Was wurde nicht schon alles über den Bamberger Dom und seine Skulpturen geschrieben: Sie gehören zu den bedeutendsten und am intensivsten erforschten Werken mittelalterlicher Kunst überhaupt. Was damals an der Epochenschwelle zwischen Romanik und Frühgotik entstand, vereint Traditionelles mit hoch Innovativem. Doch bisher scheiterte jeder Versuch, gerade die Domskulpturen in ihrer Gesamtheit zu deuten.
So ist der jetzt in der Ostkrypta präsentierte Prachtband "Der Bamberger Dom als Heilsgeschichtsraum – Teil I: Ezechiels Vision und die Skulpturen der Älteren Werkstatt" ein großer Wurf. Denn erstmals wird der Versuch unternommen, die Bamberger Skulpturen der spätromanischen Bildhauerwerkstatt in ihrer Gesamtheit aus den Auffassungen der mittelalterlichen Zeitgenossen heraus zu deuten.
Dem Autoren und Forscher, Professor Dr. Gerhard Weilandt, Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Universität Greifswald, ist mit diesem Werk weitaus mehr gelungen als ein bloßer "Versuch": Überzeugend entschlüsselt Weilandt das höchst anspruchsvolle Konzept aus Architektur und Skulptur, wie es dies im Hochmittelalter kaum ein zweites Mal gegeben hat.
Professor Weilandt wagte einen fachkundigen "neuen Blick auf alte Bilder". Davon sprach er selbst bei der Buchvorstellung. Mit diesem "neuen Blick" entwickelt er schlüssig, wie die damaligen Baumeister den Bamberger Dom als symbolische Vergegenwärtigung des vom alttestamentlichen Propheten Ezechiel visionär geschauten Salomonischen Tempels gestaltet haben.
Für diese Lesart gibt es in Bamberg selbst eine mittelalterliche Schriftquelle: Ein Ezechiel-Kommentar des Papstes Gregor der Große, die in Kaiser Heinrichs II. Besitz war und jetzt als kostbare Rarität in der Bamberger Staatsbibliothek verwahrt wird. So wirft das erste Kapitel der vorgelegten neuen Studie einen Blick auf die Baugeschichte des Domes als notwendige Voraussetzung für den verfolgten Forschungsansatz. "Ausgangspunkt ist die Frage, ob man in Bamberg, einem intellektuellen Zentrum des Reichs, die Bildthemen der Portale und Chorschranken ohne inneren Zusammenhang bunt zusammengestellt hat, so wie es der Forschung bislang erschien", so Weilandt.
Buchautor
Der Kunsthistoriker zeigt dagegen auf, dass in Bamberg Architektur und Skulpturenprogramm gemeinsam entworfen wurden, untrennbar zusammengehören und nur im Zusammenspiel zu verstehen sind. Die Ältere Werkstatt hat das Programm gespickt mit tiefsinnigen theologischen Verweisen: "Sie waren an eine gebildete Elite adressiert, die bereit war, sich kontemplativ in die Bildwerke zu vertiefen, ihren tieferen Sinn zu erkennen und zu deuten."
Gleichwohl schmälert laut Weilandt das vornehmlich theologisch basierte Skulpturenprogramm nicht den Rang der handwerklich-künstlerischen Ausführung: "Die ästhetische Wirkung, die bis heute fasziniert, erzielten die Künstler."
Weilandt ging auf die Gnadenpforte in der Ostwand des Nordostturmes ein, die gleichermaßen Ausgangspunkt und Schlüssel zu dem Gesamtprogramm der Domskulpturen ist. Der Professor analysierte das kurz vor 1196 zu datierende Tympanon mit den Stifterfiguren. Und kam in diesem Zusammenhang zu dem Ergebnis, dass die populäre Bezeichnung des Domes als "Ekbertdom" durch zeitgenössische Quellen nicht gedeckt ist: "In seiner Amtszeit wurde er vollendet, initiiert hat er ihn nicht."
Leiterin der Hauptabteilung Kunst und Kultur im Erzbischöflichen Ordinariat
Weihbischof Herwig Gössl würdigte den neuen Band auch als eine Chance, "den Bamberger Dom als heilsgeschichtlichen Ort zu entdecken". Der Dom "ist und war ein Ort des Gebetes und des liturgischen Geschehens, ein Stein gewordenes Glaubensbekenntnis". Die Skulpturen als "bedeutenden Schatz mittelalterlicher Bildhauerkunst" zu deuten, sei zudem ein Verdienst von Weilandt.
Auch Birgit Kastner, Leiterin der Hauptabteilung Kunst und Kultur im Erzbischöflichen Ordinariat, sprach davon, dass die Sache des Kirchenbaus nicht die Schönheit sei, sondern in erste Linie die Liturgie: "Kirche ist gebaute Liturgie." Und die Skulpturen seien Teil dieses Bauauftrags mit dem Ziel Verkündigung.
Ein zweiter Buchband über die Skulpturen der Jüngeren Werkstatt soll folgen. Der erste Teil mit zahlreichen Neuaufnahmen von Anna Nöbauer und Simon Dirk Schmidt ist im renommierten Michael Imhof Verlag erschienen, im Shop des Diözesanmuseums und im Buchhandel für 69 Euro erhältlich.