
Wer die Unendliche Geschichte gesehen oder gelesen hat, kennt wahrscheinlich den Elfenbeinturm, von dem aus das Land Fantasien beherrscht wird. Bei manchen Wissenschaftlern hat man ebenfalls das Gefühl, dass sie in einem solchen Turm sitzen.
Sie unterrichten ihre Studenten oder diskutieren auf hohem Niveau mit ihren Fachkollegen. Für Leute, die das Fach nicht studiert haben, klingt das oft wie Zauberformeln, die man nicht versteht. Stattdessen gibt es viele Gerüchte, Halbwissen und Verschwörungstheorien, die aus den wenigen Begriffen, die man aufgeschnappt hat, entstehen.
Und dann gibt es Leute wie Harald Lesch. Der ist Professor für Astrophysik, hat aber gleichzeitig ein besonderes Talent, Dinge so zu erklären, dass sie auch ein interessierter Laie verstehen kann. So bringt er als Moderator von Fernsehsendungen einem breiten Publikum sein Fach nahe.
Im Interview sprach er über die Bedeutung von Wissensvermittlung, die sich nicht nur an ein Fachpublikum richtet.
Lesch: Für die Stabilität einer Gesellschaft ist es ja ganz wichtig, dass niemand sich betrogen fühlt und niemand sich vorkommt, als wäre er umgeben von Leuten, deren Ziele er nicht kennt. Deswegen ist Transparenz alles und die Wissenschaft hat auch die Verpflichtung, transparent zu sein.
Grade, weil sie ja auch von den Steuerzahlern finanziert wird eben nicht nur so, dass die Leute sagen: „Wir geben denen mal Geld, damit die irgendwas machen. Sondern wir fragen mal nach, was machen die da eigentlich? Wo führt das hin? In welcher Form nützt uns das was?“ Aber auch so was wie stolz zu sein auf die eigene Kultur, dass man sich so was leisten kann.
Das Thema heute Abend zum Beispiel: Das Higgs-Teilchen ist jetzt nichts, wo man sagen würde, das nützt dem Augenoptiker was oder dem Metzger, nicht mal dem Computerspezialisten, aber es ist eine wichtige Sache zu wissen: Was sind die Vorstellungen von der Welt, die wir haben? Ob die völlig falsch sind, oder ob wir auf dem richtigen Weg sind. Dieses Vertrauen brauchen Menschen, grade in einer immer komplexer werdenden Welt, gegenüber Experten.
Insofern ist das, was wir machen, Aufklärung im besten Sinne. Und Aufklärung, das ist ja nun schon lange her, dass Kant das aufgeschrieben hat: „Der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Bei dem, was heute alles an Information produziert wird, braucht die Öffentlichkeit Hilfe von Leuten, die zumindest ein bisschen näher dran sind.
Ich finde es immer schön, am Tag der Offenen Tür in der Universität zu sehen, wie positiv das aufgenommen wird, aber auch, welche kritischen Stimmen es gibt. Und es sollte natürlich für den Wissenschaftler auch eine Lust sein, über das zu sprechen, was er macht.
Ich könnte Sie ja auch interviewen: Was machen Sie? Warum muss es Journalisten geben? Dann würde man natürlich das Hohe Lied singen auf die Vierte Macht und die Kontrollfunktion, es gibt ja auch genügend Fälle. Und so hätte jeder von uns was zu erzählen, wo die anderen sagen: „Respekt! Das ist schon wichtig“.
Lesch: Das kommt immer darauf an, was man für berichtenswert hält. Viele Kleinigkeiten, die im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess wichtig sind, sind ja gar nicht wichtig um eine Grundlage zu verstehen. Oft ist es so, dass man mit einfachen Gedanken, Bildern, Metaphern oder Vergleichen einen Eindruck gewinnen und auch transportieren kann, worum es eigentlich geht.
Nehmen wir das Thema heute Abend, da geht es ja um den großen Teilchenbeschleuniger in der Schweiz. Wenn ich sage: „Da steht jemand in Lissabon und schießt eine Stecknadel in Richtung New York, und dort schießt einer eine Stecknadel Richtung Lissabon und die beiden treffen sich im Atlantik. Das ist die Präzision, mit der da gearbeitet wird.“ Da sieht man schon: Man ist erst mal völlig sprachlos als Laie. Das soll ja nur zeigen, mit welchem Aufwand da gearbeitet wird.
