
Er ist dabei: Eduard Lintner, politisches Urgestein der CSU, wird es live erleben, wenn Roman Lob am Sonntag nach Mitternacht (Ortszeit) seinen Titel „Standing Still“ beim Eurovision Song Contest in Baku singt. „Ich bin eingeladen worden von meiner Partner-Organisation,“ so der 68-Jährige, der sich 2009 nach 33 Jahren aus dem Bundestag zurückzog. Seitdem kümmert er sich von seinem Berliner Büro aus „um die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Aserbaidschan“.
Begleitet von seiner Frau, weilt er seit Mittwoch in der Hauptstadt von Aserbaidschan, mit Blick aufs Kaspische Meer. Natürlich verbinde er das Angenehme mit dem Nützlichen, macht er deutlich. Er führe „eine Reihe von Gesprächen über mögliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Medizin“, deutet Lintner an.
Was den musikalischen Wettbewerb angeht, lässt er sich offenbar weitgehend überraschen. Er habe zwar die Bestätigung, „dass wir teilnehmen werden“, ein Ticket aber noch nicht in Händen. Er gehe davon aus, dass sich seine Gastgeber um gute Plätze gekümmert hätten.
Was von Roman Lob, „unserem Mann für Baku“ zu erwarten ist, hat ihn bislang nicht beschäftigt. „Keine Ahnung“, räumt Lintner ein. „Aber ich halt ihm die Daumen.“
Soviel zur Kultur. Was die Politik und die Entwicklung Aserbaidschans angeht, da hat er hingegen wesentlich mehr zu sagen. Themen wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte in dem diktatorisch geführten Land wurden im Sog des Eurovision Song Contests nach oben gespült und werden brandaktuell diskutiert. Viele dieser Darstellungen hält Lintner „für übertrieben“. Natürlich hätten die alle Probleme mit der Entwicklung der Demokratie, sagt der ehemalige Parlamentarier mit Blick auf Länder wie Russland, Rumänien und Ukraine. „Aber man muss ihnen etwas Zeit geben“, betont er, „um den Standard zu erreichen, den wir erwarten.“ Auch in Europa sei die Demokratie nicht in 15 Jahren gewachsen.
Lintner ist spürbar bemüht um Mäßigung, gibt sich diplomatisch, versucht Brücken zu bauen und wirbt um Verständnis. „Es hilft nicht, zu schimpfen oder zu boykotieren,“ sagt er. „Man muss mit ihnen reden.“ Und das tut er offenbar.
Die Zustände in Aserbaidschan seien „nicht mehr so wie vor 20 Jahren in der Sowjetunion“, macht Lintner deutlich. Beispielsweise gebe es keine Reisebeschränkung mehr. Die Jugend sei modern gekleidet. Aserbaidschan habe es geschafft, die Armutsquote dank der Einnahmen aus Öl und Gas stark abzusenken. „Sie tun hier mehr als andere, dass die Einnahmen auch der Bevölkerung zugutekommen“, so sein Eindruck.
Die Opposition ist zersplittert
Es gebe sogar oppositionelle Zeitungen – wenngleich von nicht sonderlich großer Bedeutung. Die Opposition ist sich laut Lintner „alles andere als einig“ und „ziemlich zersplittert“. Sie sei deshalb derzeit „nicht in der Lage, das Land gestalterisch zu übernehmen.“ Ruhe sei „sicher von Vorteil“.
Und verhältnismäßig ruhig scheint es in dem Land östlich der Türkei zu sein. Zumindest gibt es laut Lintner keine religiösen Auseinandersetzungen. 90 Prozent der Bewohner seien Muslime, verdeutlicht er. „Und dennoch leben sie hier in Baku friedlich nebeneinander mit Christen und Juden. „Sie leben hier eine Form des Islam, mit dem der Westen ohne Probleme auskommen könnte“, sagt Lintner, der diese religiöse Toleranz „vorbildlich“ nennt. „Auch das gehört zur Wahrheit“.
Wenn es sich die deutsche Fernsehnation am Samstagabend um 21 Uhr im Sessel bequem macht, dann ist es in Baku schon Mitternacht. Knapp 4000 Kilometer weiter südöstlich geht die Sonne schon drei Stunden früher unter. Die Lintners haben sich auf ein anstrengendes Finale eingestellt. Sie rechnen mit einer dreistündigen Show und müssen schon zwei Stunden später am Flughafen sein. Denn um 7 Uhr startet das Flugzeug in Richtung Heimat. „Da haben wir grad' noch Zeit, um ins Taxi zu steigen.“