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ZEIL
„Leute, nehmt uns mit ins Boot“
Von unserem Redaktionsmitglied Martin Sage
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:25 Uhr

Immer mehr Haßbergler, die in kommunalpolitischer Verantwortung stehen, wollen es nicht einfach so hinnehmen, dass sie beim geplanten Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA kein Wörtchen mitreden dürfen.

ÖDP, Grüne und Linke haben – getrennt voneinander – beantragt, dass der Landrat und Experten seiner Kreisverwaltung im Kreistag Auskunft darüber geben, welche Auswirkungen sie von TTIP auf Kreis- und Gemeindeebene erwarten, insbesondere, was die kommunale Daseinsvorsorge anbelangt. Es heißt, dass Landrat Wilhelm Schneider dem Wunsch zum Jahresende hin nachkommen will, eine Bestätigung seinerseits war gestern aber nicht zu erhalten.

Das Thema TTIP erreicht – obwohl oder gerade weil zum Verhandlungsstand so gut wie nichts zu erfahren ist und das Befürchtungen nährt – auch die Gemeindeparlamente. Viele Stadt- und Gemeinderäte wollen am Ratstisch wenigstens einmal darüber reden dürfen, was das Handels- und Investitionsabkommen für Folgen haben könnte etwa für das eigene Stadtwerk als Trinkwasserversorger. Die Stadt Zeil, wo der Rat am Montagabend tagte, mag hier als Beispiel für viele Kommunen stehen, in denen besorgte Räte TTIP auf die Tagesordnung bringen (wollen).

Unter den Räten der Wein- und Fachwerkstadt war es Harald Kuhn (SPD), der einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Die Stadt solle den Deutschen Städte- und Gemeindebund bitten, mit Forderungen an die EU-Kommission und die Bundesregierung heranzutreten, heißt es im Antrag. Und die Forderungen Kuhns werden sich in ähnlicher Form wohl noch öfters in den Tischvorlagen finden (siehe unten): Vertreter der Kommunen sollen an den Verhandlungen teilnehmen und die kommunalen Mandatsträger über die für sie relevanten Inhalte informieren, steht an oberster Stelle. Und darunter, dass die Vertragstexte von TTIP und TISA (Handel mit Dienstleistungen) vor Verabschiedung den Interessenverbänden der Kommunen zur Kommentierung vorgelegt werden.

Fast wäre Kuhns Antrag im Zeiler Stadtrat aber von der Tagesordnung gestrichen worden. Michael Brehm (CSU) beantragte, ihn abzusetzen, ihm schlossen sich in der Abstimmung acht Räte an. Auch ihre Begründung wird man vielerorts hören: „Schuster bleib bei deinen Leisten“, lautet sie, oder – auf die Lokalpolitik gemünzt: Gemeinderäte sollen sich ausschließlich mit dem befassen, was den unmittelbaren Wirkungskreis ihrer Gemeinde betrifft.

„Das sehe sich aber schon etwas anders“, sprang Bürgermeister Thomas Stadelmann seinem Parteifreund Kuhn zur Seite. Das Freihandelsabkommen werde Auswirkungen bis in die Kommunen haben, also sei man in seinem Wirkungskreis auch betroffen. Dafür habe man aber Interessensvertreter wie den Städtetag, konterte Michael Brehm. „TTIP kann uns irgendwann ganz böse auf die Füße fallen“, also sei es auch gerechtfertigt, das Thema am Ratstisch wenigstens anzudiskutieren, erwiderte der Bürgermeister. Wie viele Kommunalpolitiker sorgt er sich um die bewährte Daseinsvorsorge in kommunaler Hand, sprich in einem nicht-liberalen Markt, der durch Freihandel mit den Vereinigten Staaten „zwangsliberalisiert“ werden könnte – vor allem im Bereich der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. „Es geht um unsere Zukunft, ob wir zum Beispiel künftig Zeiler Wasser kriegen oder unser Wasser von außen reingedrückt bekommen“, nannte Harald Kuhn ein Beispiel.

Dieter Köpf (CSU) teilte dererlei Sorgen, nicht aber die Ansicht, dass nun jede einzelne Kommune über diese Problematik befinden soll. Sonst müsse man mit gleicher Begründung auch die Asylpolitik verhandeln, die ja auch Einfluss bis in die Gemeinden habe. Doch Bürgermeister Thomas Stadelmann wollte lieber ein Zeichen setzen: Bezüglich der Ausarbeitung des Freihandelsabkommens müssten die Kommunen der hohen Politik signalisieren: „Leute, so geht es nicht – nehmt uns mit an Bord.“

Und gegen diesen Fingerzeig hatte der Zeiler Stadtrat schließlich nichts einzuwenden, der mit nur einer Gegenstimme praktisch geschlossen dafür stimmte, dass sich das Stadtoberhaupt mit den Forderungen (siehe Infobox) an den Gemeinde- und Städtetag wendet. Andere Kommunen werden vermutlich mit ähnlichen Wünschen folgen.

Forderungen der Stadt Zeil an EU-Kommission und Bundesregierung zum Freihandelsabkommen

• Mindestens ein Vertreter für die deutschen Kommunen nimmt ab sofort an den Verhandlungen teil und informiert die kommunalen Mandatsträger in Deutschland über alle ihren Zuständigkeitsbereich betreffenden Inhalte der Verhandlungen;

• Bevor sie verabschiedet werden, werden die ausgehandelten Vertragstexte von TTIP und TISA den Interessenverbänden der Kommunen und kommunalen Mandatsträgern in Deutschland zur Kommentierung vorgelegt;

• Für diese Prüfung ist ein ausreichender Zeitraum vorzusehen;

• Die Interessenverbände der deutschen Kommunen bekommen vor der Abstimmung über diese Abkommen die Möglichkeit zur Stellungnahme und Diskussion vor dem EU-Parlament beziehungsweise dem Deutschen Bundestag und Bundesrat;

• Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP ist dafür Sorge zu tragen, dass bestehende europäische Umwelt-, Gesundheits- und Sozialstandards künftig nicht als „Investitionshemmnisse“ von einem Schiedsgericht ausgehebelt werden können;

• Der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge unter Einschluss der öffentlichen Dienstleistungen (zum Beispiel Wasserversorgung und Abfallentsorgung) wird vom Geltungsbereich des Freihandelsabkommens ausgeschlossen, indem im Abkommen in einer Positivliste jene Bereiche aufgelistet werden, die vom Abkommen erfasst sein sollen.

 
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