Und was viele physikalische Effekte betrifft, muss man wirklich sagen: Es geht, den groben Rahmen so zu erzählen, dass nichts davon falsch ist, aber dass es auch eben nicht die volle Dröhnung ist. Für die volle Dröhnung muss man dann unter Umständen Physik studieren oder muss sogar Physikprofessor werden – Und selbst das reicht dann wahrscheinlich auch immer noch nicht.
Also, man muss vereinfachen, aber es ist nicht so, dass damit auch ein Informationsverlust verbunden ist. Ich finde auch bei solchen Vorträgen: Es ist eine Genussfrage, und zwar ein Genuss für die Vernunft. Nämlich im Sinne von: Es klingt plausibel, es ist widerspruchsfrei, er hat das begründet mit Argument A, das ich verstanden habe, dann kommt Argument B und C. Man muss sich halt ein bisschen was überlegen dabei.
Lesch: Wenn’s falsch ist. Ganz einfach.
Lesch: Das werde ich so oft gefragt. Kann sein, dass es diese abfälligen Bemerkungen gibt, aber nicht in meiner Gegenwart. Ich kann Ihnen sagen: Ich werde von vielen Physik-Fakultäten in Deutschland eingeladen, um einen Vortrag zu halten. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass die mich für einen totalen Dampfplauderer halten. Ganz offensichtlich denkt man: „Naja, was der da macht ist nicht so schlecht.“
Das mag sich auch darin widerspiegeln, dass ich eine Medaille bekommen habe von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft für Wissenschaftspublizistik und ich kann Ihnen versichern: Kollegenlob ist im Universum eine der seltensten Flüssigkeiten. Von Physikern ganz besonders.
Ich bin sehr stolz, dass die DPG, also praktisch die Standesgesellschaft der Physiker, mich ausgezeichnet hat, da war ich völlig baff. Seitdem bilde ich mir ein, dass es kaum einen Kollegen gibt, der sagen würde: „Was der da erzählt ist ja völliger Unsinn.“
Vielleicht noch eine Anekdote am Rande: Ich habe einige Kollegen, deren Ehefrauen haben mir gesagt: „Harald, du hast mir endlich mal erklärt, was mein Mann macht!“
Lesch: Aber Herr Hänsch hat sich nicht darüber mokiert. Das ist ja auch klar: Wenn ich, der ich Öffentlichkeitsarbeit betreibe, von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werde, das wäre ja kacke. Theo Hänsch macht keine Öffentlichkeitsarbeit, also ist es auch kein Wunder, dass er von der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen wird wie ich.
Insofern muss man immer gucken, wen man fragt. Unter Physikern auf der Welt ist Theo Hänsch eine Ikone.
Lesch: Die amerikanischen Kollegen haben ja einen ganz anderen Zugang zur Öffentlichkeitsarbeit, als das bei uns der Fall ist, bei denen findet das ja schon seit Ewigkeiten und drei Tagen statt. Viele Universitäten dort sind ja privat finanziert und sind damit drauf angewiesen, dass die Öffentlichkeit erfährt, was da los ist.
Wir haben in Deutschland Gott sei Dank nicht diese amerikanischen Verhältnisse und trotzdem haben es die Leute verdient, so gut es geht informiert zu werden. Das heißt, die Amerikaner haben da eine ganz andere Tradition. Da gibt’s überhaupt keine Frage, dass da jemand einen öffentlichen Vortrag hält.
Inzwischen ist es ja bei uns auch so. Grade junge Kollegen haben damit kein Problem mehr. Die BBC und auch amerikanische Sender haben ja teilweise recht rabiate Methoden, Dinge darzustellen, da sind wir in Deutschland noch weit davon entfernt. Ich höre immer wieder: „Wäre toll, wenn wir das auch machen könnten“, aber irgendwie kriegen wir’s nicht hin. Aber wir sind auf einem guten Weg.
Lesch: Die einfachste Art ist, diese Leute ernst zu nehmen mit dem Satz: „Mal angenommen, sie hätten recht, welche Konsequenzen würden sich daraus ergeben?“ Also im Grunde genommen das feine Besteck der Vernunft zu nehmen. Und dann wird man darauf kommen – und da dürften ja auch die Kreationisten kein Problem damit haben – dass es vor einiger Zeit auch innerhalb der Kirche Vertreter gab wie Wilhelm von Occam, der ganz klar gesagt hat, dass das Argument, das die wenigsten Annahmen braucht, zu bevorzugen ist.
