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HAPPERTSHAUSEN
Mit grünem Daumen auf Torejagd
Gemeinsam spielen die Flüchtlinge Fußball beim Sportverein Friesenhausen.
Foto: Claudia Mazarin | Gemeinsam spielen die Flüchtlinge Fußball beim Sportverein Friesenhausen.
Von unserer Mitarbeiterin Claudia Mazarin
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:22 Uhr

Die Wohnung ist ordentlich und blankgeputzt, hier teilen sich neun junge Männer, sieben Senegalesen und zwei Nigerianer, die Hausarbeit und es klappt sehr gut. Zwei sind im Wechsel für Kochen und Abspülen zuständig, in der Wohnung verbreitet sich ein appetitlicher Duft aus der Küche, in der eine Tischdecke für gemütliches Ambiente sorgt. Alles hört sich an wie in einer normalen Wohngemeinschaft, doch dies ist eine Flüchtlingsunterkunft, in der Männer wohnen, die sich vorher nicht kannten, die unterschiedlichen Religionen angehören und aus verschiedenen Ländern kommen. Doch sie kommen gut miteinander aus, geben sich manchmal vielleicht auch Mühe. Sie teilen sich die Zimmer, schlafen mindestens zu zweit in einem Zimmer, da ist Privatsphäre eher Mangelware. Aber für sie sind Allah und Gott gleich und alle sind bemüht, Deutsch zu lernen, irgendwie sind sie sich fremd und doch vereint.

Die ehrenamtlichen Helfer Conny Mahr und das Ehepaar Monica und Harald Schneider sind mit dabei wie fast jeden Tag. Sie kümmern sich um die neun und machen viel über das normale Maß hinaus. Wo Ämter sich hinter ihrer Bürokratie verstecken, springen sie ein. „Es sind gute Jungs“, betont Conny Mahr immer wieder, und auch wenn der Anfang mit ihnen schwierig war, so läuft es heute doch umso besser.

Die Jungs helfen gerne, fegen wöchentlich den Dorfplatz und reparierten bereits den Spielplatz, sie wollen niemandem zur Last fallen und gerne einer sinnvollen und regelmäßigen Tätigkeit nachgehen, doch das ist von Amtswegen nicht einfach.

Besonders bewegend ist die Geschichte von Gift. Er kam zusammen mit seiner schwangeren Frau nach Deutschland und wurde dann bei der Einreise von ihr getrennt. Sie lebt derzeit in Nordrhein-Westfalen und erwartet in wenigen Wochen das gemeinsame Baby. Zwar unterliegt Gift wie auch die anderen Männer nicht mehr der Residenzpflicht und kann sie besuchen, aber die Entfernung und fehlende finanzielle Mittel sind eine große Hürde. Unter welchen Bedingungen seine Frau, die in Erftstadt bei Köln in einem Camp lebt, ihr Kind zur Welt bringen wird und ob sie nach der Geburt wieder zusammenleben können, ist momentan noch unklar.

Laut bayerischer Sozialministerin Emilia Müller werden Flüchtlinge nach Herkunftsland auf die jeweiligen Bundesländer geschlüsselt und „verteilt“. Offenbar hatte das bei Gift und seiner schwangeren Frau nicht geklappt und auch Anträge des jungen Mannes und Schreiben des Bürgermeisters Dieter Möhring haben bislang nicht dazu geführt, dass das Paar wieder zusammengefunden hat. Je länger der Besuch in der Unterkunft anhält, desto mehr entsteht der Eindruck, dass es seitens der Behörden nur um Vorgänge und Nummern geht und nicht um die menschlichen Schicksale. Auch die freiwilligen Helfer bestätigen diesen Eindruck. Sie seien froh, dass die Gemeinde nebst Bürgermeister engagiert ist, aber vom Landratsamt oder auch der Ausländerbehörde werde ihrer Meinung nach zu wenig getan. Conny, Monica und Harald leisten ihren Beitrag aus Überzeugung und mit viel Herz, aber wenn es um bürokratische Hürden geht, wünschen sie sich mehr Unterstützung.

Baba erzählt, dass er in wenigen Tagen Geburtstag hat, er wird 23, das konnte er auch schon auf Deutsch sagen. Gärtnerisch sei er sehr aktiv, erzählen die anderen. Als ich ihn nach seinem „grünen Daumen“ frage, schaut er verwundert auf seine Hand. Er zeigt stolz seine neue Hose und Jacke, die ihm Atoumane genäht hat. Der gelernte Schneider verbringe viel Zeit im Gemeinschaftsraum, um zu nähen, und macht so aus alten Teilen schöne neue Kleider für seine Mitbewohner. Atoumane ist der Älteste unter den Männern und auch schon am längsten in der Unterkunft. Momentan sei er nicht ganz fit, aber so einen Tiefpunkt hatten sie alle mal, erzählt Conny Mahr. Psychologische Unterstützung gibt es für die Männer nicht und auch die medizinische Versorgung ist problematisch. Wenn sich ein Arzt zur Behandlung fand, obwohl sie keine Krankenversicherung haben, scheiterte es oftmals an der Verständigung.

Über ihre Vergangenheit wollen sie nicht reden. Nach dem letzten Pressebesuch, in dem sie falsch dargestellt wurden, verloren sie ihr Vertrauen in die Presse. Aber auch ohne zu wissen, was in Afrika passierte, oder auf welchem Weg sie nach Europa kamen – es ist vorstellbar, dass keiner von ihnen einfach sein Leben, seine Familie und seine Freunde zurückgelassen hat.

Hier in Happertshausen haben sie Freunde gefunden und sprechen über Conny, Monica und Harald als ihre neue Familie. Es gibt in Happertshausen viele helfende Hände, die den neun Afrikanern beim Erlernen der Sprache, Erledigung der Einkäufe und vielen weiteren, meist alltäglichen, Dingen unterstützen. Im Gemeindeleben sind sie auch gut integriert, schauen beim Tischtennis in Happertshausen zu und spielen alle gemeinsam Fußball beim Sportverein Friesenhausen. Beim Training habe ich sie besucht und konnte erleben, dass Fußball über alle nationalen Grenzen hinaus ganz hervorragend funktioniert und das Sprachbarrieren hier nicht hoch sind. Zwei von ihnen waren auch beim Spiel am Sonntag in Unterhohenried aufgestellt, hier setzt Leo Mahr, Abteilungsleiter beim SV Friesenhausen voll auf sie, denn im Abstiegskampf müssen alle zusammenhelfen und viele Tore schießen.

Baba hatte einen klaren Auftrag: mindestens fünf Tore sollte er am Sonntag ins Netz bringen, er lacht und bittet um göttlichen Beistand – oder Allahs, das ist ihm egal. Leider klappte es nicht, Friesenhausen unterlag in Unterhohenried mit 0:5.

Beim Training des SV Friesenhausen kann man erleben, dass Fußball über alle nationalen Grenzen hinaus ganz hervorragend funktioniert und das Sprachbarrieren hier nicht hoch sind.
Foto: Claudia Mazarin | Beim Training des SV Friesenhausen kann man erleben, dass Fußball über alle nationalen Grenzen hinaus ganz hervorragend funktioniert und das Sprachbarrieren hier nicht hoch sind.
 
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