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SCHWEINSHAUPTEN
Leben im Schulhaus
So war es damals üblich: Der Dorflehrer arbeitete nicht nur im Schulgebäude, sondern er wohnte dort auch mit seiner Familie. Für Holger Eisentraut tat sich damit ein neuer Spielplatz auf. Überhaupt erlebte er als Kind in Schweinshaupten zahlreiche Abenteuer.
Große Kinderschar: die Volksschulklasse von Holger Eisentraut.
Foto: Archiv Eisentraut | Große Kinderschar: die Volksschulklasse von Holger Eisentraut.
Von Holger Eisentraut
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:30 Uhr

Im Jahr 1948 hat mein Vater Karl Eisentraut die Schulstelle in Schweinshaupten zugewiesen bekommen und wir zogen von den Großeltern ins renovierte Schulhaus zur Miete. Für mich ein völlig neuer Erkundungs- und Erfahrungsbereich. Das dreistöckige, massive, aus Sandstein gebaute Haus beherbergte im Erdgeschoss die Lehrerwohnung und im ersten Stock den Schulraum. Im Dachgeschoss war ein Zimmer eingebaut, in dem ich wohnte. Von dort oben konnte ich auf Wald und Flur blicken. Wenn auf dem nahen Sportplatz Fußball gespielt wurde, kommentierte ich das Spiel durch das hochgeholte Radio, mittels eines Mikrofons aus Armeebeständen.

Wohnung mit Überraschungseffekt

Die Lehrerwohnung im Schulgebäude war durch eine hohe Holzwand zum Treppenhaus hin abgeteilt und mit einer mechanischen Drehklingel versehen. Läutete man, ging auf der gegenüberliegenden Seite die Tür des Wohnzimmers auf. Ein Überraschungseffekt für Neuankömmlinge. Ein geräumiges Wohnzimmer, eine geflieste Wohnküche und zwei kleinere Zimmer waren im Erdgeschoss. Am Treppenaufgang zum Hof befand sich ein Brunnen, der uns mit frischem Wasser versorgte. Eine Wasserleitung gab es nicht.

An der Längsseite des Hofes standen auf der linken Seite eine mächtige Scheune und ein niedrigeres Langhaus mit Stall und Abstellräumen. Links von der Hofeinfahrt lag der Gemüsegarten, in dem Mutter alles anbaute, was zum täglichen Gebrauch vonnöten war. Die Lehrerfamilie bekam von den Bauern, so war es Dorfbrauch, ab und zu Naturalien, vorwiegend eine Schlachtschüssel. Da kam immer Freude auf. Mutter hielt Hühner, ein Schwein und Gänse.

Die Gänse wurden, was heute verboten ist, durch Pfropfen gemästet. Von Hand wurde dem Tier mittels des Zeigefingers ein Mastkloß in den Schlund gedrückt und mit Abstreifen am Hals das Schlucken befördert. Das Schwein lief frei im Hof herum und wurde von uns verhätschelt und dressiert. Steckte man ihm eine Mundharmonika zwischen die Zähne, blies es darauf. Das jährliche Schlachten war für uns jedoch eine Selbstverständlichkeit. Es gab nächstes Jahr ja wieder ein neues Schwein.

Ich erinnere mich an einen Säuleseinkauf mit meinem Großvater am Markt in Hofheim, mit dem Traktor eines Bauern. Als wir zu Hause ankamen, fanden wir eines der kleinen Schweinchen leblos vor, wahrscheinlich erstickt. Alle Wiederbelebungsversuche scheiterten. Ein herber Verlust, sowohl finanziell als auch ideell. Sollte doch der Einkauf den Fleischvorrat fürs nächste Jahr sichern.

An Ostersonntag kam wie bei allen Familien mit Kindern der Osterhase. Es war unsere Aufgabe, ein entsprechend schönes Nest herzurichten, damit der Hase das Nest auch reichlich füllen konnte. Dies geschah im kleinen Vorgärtchen an der Stirnseite des Hauses. Wir konnten, was Vater nicht wusste, vom Fenster meines Zimmers unterm Dach aus verfolgen, wie der vermeintliche Osterhase – unsere Eltern – die Nester füllte.

