Es war nicht das erste Mal, dass dem Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt im Prozess vor dem Landgericht Bamberg, der den Tod des am Neujahrsmorgen in Unterschleichach erschossenen Mädchens Janina aufklären soll, die Verzweiflung mit dem Angeklagten anzumerken war. Der Grund: Auch am dritten Verhandlungstag am Donnerstag wollte – oder konnte – dieser keinen nachvollziehbaren Grund nennen, warum er die verhängnisvollen Schüsse abgegeben hat. Seine einzige Aussage hierzu lautet bislang: „aus Blödsinn“. Doch sollte dies zutreffen, erklärte der Richter, dann wäre dies eine Schießerei „aus Gaudi“ gewesen. „Und das wäre noch schlimmer, als wenn Sie aus Ärger oder Wut geschossen hätten.“
Auch nach dem Abhören der Tonaufnahme der rund einstündigen ersten Vernehmung des Angeklagten, unmittelbar nach dessen Festnahme am 12. Januar durch Beamte der Schweinfurter Kripo, dürften die Prozessbeteiligten ob der Frage des Warums kaum schlauer sein. Der 54-Jährige bestritt bereits da, bewusst auf Menschen geschossen zu haben. Und wenn er an einer Stelle auf die Frage eines Polizisten, ob er verärgert gewesen sei und mit seinen Schüssen den Silvesterlärm vor seinem Haus beenden und für Ruhe sorgen wollte, mit „ja“ antwortete, so wich er gleich darauf zurück und meinte auf die nächsten Fragen, er habe halt in die Luft schießen wollen – „aus Blödsinn“. Mehr wisse er nicht mehr.
Die Zeugenaussagen des dritten Verhandlungstages drehten sich schwerpunktmäßig um die Person des angeklagten 54-Jährigen. Zu Wort kamen zunächst Kollegen und Vorgesetzte von ihm. Die Zeugen beschrieben den Mann, der zuletzt als Versorgungsfahrer der JVA Ebrach arbeitete, ausnahmslos als freundlich, hilfsbereit und zurückhaltend. Einen Mord, wie die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft, traute ihm keiner der Befragten zu. Sie wussten allerdings, dass er unter gesundheitlichen Beschwerden litt sowie unter der Trennung von seiner Lebensgefährtin, doch mehr noch darunter, dass sein Sohn nur noch selten bei seinem Vater vorbeischaute. Zuletzt sei dieser immer nur noch dann gekommen, wenn er etwas brauchte, ein neues Smartphone beispielsweise, so schilderte es ein früherer Kollege, der als einziger der gehörten Zeugen auch privat näheren, fast freundschaftlichen Kontakt zum Angeklagten unterhielt.
Jahrelang Dienstwaffe getragen
Zu dessen Beschäftigung bei der JVA wurde bekannt, dass dieser dort im August 1999 als Maurer begann und bis Mitte 2010 auch Gefangene beaufsichtigte. Zu dieser Zeit trug er eine Dienstwaffe. Nach mehreren langfristigen Erkrankungen arbeitete er in der Torwache und ab Januar 2015 als Fahrer.
Im Jahr 2000 absolvierte er eine Waffen- und Schießausbildung. Die jährlich vorgeschriebenen Schießtrainings absolvierte er zuletzt nicht mehr regelmäßig beziehungsweise zeigte bei diesen stark nachlassende Leistungen. Konsequenzen auf seinen Dienst als Waffenträger hatte dies aber allem Anschein nach nicht. Es gibt Konstellationen, dass man problemlos um das jährliche Schießtraining herumkommt, berichteten zwei Mitarbeiter der JVA.
„Man kann sich keinen besseren Bruder wünschen.“ Auf diese Weise beschrieb die vier Jahre jüngere Schwester den Angeklagten. Dabei kamen ihr die Tränen, was auch beim Angeklagten nicht spurlos vorüberging. Bis dahin hatte er während des Prozesses keine Gefühlsregungen gezeigt. Ihr Bruder, schilderte die Zeugin, habe in den zurückliegenden Jahren „sehr viel mitgemacht“. Vier Operationen bei ihm seien „verpfuscht“ worden.
Auf die Frage nach der Tat antwortete die Schwester: „Nie wäre es mir in den Kopf gegangen, dass er das gewesen ist.“ Sie könne nicht verstehen, wie er das so verdrängen konnte. Als sie mit ihrer Tochter und ihrer Mutter den Angeklagten an Silvester 2015, wenige Stunden vor den Schüssen, besucht hat, sei ihr Bruder „total unauffällig“ gewesen.
Die frühere Lebensgefährtin hat sich am Tag vor Heiligabend 2010 nach über 13 Jahren vom Angeklagten vor allem deshalb getrennt, weil dieser Problemen aus dem Weg ging und sie sich von ihm zu wenig verstanden gefühlt hat, besonders, als sie drei Kinder noch vor der Geburt verloren hatte. Gewalt habe in ihrer Beziehung ebenso wenig eine Rolle gespielt, wie die Waffen im Keller, die ihr Partner vor ihren Augen nie in die Hände genommen hat. Wenn sie sich stritten, was laut der Zeugin nicht zu häufig vorkam, konnte der Angeklagte „schon richtig hochgehen“ – doch es blieb stets bei Worten.
Als einen Patienten, der mit seinem Gesundheitszustand unzufrieden war, beschrieb der Hausarzt den Angeklagten. Besonders eine unerklärliche Zwerchfelllähmung beeinträchtige seine Lebensqualität erheblich, sagte der Arzt. Beim Essen käme ihm beispielsweise jeder zweite Bissen wieder hoch und er könne nicht frei atmen. Hoffnung, dass sich seine Krankheiten bessern könnten, gebe es nicht. Mehrere Versuche von Ärzten, ihm zu helfen, seien gescheitert. Der Hausarzt bestätigte auch das Zittern in den Armen des Angeklagte. Dieses sei ohne erklärbare medizinische Ursache und habe ähnliche Auswirkungen wie Parkinson.
Die am Landratsamt Haßberge für das Waffenrecht zuständige Sachbearbeiterin erklärte vor Gericht, dass der Angeklagte seit Januar 1995 zwei Waffenbesitzkarten hatte. Diese erlaubten ihm, die vier bei ihm sichergestellten Waffen zu besitzen.
Beim Krieger- und Soldatenverein Fatschenbrunn, bei dem der 54-Jährige seit Anfang der 90er-Jahre – bis heute – Mitglied ist, hat er laut dessen Vorsitzenden sowie des für das Vereinsschießen zuständigen Schützenmeisters selbst nie geschossen. Der Angeklagte habe ihm versichert, beim Knetzgauer Schützenverein zu schießen, sagte der Schützenmeister als Zeuge. Dies habe er ihm geglaubt. Waffenbesitzer sind verpflichtet, das Schießen regelmäßig zu üben. Sonst müssen sie ihre Waffen abgeben.
Der Prozess in Bamberg wird am Mittwoch, 21. Dezember, fortgesetzt. An diesem Tag wird ein psychiatrisches Gutachten des Angeklagten vorgestellt und es sind die Plädoyers des Verteidigers sowie des Oberstaatsanwalts zu erwarten.