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HASSBERGKREIS
„Normalität“ mit Kunst im Asylbewerberheim
Von unserer Mitarbeiterin Sabine Meissner
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:59 Uhr

Der unterfränkische Künstler Günter Rocznik lebte lange Zeit im Haßbergkreis und engagierte sich grenzüberschreitend, sowohl über Kreisgrenzen hinaus als auch über die seines Genres. Aufmerksamkeit erregte er beispielsweise mit seiner Ausstellung in der „Galerie Kunst und Antik“ in Pfarrweisach, die Arbeiten aus mehr als zwei Jahrzehnten präsentierte.

„Stationen“ hatte Rocznik diese Schau genannt, deren Anlass sein 60. Geburtstag und seine 25 Jahre dauernde Arbeit als Galerist war. In Ebern und in Zeil stieß seine Ausstellung „Hinschauen – Wegschauen. 18 Stationen gegen Rechtsradikalismus“ auf Interesse. Eine Kunstmesse in Eltmann, seine Unterrichtstätigkeit am Friedrich-Rückert-Gymnasium Ebern oder, wie zuletzt, seine Beteiligung an der Eröffnungsveranstaltung zum Haßberg-Kulturprojekt „Kunststück“ in Hofheim markieren unter anderem seinen vielseitigen künstlerischen Weg.

Seit November gestaltet Rocznik eine Ausstellung unter dem Titel „Die Wirklichkeit des Unerwarteten“. Dafür hat er die Grenzen des Heimatkreises überschritten und ist nach Eckental-Forth in den Landkreis Erlangen-Höchstadt gezogen. Ort seiner Ausstellung ist das ehemalige Seniorenheim in der Bismarckstraße, wo sich jetzt ein Asylbewerberheim befindet. Von dort sendet er zum Jahreswechsel einen Rundbrief in den Haßbergkreis an alle, die ihn kennen und sein künstlerisches Schaffen verfolgen. „Seit einem halben Jahr lebe ich nun im dritten Stock des Asylbewerberheims und betreibe hier meine Galerie“, teilt er mit.

Dabei werde er vom örtlichen Diakonie-Verein und der Evangelischen Landeskirche unterstützt. „Im Mittelpunkt stand die Idee, als normaler Mieter und Gewerbetreibender eine Brücke zwischen deutscher Bevölkerung und Geflüchteten herzustellen“, erklärt der Künstler, der damit wohl auch zu seinen Wurzeln als Sozialarbeiter in jüngeren Jahren zurückkehrt. Er wolle einer etwaigen Ghettoisierung entgegenwirken oder „auch nur ein Stück Normalität leben“. Daneben sei er weiterhin überregional als Künstler tätig.

Günter Rocznik ist Franke und Kunstverständiger mit vielen Ambitionen. Besucher seiner Ausstellung begegnen beim Betrachten der Artefakte dem Augenblick und erfahren zugleich Hintergründe fremder Lebenslinien, sozusagen Unerwartetes und Überraschendes.

„Wer in den 3. Stock eines Asylbewerberheims steigt, um eine Galerie anzuschauen“, sagt Rocznik, „der rechnet nicht unbedingt damit, auf die Werke namhafter Künstler zu stoßen.“ Er habe die Ausstellung als Galerist nach verschiedenen Gesichtspunkten „komponiert“ und ihr bewusst diesen Titel gegeben. Das Asylbewerberheim werde damit zum „Raum für Begegnungen“. Rocznik selbst, der bis vor Kurzem in den Haßbergen lebte und von da aus künstlerisch wirkte, hat in Vorbereitung der Ausstellung seinen Lebensmittelpunkt nach Forth verlegt. Im dortigen Gemeindepfarrer Johannes Häselbarth fand er einen Unterstützer und Mitstreiter. Für die Bewohner unterschiedlicher Nationalitäten habe Rocznik nun mit der Galerie einen Begegnungsraum geschaffen.

