Verlassene Gehöfte, baufällige Häuser, leere Straßen: Das Leben auf den Dörfern werde sich in Zukunft grundlegend verändern, „wenn wir jetzt nichts tun“, befürchtet Landrat Wilhelm Schneider. Vielerorts werde es sonst „keinen Supermarkt in der Nähe, keine Schule, keinen Kindergarten, keine Bücherei oder keine Busverbindung geben.“
Der Landkreis Haßberge ist sich des Problems des demografischen Wandels bewusst, dessen Folgen vor allem in den abseits der starken Mainachse gelegenen Gemeinden schon heute spürbar sind: Der Einwohnerschwund lässt bereits jetzt manchen Ort nahezu ausgestorben wirken. Um wieder mehr Leben in die früheren Dorfmittelpunkte zu bekommen, gibt es Rezepte. Eines heißt: Statt neue Baugebiete auszuweisen, sollen Leerstände in den Ortskernen revitalisiert und Baulücken geschlossen werden. Die Realität ist vielerorts eine andere: Viele Bürgermeister und Ratsgremien handeln gegenteilig, oft auf Druck aus der eigenen Bevölkerung und wider besseres Wissen hin.
Situation ist „viel dramatischer als die meisten Menschen ahnen“
Dabei wird sich das Verwaisen der Altorte in den nächsten 20 Jahren auch ohne Neubausiedlungen dramatisch zuspitzen, erfuhren am Dienstag Lokalpolitiker, Behördenvertreter, Denkmalschützer sowie Stadt- und Landschaftsplaner von Prof. Marc Redepenning, Inhaber der Lehrstuhls für Kulturgeografie an der Universität Bamberg. „Die Situation ist viel dramatischer, als die meisten Menschen ahnen“, sagte der Wissenschaftler, der zusammen mit seinen Mitarbeitern Claudia Hefner und Korbinian Göths eine vom Heimatkreis in Auftrag gegebene Studie zur „Innenentwicklung im Landkreis Haßberge“ vorlegte. Das 24-seitige Papier stellt die Bedeutung der Schonung von Flächenressourcen und von Leerstandsmanagement als Zukunftsaufgabe heraus.
Redepenning belegte seinen Pessimismus mit wissenschaftlichen Fakten. Laut Prognosen wird die Bevölkerung im Landkreis Haßberge bis 2035 nicht nur um etwa 3000 Menschen schrumpfen, es wird vor allem der Anteil der Jüngeren stark abnehmen, die eine eigene Familie gründen und deshalb auf dem Immobilienmarkt am aktivsten sind. Die Nachfrage nach Häusern und Grundstücken werde zurückgehen – eine Tatsache, die zudem auf den Umstand trifft, dass die Immobilienbesitzer – gerade auf den Dörfern schon heute ein hohes Durchschnittsalter erreicht haben. Spätestens den Erben wird es dann nicht leicht fallen, für das Haus oder den Hof der Eltern oder Großeltern einen Käufer zu finden.
Leerstände setzen Abwärtsspirale in Gang
„Neue Baugebiete lösen diese demografischen Probleme nicht“, behauptete der Hochschullehrer. Sie beschleunigten vielmehr die Abwärtsspirale in den Altorten: Leerstände bedeuteten nicht nur allzu oft den Verfall der betroffenen Gebäude, sondern eben auch sinkende Attraktivität der Ortschaften, fallende Mietpreise und Wertverlust der Immobilien sowie verminderte Einnahmen der Gemeinde durch Einkommens- oder Gewerbesteuern. Vereine stürben, das Veranstaltungsangebot schrumpfe und die Jugend zöge noch leichter weg.
„Die Bevölkerung leidet unter einem zunehmenden Attraktivitätsverlust des eigenen Umfelds und die Gemeinde hat mit erhöhten Kosten und sinkenden Einnahmen zu kämpfen“, heißt es am Ende der Studie. Wobei sich für den Landkreis ein differenziertes Bild ergibt, so fallen Kommunen wie Wonfurt, Burgpreppach, Untermerzbach oder Bundorf auf, die heute schon mit über fünf Leerständen pro 100 Wohnhäuser kritische Werte erreichen.
