Am Gedenktag der Reformation hatte das Evangelisch-Lutherische Dekanat – wie schon seit Jahrzehnten üblich – zu einem Festabend eingeladen. Die Festrede zum Themenjahr „Reformation und Politik“ der Lutherdekade hielt die Grünen-Politikerin Christine Scheel.
Traditionell wurde der Festgottesdienst umrahmt und ausgestaltet durch den Bezirksposaunenchor unter der Leitung von Jürgen Koch und von Dekanatskantor Matthias Göttemann an der Orgel. Den liturgischen Teil übernahmen in bewährter Weise neben Dekan Jürgen Blechschmidt die beiden Synodalpräsidenten Gisela Schott und Gerhard Koch.
Dekan Blechschmidt legte seinem geistlichen Impuls ein Wort aus dem ersten Petrusbrief zugrunde, wo von dem Verhältnis der Christen zur Obrigkeit die Rede ist. „Fürchtet Gott und ehrt den König“ – diese Aufforderung berge einen Interessenkonflikt in sich, der über Jahrhunderte hinweg in der Geschichte immer wieder zu finden sei. Im Hinblick auf die Verhältnisse im sogenannten Dritten Reich zitierte der Dekan die fünfte These der Barmer Erklärung, wo es unter anderem heißt, dass weder der Staat in die Bestimmung der Kirche eingreifen noch die Kirche zu einem Organ des Staates werden solle. Zusammenfassend meinte der Prediger: „Christen bringen sich als loyale, aber auch kritische Staatsbürger ein.“
Christine Scheel – mit Politik und Kirche bestens vertraut – stellte eingangs den Bezug zwischen dem Referatsthema und dem Reformator Martin Luther her und versuchte „einen kleinen gesellschaftlichen Brückenschlag über fünf Jahrhunderte“. Ihrer Meinung nach ist Luther zum Urbild der Zivilcourage geworden, denn er hat ein Beispiel für zivilen Ungehorsam gegeben und den aufgeklärten sowie mündigen Staatsbürger um Jahrhunderte vorweggenommen. Tugenden, ohne die kein Gemeinwesen auskommt; politische Verhaltensweisen, die seither für den protestantischen Staatsbürger zum Tugendkatalog in der Demokratie gehören.
Scheel erinnerte an den Mauerfall vor 25 Jahren, musste aber an dieser Stelle auch „etwas Wasser in den guten Wein schütten“. Denn auch noch heute schlügen mitunter Ablehnung, Aggression und Angst den Asylbewerbern entgegen und – so die Referentin wörtlich – „ganz ungemütlich wird mir, wenn bei Demonstrationen gegen ein neues Asylbewerberheim der Slogan 'Wir sind das Volk ...' pervertiert wird, um andere auszugrenzen.“
Zudem zitierte Scheel aktuelle Aussagen von Politikern. Etwa die eines ehemaligen Ministerpräsidenten, der erkennt, dass es Situationen geben kann, wo Politiker und Staatsbürger einerseits und der Auftrag der christlichen Botschaft andererseits auseinanderfallen – oder zumindest nur schwer zur Deckung gebracht werden können. Aber – so ein anderer Politiker – man dürfte sich nicht abwenden von dem, was in der Welt passiert, auch wenn die Lage noch so verfahren sei und Menschen zunehmend meinten, dass man „da ohnehin nichts ausrichten könne“ (ein Satz, den die bekannte Theologin und Pazifistin Dorothee Sölle „gottlos“ nannte).
Abschließend warf Scheel noch einen Blick auf einen weiteren Lebensbereich, der gesellschaftliche Verantwortung geradezu zwingend fordert, nämlich die ökologische Verantwortung. Dabei geht es in ihrem Verständnis nicht nur darum, den eigenen Lebensstil einem laufenden „Öko-Check“ zu unterziehen, sondern auch, durch öffentliches gesellschaftliches oder politisches Engagement eine Politik der Nachhaltigkeit zu befördern. Als augenfälligstes Beispiel nannte sie die Energiewende, „so wir sie endlich hinbekommen und nicht politisch die entscheidende Phase der Realisierung vermasseln“.
Im Hinblick auf den Reformationstag meinte Christine Scheel – und da sprach sie wohl den meisten der Gottesdienstbesucher aus dem Herzen –, dass dieser nicht nur einmalig im Jubiläumsjahr 2017 als Feiertag in Bayern gewährt werden dürfe, sondern ab diesem Datum als voller Feiertag eingeführt werden sollte.
Christine Scheel war von 1994 bis 2012 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1998 bis 2005 Vorsitzende des Finanzausschusses, dann bis 2009 Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. Ehrenamtlich ist Scheel im Bereich der Evangelischen Kirche engagiert und wirkte sechs Jahre lang als Landessynodale.