Verlockende Würste

Die geräucherten Würste aus der Hausschlachtung fanden ihren Platz im Schrank meines Dachzimmers. Der Duft war oft so unwiderstehlich, dass ich, zum argen Missfallen meiner Mutter, ab und zu von einer Wurst abbiss. Das Dachgeschoss war so groß, dass wir Geschwister Fangen spielen konnten. Die Fläche unmittelbar an der Hofeinfahrt nutzten die Bauern jährlich zum Keltern des Obstes. Der frisch Gepresste schmeckte vorzüglich und das Klack-Klack des Spindelrades klingt noch heute in meinem Ohr.

Zur Flur hin hatten die Bauern ihr Reisig zum Brotbacken in große Haufen gestapelt. Für uns Kinder ein herrlicher Abenteuerspielplatz. Etwas weiter entfernt befand sich eine Kieswand, die wir Goldgrube nannten, da das Gestein gelblich gefärbt war. Dort kletterte ich mit meinen Schulkameraden. Dafür herhalten mussten neue Seile aus Omas Laden. Ich wundere mich noch heute, warum Großmutter dies akzeptierte.

Ein anderer Abenteurerspielplatz waren die sogenannten Pachtersscheuern, eine Reihe von gepachteten Scheunen des Barons im ehemaligen Schlosshof, in denen die Bauern ihr Heu und Stroh lagerten. Die dortigen Holz- und Strohlager der Bauern nahmen wir als Ritterburgen und Festungen ein. Da konnten wir nach Herzenslust toben, Höhlen in die Heuberge graben und auf dem Stroh durch die Außenwandlöcher hinausrutschen.

Der Pausenhof der Schule war auch für mich ein beliebter Platz. Die Schulkinder spielten allerhand Ballspiele und unser Mischlingshund „Bello“ tollte mit uns herum. Der Schulraum war überhaupt Begegnungs- und Versammlungsraum fürs Dorf. Mutter organisierte Opernbesuche ins Landestheater Coburg. Für die Interessenten gab es eine Einführung auf dem Klavier, das Mutters gut beherrschte. Auch manche Arie brachte Mutter zu Gehör. Für mich die ersten Berührungen mit klassischer Musik. Romantische Opern, wie „Der Freischütz“ und „Die Zauberflöte“ haben bei mir großen Eindruck hinterlassen und brachten mir die klassische Musik nahe.

Ich hatte auch eine kurze Zeit Schulunterricht bei meinem Vater. Eine herbe Zeit, in der ich als Lehrersohn Vorbild zu sein hatte. Als Strafe, wenn gefordert, bekam ich die doppelten Rutenhiebe. Nicht auf die Handfläche, sondern auf den Handrücken. Das schmerzte unsagbar. Überhaupt war der Lehrer zur damaligen Zeit mit Züchtigungen nicht zimperlich.

Früher Kindergarten, heute Vereinsheim

Auf der Längsseite des Pausenhofes der Schule befand sich der damalige Kindergarten – damals schon dem Verfall preisgegeben. Heute ist das Gebäude ein schmuckes Vereinsheim.

Ende der 1940er Jahre zogen wir nach Königsberg, in den Geburts- und Heimatort meines Vaters, der dort die Schulstelle zugewiesen bekam. Später noch bin ich oft zweimal die Woche mit dem Rad zu meinen Großeltern nach Schweinshaupten gefahren, die mir sehr nahe standen.

Mit diesem vierten Teil endet die Serie, in der der Bote vom Haßgau Holger Eisentrauts (75) Erinnerungen an seine Kindheit in Schweinshaupten veröffentlicht hat.

Heute ein Vereinsheim: der ehemalige Kindergarten.
| Heute ein Vereinsheim: der ehemalige Kindergarten.
An der Tankstelle: die junge Maria Müller.
| An der Tankstelle: die junge Maria Müller.
Am Fenster ihres Hauses: Holger Eisentrauts geliebte Großeltern, Maria und Philipp Müller.
| Am Fenster ihres Hauses: Holger Eisentrauts geliebte Großeltern, Maria und Philipp Müller.
Alltagsszene: an der Dorflinde in Schweinshaupten.
| Alltagsszene: an der Dorflinde in Schweinshaupten.
Gehörten zum Schulanwesen: Stallungen, dahinter eine Scheune.
| Gehörten zum Schulanwesen: Stallungen, dahinter eine Scheune.
Bis heute ein schmucker Bau: die alte Schule in Schweinshaupten
| Bis heute ein schmucker Bau: die alte Schule in Schweinshaupten
 
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