Man muss sie auf die Ebene führen: „Wie gewinnst du eigentlich einigermaßen sichere Erkenntnis?“ Dann sind sogar die ganzen pseudowissenschaftlichen Entwürfe hochinteressant, woran man seine eigenen Argumente schärfen kann.
Und ich finde nicht, dass jemand, der sich öffentlich mit einem Kreationisten auseinandersetzt, dem damit irgendeinen besonderen Stellenwert gibt. Er tut das, was man mit allen Menschen tun sollte, nämlich ihnen Respekt entgegenbringen und zu sagen: „Aha, Sie glauben das also“. Man kann Deutungen glauben, aber an Tatsachen, wie zum Beispiel die Glühbirne, glaub ich nicht, sondern die Glühbirne ist da! Das heißt, ich hab es von vorneherein mit einer Interpretationsebene zu tun, aber bei vielem, was wir in den Naturwissenschaften machen, da geht es um knallharte Tatsachen.
Und wenn dieser Kreationist dann vielleicht noch mit dem Auto ankommt, wo ein Navigator drin ist, dann muss er sich wirklich fragen lassen: „Wie passt das zusammen, dass du dieses Gerät verwendest, was von einem Weltbild ausgeht oder überhaupt nur entwickelt werden konnte, weil da offensichtlich viele Zusammenhänge stimmen müssen, die du hier massiv bestreitest?“
Dann kann man hoffen, dass jemand überzeugt wird, aber ob das gelingt, das wage ich zu bezweifeln. Solche Diskussionen sind vor allem wichtig für die Menschen, die am Rand stehen und dazu zu neigen, entweder zu der einen oder zu der anderen Position zu kippen. Aber irgendwelche fundamentalistischen Wissenschaftskritiker kann man genauso wenig überzeugen wie alle anderen Fundamentalisten. Aber man muss sich eben immer wieder in den Ring begeben.
Lesch: Das ist doch ein großes Kompliment an die Wissenschaft, dass ausgerechnet die Naturwissenschaften, die so hart kritisiert werden, den Bestand an Worten für die esoterischen Überlegungen liefern. Ist doch wunderbar, offensichtlich scheint es wohl nicht so schwachsinnig zu sein, was wir da produzieren.
Grade Einstein wird ja da gerne herangezogen. Das ist doch ein großes Lob an die Wissenschaften, dass selbst die Esoteriker nicht darum herumkommen das zur Kenntnis zu nehmen und das sogar verwenden. Im Prinzip gilt da das Gleiche wie vorher: Im Grunde genommen kann man diesen Leuten nicht helfen. Die sind so, die denken das so, was soll man dazu sagen?
Lesch: ...aber keiner kocht.
Lesch: In Prozenten kann ich Ihnen das nicht sagen, ich kann Ihnen nur sagen, dass es viele Schüler und Studenten gibt, bei denen viel ankommt, und bei vielen Leuten, die sich dafür interessieren und die danach weitermachen. Die sich einfach meine Fernsehsendung als eine Art von Appetitmacher holen und dann sagen: „Mensch, das will ich jetzt aber mal genauer wissen.“
Der Vergleich zum Kochen ist insofern ein bisschen schlecht, denn beim Kochen handelt es sich um etwas rein praktisches, was uns unmittelbar betrifft. Bei vielen Themen, bei denen die Menschen mir zuhören, da geht’s um was Interessantes. Nicht um was Relevantes wie Essen, sondern um was Interessantes.
Manchmal denk ich auch, wir sind wie die Leute in der Werbung. Die wollen ja auch nicht, wenn sie Werbung schalten, dass wir direkt eine Kaufentscheidung treffen. Sondern dass Sie sich irgendwann mal dran erinnern, wenn Sie in eine Situation kommen, wo Ihnen das wieder begegnet.
So könnte es ja auch eines Tages passieren, dass einer einem irgendwas aus der Astronomie erzählt und man erinnert sich: „Moment, der Lesch hat mir doch vor vier Monaten was ganz anderes erzählt!“ Da bleiben auch Sachen auf einer ganz langen Zeitschiene hängen, wo ich eigentlich nur dran interessiert bin, dass jemand seine Vernunft dran trainiert. Nicht so sehr, dass alle Einzelheiten dann da sind.
Ich kriege Briefe: „Wir haben da neulich drüber diskutiert und Ihre Ausführungen haben mir sehr geholfen“. Ich glaube, man sollte die Bevölkerung nicht unterschätzen.

