarenden Kabarettisten Hagen Rether, der in der ...
Von unserer Mitarbeiterin Ulrike Langer
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:16 Uhr

„Wir wollen uns als Opfer fühlen, aber wir sind auch Täter“, sagt Hagen Rether. Der Kabarettist, der niemals müde wird, dem „Volk“ seine Doppelmoral vorzuhalten und ihm die Augen nicht nur für die „Bösen dort oben“, sondern auch für seine eigene Verantwortung „ganz unten“ zu öffnen, gastierte beim Kulturamt Haßfurt in der mit 350 Besuchern ausverkauften Stadthalle. Dreieinhalb Stunden rüttelte er am Bewusstsein seiner Zuhörer: massiv, eindringlich, überzeugend, meistens bitterernst und nur selten lustig. Doch das Publikum stimmte ihm mit Zwischenapplaus zu und verabschiedete ihn mit langem Beifall.

„Das war anstrengend“ und „Jetzt bin ich müde“, aber auch „Toll, wie schonungslos er mit uns allen umgeht“, waren einige der Reaktionen aus dem Publikum. Doch der Aufforderung von Hagen Rether: „Wenn Sie nicht mehr können, gehen Sie einfach“, war niemand gefolgt. Zu spannend und zu interessant war, was er, lässig auf seinen Stuhl gefläzt und scheinbar selbst nicht müde zu kriegen, im Plauderton an den Mann und die Frau brachte.

Sein Motto ist, niemandem die Möglichkeit zu bieten, die Schuld an den Missständen auf dieser Erde auf die Politiker und Regierungen ganz oben, die Multikonzerne oder die anonym Gesellschaft zu schieben. Denn die Wirklichkeit ist böse, weil wir alle dafür verantwortlich sind. Seine Worte: „Wieso bauen wir unsere Gesellschaft so Scheiße? Ich versteh das nicht?“ durchziehen das gesamte Programm. „Wieso bereiten wir den Tieren die Hölle auf Erden? Wieso beuten wir unsere Erde für die Massentierhaltung aus, wieso fliegt man zum Ayurveda nach Indien und schimpft gleichzeitig über die schlechte Ökopolitik von Angela Merkel? Wieso dreht sich alles nur um den Konsum?“, fragte der überzeugte Veganer und Umweltschützer, der versprach: „Ich mache solange Kabarett, bis man Fleisch verbietet!“ Rether plädiert auch dafür, Kinder Kinder sein zu lassen und nicht von Beginn ihres Lebens an unter Druck zu setzen. Er ist der Meinung, dass ein Grundeinkommen notwendig ist und jeder freiwillig so lange arbeiten können sollte, wie er will und kann.

„Der Kapitalismus zerquetscht die Menschen, überfordert die Kinder und unterfordert die Alten“, so seine These. Lächelnd und ernst zugleich prangert er die Gewalt in Filmen an, die ab 12 Jahren freigegeben sind, wo doch im „Hobbit“ ein Völkermord stattfindet. „Das brennt sich doch in die Birne!“ Eine Gesellschaft wie in den USA, in der drei Generationen durch Kriege militarisiert und traumatisiert seien und die die Ballerei nicht in den Griff kriegt, sei doch nicht zukunftsfähig, wettert der Kabarettist. Wütend prangert er die sexuelle Gewalt an: „Jede fünfte Frau ist Opfer sexueller Gewalt, das wären hier im Publikum 70 Frauen – und die Täter sitzen mitten unter uns, obwohl keine Marokkaner anwesend sind“, visualisierte er das Problem. „Doch dass die Frauenhäuser aus allen Nähten platzen, interessiert uns nicht. Wir haben ja die Marokkaner, die wir abklatschen können“, kommt er auf den Punkt, der ihm ebenfalls wichtig ist: das Volk bekommt Voodoopuppen, auf das es einstechen kann, damit es von solchen Missständen abgelenkt sind.

„Unsere Männer fahren auf den Kinderstrich nach Tschechien. Gibt es dagegen eine Bürgerwehr?“ fragt er fassungslos. Echauffieren kann er sich auch darüber, dass aus den Verhandlungen der Bundeskanzlerin mit Erdogan ein Tamtam gemacht wird, und niemand Merkel hilft. „Dabei sind wir Nutznießer aller Kriege und Umweltkatastrophen, und alles, was wir kaufen, kommt aus Staaten, mit denen wir nichts zu tun haben wollen“, führt er den Zuhörern die gängige Doppelmoral vor Augen. „Wir müssen nicht die Grenzen schützen, sondern die Menschen. Schließlich sind wir die Ururenkel von Raubrittern, die die Welt ausgebeutet haben, und sagen jetzt lapidar: Danke für die Rohstoffe, fickt Euch ins Knie.“

Hagen Rether kämpft mit seinen Worten für die Würde der Frau und der Kinder, offenbart immer wieder die Heuchelei, den zunehmenden Antisemitismus und das Erstarken der Rechtspopulisten, erklärt, dass der Judenhass in Deutschland seit tausend Jahren dunkle Leitkultur sei, und betont: „Unsere Gesellschaft ist schwach geworden. Das sieht man daran, wie sie mit Minderheiten umgeht.“ Auch die katholische Kirche bleibt nicht verschont. „Der Papst lehnt die Sterbehilfe ab, aber Kinder in Würde schlagen, das dürfen wir. Das ist so krass“, sagt Rether. Das Leben missbrauchter, ehemaliger Regensburger Domspatzen sei verpfuscht, doch die Täter würden geschützt.

Edathy sei in aller Munde gewesen, aber die Namen der Priester, die Kinder, Frauen und Männer missbraucht hätten, kenne niemand. „Wir wissen genau, was falsch läuft. Aber wir haben kein Denkproblem, sondern ein Handlungsproblem“, bringt der Kabarettist seine Kritik am Ende auf den Punkt: „Wir machen nichts, schimpfen aber über die Anderen!“ Dass die Biosphäre den Menschen über den Köpfen auseinanderbreche, dagegen sei der IS nichts, relativiert Rether die wirklichen Probleme.

„Ein Zuhörer hat mir mal gesagt: Herr Rether, wir können doch die Welt nicht retten. Daraufhin sagte ich zu ihm: Wieso nicht – wer sonst?“ Jede Information sei völlig unwichtig; interessant sei vielmehr, was sie aus den Menschen mache. „Kauft keine Produkte von Nestlé, weil die Firma die Wasservorräte der Welt privatisiert, um sie für teures Geld weiter zu verkaufen, Tierversuche in Auftrag gibt und Kinderarbeit duldet, wenn Ihr Euch für Eure Kinder einsetzen wollt“, appellierte er an die Besucher. „In Indien haben sich 250 000 Kleinbauern mit Pestiziden von Monsanto umgebracht. Denn die Firma produziert Massenvernichtung. Ladet Euch aus dem Internet eine Liste mit Produkten, in denen Monsanto seine Finger im Spiel hat, legt sie Euch in den Einkaufswagen und macht im Supermarkt einen großen Bogen darum. Das kann jeder und ist damit Herr seiner kleinen Umwelt!“

(Was man übrigens unter dem Link volksbetrugpunktnet.wordpress.com/2014/03/17/liste-von-firmen-in-der-brd-die-produkte-von-monsanto-verwenden/ gerne tun kann).

 
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