Dass die Erschließung neuen Baulands auf der grünen Wiese die betroffenen Kommunen und die Allgemeinheit auf lange Sicht viel teurer kommen kann als die Innenentwicklung der Altorte, führte Korbinian Göths anhand verschiedener Szenarien für den Haßfurter Ortsteil Prappach und Maroldsweisach vor Augen. Hier wie dort gibt es zwar nur wenige Leerstände im Innenbereich. Die Zahl der erschlossenen, jedoch ungenutzten privaten Bauplätze ist allerdings enorm: Sie beträgt fast 40 in Prappach und über 50 in Maroldsweisach.
Doch allein für die 16 Bauplätze im angedachten Neubaugebiet „Am Dorfacker“ in Prappach wären in den nächsten 40 Jahren Folgekosten zwischen – je nach Szenario – 1,7 und 1,9 Millionen Euro entstanden, von denen Allgemeinheit und Kommune rund zwei Drittel zu zahlen gehabt hätten, erklärte Göths. Ungeachtet der Diskussion um die Straßenausbaubeiträge wären das Summen gewesen, „die wir unseren Bürgern einfach nicht hätten zumuten können“, machte Bürgermeister Günther Werner im Gespräch mit dieser Redaktion noch einmal klar. Stattdessen will die Stadt versuchen, im Ölacker ein kleineres Baugebiet auszuweisen, dessen Erschließungskosten deutlich geringer sind. Zur Voraussetzung macht es der Bürgermeister allerdings, dass die Kommune das Eigentum über die betreffenden Grundstücke erlangt.
Jeder Neubau ein potenzieller Leerstand
Jeder Neubau müsse heute „als potenzieller Leerstand anderswo“ begriffen werden, unterstrich auch Manfred Grüner, Leiter des Sachgebiets Städtebau und Wohnungswesen an der Regierung von Unterfranken. Und Prof. Redepenning warnte davor, sich vom jüngsten Geburtenboom täuschen zu lassen, dass dies anders sei. In die Zukunft wirkten vielmehr die „negativen Halleffekte der langjährig schwachen Geburtenjahrgänge“.
Wolfgang Borst, Bürgermeister von Hofheim und Vorsitzender der Gemeindeallianz Hofheimer Land, die wegen ihres Leerstandsmanagements bundesweit Anerkennung gefunden hat, bestärkte seine Bürgermeisterkollegen darin, „nicht jeder Bürgerinitiative hinterherzulaufen, die unbedingt ein Neubaugebiet durchsetzen will.“ Zur Hofheimer Allianz gehörten 53 Ortschaften. „Dort, wo eine intensive Innenentwicklung gemacht wird, haben wir eine positive Bevölkerungsentwicklung – und dort, wo auf der grünen Wiese gebaut wird, ist die Bevölkerungsbilanz negativ“, erklärte Borst. Er führte als Negativbeispiel einer fehlgeleiteten Entwicklung die mittelfränkische Stadt Bad Windsheim an.
Hier sei die Einwohnerzahl seit den 70-er Jahren in etwa konstant bei 12 000 geblieben, sie verteilte sich aber heute auf die vierfache Fläche als vor 50 Jahren.
Innenentwicklung vor Außenentwicklung
„Die Innenentwicklung muss in jedem Fall Vorrang vor der Außenentwicklung haben“, gab Landrat Wilhelm Schneider ergo die Richtung für den Landkreis Haßberge vor. Die Versammlung im Landratsamt und die über das LEADER-Projekt „Innenentwicklung, Leerstandsmanagement und Flächenrevitalisierung“ geförderte Studie zeigen, wie ernst es der Kreispolitik mit der Problematik ist. Doch zur Vermeidung von Brachen und Leerständen und damit der Verwaisung der Dörfer bedarf es Strategien und eines vielseitigen Instrumentariums.