„Sie haben sehr viel aufgegeben“, sagt der Pfarrer zum Galeristen, „haben Ihr Haus in den Haßbergen verkauft, sich von vielen Dingen getrennt, und Sie haben sich in diesem besonderen Haus bei uns eingerichtet.“ Er freue sich sehr darüber, dass Rocznik da ist, betont der Geistliche. Der Künstler und Galerist habe sich mit einigen Bewohnern der Asylbewerberunterkunft angefreundet. Auch mit der ständig präsenten "Security", die inzwischen dazu gehöre, habe Rocznik ein freundschaftliches Verhältnis. Der Pfarrer hebt hervor, wie wichtig er es findet, dass es solche Menschen wie Rocznik gibt. Er führe glaubhaft vor, dass man mit den Gästen auf Zeit sehr wohl zusammenleben könne, dass diese Menschen nicht schlechter oder besser seien als andere. „Sie sind eben nur etwas anders“, konstatiert er, „kleine Probleme tauchen im Zusammenleben immer auf.“ Die habe es vorher gegeben, und die gäbe es jetzt, meint der Pfarrer.

Als Titelbild für den Flyer zur Ausstellung hat Rocznik den Holzdruck „Exodus“ gewählt. Er kennt den Künstler nicht, von dem der Druck stammt, aber sein Mitstreiter, der Pfarrer, kommentiert ihn so: "Der Druck zeigt das Volk Israel auf der Flucht vor der Armee der Ägypter, geleitet von der Wolke, der Gegenwart Gottes." Das Bild passe zum momentanen Lebensthema: Menschen auf der Flucht. Zum Einzug in Forth schenkt der Pfarrer dem Künstler Rocznik ein kleines Kreuz. "Kreuze sind ja Ihr großes Thema" sagt er und spielt damit wohl auf Roczniks letzte Ausstellung in Hofheim in den Haßbergen an, wo er unter dem Titel "Dialog im Kreuz" Kunstwerke ausstellte und verkündete: "Die Fragilität des menschlichen Seins ist der Schwerpunkt meines Arbeitens."

Die Öffentlichkeit nimmt Roczniks Wirken wahr. Nürnbergs Bürgermeister Dr. Ulrich Maly skizziert in seinem Grußwort zur Ausstellung Roczniks Lebensweg "vom künstlerisch tätigen Sozialarbeiter zum sozial engagierten Künstler". Sein Wirken sei mit zahlreichen Wendungen und einer großen Portion Lebenserfahrung verbunden. Rocznik, der unter anderem Geschäftsführer des Ausländerbeirates in Schweinfurt war, habe 1988 seine erste Galerie eröffnet und den Arbeitskreis Kunst und Kultur gegründet. Bis heute weise seine künstlerische Tätigkeit "einen starken Bezug auf unsere gesellschaftliche Lebenswirklichkeit" auf.

Mit der Ausstellung unter dem Titel „Die Wirklichkeit des Unerwarteten“ zeigt Rocznik 100 Exponate deutscher und österreichischer Künstler aus der Zeit des 20. Jahrhunderts, Grafiken und Zeichnungen vom Expressionismus bis zur Postmoderne. An der Ausstellung sind auch Künstler aus dem Iran und Irak beteiligt. Sie kamen einst nach Deutschland ins Exil, möchten aber heute nicht mehr als "Exilkünstler" betrachtet werden, da sie Fuß gefasst haben. Rocznik hatte sie 1990 im Rahmen seines damaligen Kunstprojektes „Künstler im Exil“, einem Projekt in Zusammenarbeit mit dem Kunstdienst der Evangelischen Landeskirche in Thüringen, in der Stadtkirche von Jena kennengelernt.

• Die Schau wird nach dem Jahreswechsel am 11. Januar fortgesetzt und läuft bis zum 31. März. Geöffnet ist sie jeweils mittwochs von 16 bis 20 Uhr sowie nach Vereinbarung.

• Ausstellungsort: „Galerie ZwischenRaum“, Bismarckstraße 20 in 90542 Eckental. Information im Netz: www.rocznik-kunst.de.

Kunst und Soziales – Günter Rocznik, der viele Jahre im Haßbergkreis lebte, ist ein künstlerisch tätiger Sozialarbeiter und sozial engagierter Künstler.
Foto: Sabine Meissner | Kunst und Soziales – Günter Rocznik, der viele Jahre im Haßbergkreis lebte, ist ein künstlerisch tätiger Sozialarbeiter und sozial engagierter Künstler.
 
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