Ohne Menschen wie sie würde die Gesellschaft nicht funktionieren. Das Lob, das ihr im festlichen Rahmen des Schlosses in Friesenhausen Innenstaatssekretär Gerhard Eck gerade ausgesprochen hat, nimmt Olga Guerra bewegt, sicher auch ein wenig stolz, aber vor allem so entgegen, als wäre ihre Leistung doch das Selbstverständlichste auf der Welt. Über ein halbes Jahrhundert hat sie ihren Sohn, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, umsorgt. Für diese außerordentliche Leistung überreichte Eck, zusammen mit Aidhausens Bürgermeister Dieter Möhring und Landrat Wilhelm Schneider der Aidhäuserin das Bundesverdienstkreuz am Bande. Wie Eck, betonte auch Möhring: Das Leben von Olga Guerra ist geprägt von der Fürsorge für andere Menschen.
Im August 1931 wurde sie als Ältestes von sechs Kindern des Schuhmachers Albin Walter und seiner Ehefrau Emilie in Aidhausen geboren. Olga arbeitete nach der Schulzeit zunächst in Stuttgart, später in Schweinfurt und Hofheim, als Dienstmädchen und Köchin. „Am Anfang hatte ich viel Heimweh“, erinnert sich die 85-Jährige im Gespräch mit der Redaktion. „Und wie lange ich damals für einen Wintermantel oder für Schuhe arbeiten und sparen musste.“ Zu Hause unterstützte die junge Frau ihre Eltern und kümmerte sich um die jüngeren Geschwister.
Sohn Thomas war schon nach der Geburt immer krank und auffällig
1957 heiratete Olga Walter den Italiener Adamo Guerra, der seinem Bruder nach Deutschland gefolgt war. Dieser war während des Krieges als Erntehelfer in Aidhausen im Einsatz gewesen und auch nach Kriegsende geblieben. Bis zur Geburt des ersten Sohnes Gerhard arbeitete das junge Ehepaar in der Metallindustrie in Baden-Württemberg. 1958 kehrten die beiden nach Aidhausen zurück, wo Adamo Guerra Arbeit im Straßenbau fand.
Am Heiligen Abend im Jahr 1960 kam Sohn Thomas zur Welt. Er sei schon ab der Geburt immer krank und auffällig gewesen, „aber niemand gab mir Auskunft“, sagt Olga Guerra. Die Bemerkung „Mongoloide“ auf den Rezepten des Arztes sei ihr aufgefallen, habe ihr aber nichts gesagt. „Sie werden nicht viel Freude mit ihrem Thomas haben“, habe dieser ihr auf Nachfrage lediglich erklärt. Erst ein altes Gesundheitsbuch der Nachbarin habe ihr schließlich die Augen geöffnet. „Da bin ich erst einmal in ein Loch gefallen.“ Noch heute treten der Seniorin bei der Erinnerung die Tränen in die Augen. Doch der Arzt habe unrecht gehabt: „Wir hatten sehr viel Freude an Thomas.“
Zwei Jahre nach Thomas wurde Tochter Anita geboren. 1969 vervollständigte Tochter Margit die Familie. Mit viel Fleiß und Sparsamkeit erfüllten sich die Guerras den Traum von einem eigenen Haus. Adamo Guerra nutzte neben seiner Schichtarbeit jede Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen. Seine Frau arbeitete bei Bauern mit und nahm Pflegekinder und Tageskinder aus dem Ort in ihre Obhut. „Die waren für uns immer wie unsere eigenen Kinder“, sagt Olga Guerra, „wenn eines wieder weg musste, hat meinem Mann und mir das Herz geblutet.“
Gelebt wurde von den Früchten, die der Garten her gab. „Wir haben einfach an jedem Strick gezogen“, sagt Olga Guerra. Doch: „Wir sind niemandem etwas schuldig geblieben und haben alles redlich abgezahlt“ – das ist ihr wichtig.