In jedem Falle sollten Kommunen das offene Gespräch mit Haus- und Grundstückseigentümern und Kaufinteressenten führen, forderte Claudia Hefner. Sie hat aufgrund ihrer eigenen Nachforschungen die Erfahrung gemacht, dass es gerade den Besitzern von unbebauten Grundstücken unangenehm ist, über einen Verkauf zu sprechen. „Das ist für viele ein Tabuthema“, sagte die Diplomgeografin. Zur geforderten Transparenz gehöre auch, dass man an ältere Haus- und Hofeigentümer die klare Botschaft sende, ihre Immobilie oder ihr Grundstück werde schon in einigen Jahren deutlich weniger wert sein.
Zur Beflügelung der Innenentwicklung gehören Förderprogramme für die Modernisierung oder den Abbruch von Gebäuden, wie sie die Hofheimer Allianz gewährt. Es gibt das Immobilienportal des Landkreises www.wohnraum-hassberge.de, das verkaufsbereite Eigentümer und Kaufinteressenten kostenfrei zusammenführt.
Und eines Tages, wenn die Problematik an Schärfe gewänne, könnten Kommunen und Gesetzgeber in die „Trickkiste“ greifen, um vor allem weiteren Druck auf die Eigentümer von leer stehenden Immobilien oder unbebauten Grundstücken zu machen – „Zweckentfremdungssatzung, Erhöhung der Grundsteuer B, Leerstandsbesteuerung oder Enteignung sind die zum Teil heftig umstrittenen Schlagwörter hierzu.
Teure Neubaugebiete
Im Ernstfall könnten für neue Baugebiete über einen Zeitraum von 40 Jahren Gesamtkosten von etwa einer halben Million Euro entstehen, heißt es auf dem Flyer „Innenentwicklung im Landkreis Haßberge“ – die Angaben beziehen sich auf ein „Musterbaugebiet“ mit 12 Wohnhäusern auf einem Hektar Grund. Das bedeute 40 000 Euro pro geplantem Haus. Davon zahlten der Hausbesitzer 15 000 Euro, 25 000 Euro müssten die Kommune und die Allgemeinheit schultern.
Das Entscheidend: Laut vom Landratsamt herausgegebenen Flyer haben wissenschaftliche Studien gezeigt, „dass für Eigentümer, Fördermittelgeber und Kommunen in der Regel die Modernisierung und Umnutzung von bestehenden Gebäuden sowie die Baulückenschließung nachhaltiger, effizienter und kostengünstiger ist.“ -> www.wohnraum-hassberge.de
Ich habe viel mit älteren Menschen zu tun, deren Kinder auf keinen Fall mehr ins dörfliche Umfeld zurück wollen. Auch die überlegen sich im Alter in die Nähe der Kinder zu ziehen. In der Regel ist das die Stadt.
Die bayrische Landesregierung hat es in den letzten Legislaturperioden versäumt wirkungsvolle Maßnahmen einzuleiten, um für gleichwertige Lebesverhältnisse zu sorgen. Auch das ist ein Grund für einen starken mitregierenden Partner in Bayern zu sorgen. Nachdem die FDP die Verantwortung scheut, die SPD mit sich selbst beschäftigt ist und die Freien Wählerwie die FDP die 5% Hürde noch nicht übersprungen haben, bleiben nur die Grünen übrig.
Und wenn man die Ortskerne erhalten will, darf man nicht jeden Holzschuppen unter Denkmalschutzstellen, sondern Manches muß auch mal abgerissen werden um Platz für Neubauten zu schaffen, in denen die Meisten wohnen wollen.
Die,Politik muss sich aber auch ehrlich machen. Nicht alles ist machbar was wünschenswert ist. Deshalb Schwerpunkte setzen und dort dann aber klotzen. Behördenverlagerung in großem Stil z.B. Aus München heraus. Da kommt aber auch nur gerade soviel, dass es gerade reicht der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen.
Hier wären schnelle und signifikante Verbesserungen zu erzielen. Mit der jetzigen bayr. Regierung wird das aber nicht passieren.