Seit seiner Kindheit ist Gerhard Och im Obstbau tätig. Schon seit Großvater legte Obstplantagen an, rund um das alte landwirtschaftliche Anwesen finden sich Apfel-, Birnen-, Nussbäume und auch Kirschbäume. Die Ochs haben sich bei den süßen Früchten auf die weitverbreitete Sorte "Regina" spezialisiert. Und die trieb vor einigen Jahre im wahrsten Sinne des Wortes seltsame Früchte.
Och fiel bei einem Rundgang auf, dass ein kleiner Zweig an seinen Kirschbäumen andere Früchte trug als der Rest des Baumes. Schädlingsbefall oder Krankheit konnte er schnell ausschließen, auch wenn ihm das, was er sah, völlig unbekannt war: Vier hellrote Kirschen mit einem dunklen Streifen wuchsen da, wo normalerweise dunkelrote Früchte heranreifen.
Natürliche Mutation
Der Nebenerwerbslandwirt hatte eine sogenannte Mutation entdeckt. Das ist eine natürlicherweise vorkommende, spontane Änderung im Erbgut eines Lebewesens, die immer wieder mal vorkommt. Durch diesen Vorgang entstehen zufällig neue Arten von Pflanzen und Tieren. Richtig erklären kann das auch Och nicht. Aber klar ist: Am Anfang gab es eine Art "Ur-Kirsche". Die ist im Laufe der Jahrtausende immer wieder mal mutiert, weshalb sich unser Gaumen einer Vielzahl verschiedenster Kirschen erfreuen darf. Und in Rabelsdorf, dem kleinen malerischen Ortsteil in der Gemeinde Pfarrweisach, gibt es nun einen weiteren Grund, Kirschen zu genießen.
Och forschte im Internet, doch eine derartige Mutation gab es nirgends zu finden. Und damit war klar: "Eine Laune der Natur hat mir etwas außergewöhnliches geschenkt", so der 56-Jährige. Klar war auch, dass die neue Kirschsorte den Namen seiner Enkelin tragen soll: "Natalie". Die Elfjährige ist "total happy", dass diese neue Frucht nun nach ihr benannt ist. Und auch, wenn sie "alle Kirschen mag", wie sie sagt, "Natalie" ist auch für sie etwas ganz Besonderes.
Doch erst einmal musste Och den kleinen, gut zehn Zentimeter langen Zweig sichern und über den Winter im Keller kühl und feucht lagern. Im folgenden Frühjahr wurde der Zweig dann auf eine Vogelkirsche aufgepfropft, die "Mutterpflanze" damit veredelt. Erst drei Jahre später bildete der neue Baum die ersten Früchte: mit hellem Fruchtfleisch und dem unverwechselbaren dunklen, fast schwarzen Streifen entlang der sogenannten Bauchnaht.
Für Och ging es nun darum, einen Sortenschutz anzumelden. Der in Ebern als Montierer arbeitende "Hobby-Landwirt" stieß dabei aber schnell an seine Grenzen – auch finanziell. Och wandte sich an das Bayerische Obstzentrum im oberbayerischen Halbgermoos. Dessen Betreiber, Dr. Michael Aumüller, hat sich unter anderem auf die Züchtung neuer Obstsorten spezialisiert. Und war sofort "Feuer und Flamme" für "Natalie".
Jährlich etwa 200 neue Sorten in Deutschland
Och verkaufte die Rechte an der neuen Kirschsorte – unter der Bedingung, dass der Name "Natalie" verwendet wird – an Dr. Aumüller, und der organisierte den gewünschten EU-weiten Sortenschutz. Ganz so selten sind neue Sorten bei Obst und Gemüse allerdings nicht. Etwa 900 landwirtschaftliche Produkte werden jährlich an das Bundessortenamt geschickt, europaweit sind es sogar etwa 3500 neue Sorten pro Jahr. In Deutschland bestehen rund 200 der eingesandten landwirtschaftlichen Produkte die entsprechenden Prüfungen – darunter auch "Natalie". Die wurde vier Jahre lang auf eventuelle Krankheiten geprüft und bereits "vorläufig zugelassen", wie Dr. Aumüller bestätigt.
Der Obstzüchter hat "Natalie" bereits auf Obstmessen präsentiert und Interessenten für die neue Kirsche sogar in Chile gefunden. Das südamerikanische Land gilt als großer Kirschenproduzent und beliefert in erster Linie den chinesischen Markt. Die süße Frucht aus Rabelsdorf kann also bald auch an der chinesischer Mauer genascht werden.
300 Kirschbäume in Rabelsdorf
"Natalie" kann Gerhard Och ein wenig über den großen Ernteausfall in diesem Jahr hinwegtrösten. Die Eisheiligen haben einen Großteil seiner Äpfel und Kirschen den Garaus gemacht. "Etwa 80 bis 90 Prozent der Früchte sind erfroren", erklärt der Obstbauer bei einem Rundgang durch seine Plantage. Auf der stehen rund 2000 Apfel- und 300 Kirschbäume. Und nun eben auch ein ganz besonderer.
Wer Geschmack an "Natalie" gefunden hat, kann sich an das Landratsamt Haßberge wenden. Das "Sachgebiet Gartenbau und Landespflege" hat Interesse daran, die neue Kirschsorte im Landkreis anzusiedeln und bietet Sammelbestellungen an. Interessenten können sich bis zum 30. September an die Kreisfachberatung, Tel.: (0 95 21) 94 26 21, wenden.
Die Kirsche "Natalie"
Befruchtersorten: Kordia, Stella, Sylvia.
Frucht: sehr groß hellrot mit schwarzem Streifen vom Stiel bis zum Stempelpunkt.
Fruchtfleisch: fest, Geschmack: süß und aromatisch, Platzfestigkeit: hoch. Ertrag: sehr hoch, setzt früh ein.
Besonderheiten: Hingucker, der auch noch hervorragend schmeckt, natürliche Mutante der Sorte "Regina".
Preiskategorie: Excellent.