Die Pflege der Eltern und der Tod des Mannes
Als die Eltern krank und gebrechlich waren, wurden sie von ihrer Tochter Olga gepflegt. Oft musste sie über Nacht dortbleiben. „Gott sei Dank konnte ich mit dem Fahrrad schnell hin und her fahren.“ 1986 erkrankte ihr Mann Adamo und starb ein Jahr später im Alter von 56 Jahren. „Es waren schwere Zeiten dabei“, blickt Olga Guerra zurück, „aber wir waren trotzdem zufrieden und glücklich.“ Sohn Thomas besuchte die damalige Sonderschule in Oberlauringen.
Von 1979 bis 2001 arbeitete er in der Behindertenwerkstatt der Lebenshilfe in Augsfeld. Auch wenn er sich nie selbst versorgen oder artikulieren konnte, was er wollte – seine Mutter hat die eigene Sprache ihres Sohnes immer verstanden.
Sie setzte alles daran, sein Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Ausflüge, Kegeln, Theaterbesuche und Reisen gehörten dazu.
„Thomas hat die Welt gesehen“, sagt Olga Guerra. „Wir waren mit ihm in Italien und in Griechenland, in der Türkei, in Bulgarien und sogar in Russland“, sagt sie. Sie ist sichtlich stolz. Sogar nach Lourdes sei sie mit ihrem Sohn geflogen. Um verreisen zu können, habe die Familie stets viel gespart und immer Schnäppchen gebucht.
Noch mehr als für den Urlaub begeisterte sich Thomas über den Besuch von Gottesdiensten. „Das war seine Seligkeit, sein Ein und Alles“, lacht seine Mutter. Es habe nicht jedem gefallen, wie lautstark Thomas mitgesungen habe. „Aber die Priester hatten immer Verständnis und sagten zu mir, ich solle ihn doch lassen, wenn ich ihn bremsen wollte.“
Thomas baut körperlich immer schneller ab
Viele seiner Kameraden aus der Behinderteneinrichtung seien inzwischen verstorben. „Als Behinderter mit Down-Syndrom hat er ein sehr hohes Alter erreicht“, sagt Olga Guerra. Jetzt sei es nicht mehr einfach mit ihm. Thomas baue körperlich immer schneller ab. Sein Verhalten werde schwieriger; anstrengende Eigenheiten treten verstärkt auf. Seit 2002 betreut Olga Guerra ihren Sohn zu Hause, rund um die Uhr. „Manchmal ist es schon sehr anstrengend“, gesteht die 85-Jährige, Thomas habe nicht umsonst Pflegestufe III.
Um die körperliche Pflege kümmert sich inzwischen Tochter Margit, die mit im Hause lebt. Aber die Zubereitung aller Mahlzeiten und das Füttern lässt sich Thomas Mutter nicht nehmen. „Zum Glück haben wir einen Dorfladen im Ort.“
Tägliches Spielen, Bücher anschauen und Blättern in seiner alten Schulmappe gehören ebenso zum Tagesablauf wie zahlreiche Umarmungen. „Er braucht schon sein Leben lang viel Liebe und Aufmerksamkeit“, sagt Olga Guerra, die abends oft stundenlang bei ihrem Sohn am Bett sitzt und seine Hand hält, bis er endlich zur Ruhe kommt. Sie denke oft darüber nach, wie lange sie es noch schaffen könne. „Aber ich bekomme immer wieder die Kraft, damit es noch einen Tag geht.“
Und genau dies wünschten ihr bei der Verleihung des Ordens die Gratulanten, darunter auch Werkstattleiter Harald Waldhäuser von der Werkstatt für behinderte Menschen Augsfeld. Er habe Hochachtung und Respekt vor ihrer Lebensleistung, so Gerhard Eck, „einem Leben, das von Kindheit an davon geprägt ist, für andere dazusein“.
Tolle Frau!