Sie rückten zuletzt wieder verstärkt in den Fokus der Sicherheitsbehörden: die Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten Reichsbürger- und Selbstverwalterszene in Deutschland. Ende März fuhr die Polizei im oberfränkischen Regnitzlosau (Lkr. Hof) schwere Geschütze auf, als ein Spezialeinsatzkommando (SEK) anrückte und ein Ehepaar festnahm, das dem Milieu zugerechnet wird. Erst wenige Tage zuvor hatte ein Mann bei einer Reichsbürger-Razzia in der baden-württembergischen Stadt Reutlingen einen Schuss auf einen SEK-Beamten abgefeuert und diesen leicht verletzt.
Wie aber sieht die Situation im Landkreis Haßberge aus? Dort, wo bis 2017 ein Verein mit dem Namen "Naturlichtenergie" Veranstaltungen unter anderem mit Vorträgen von Reichsbürgern organisierte? Wie schätzt das Landratsamt Haßberge die Lage ein? Streuen Reichsbürgerinnen und Reichsbürger am Haßfurter Amtsgericht Sand ins Getriebe der Justiz? Was sagen die zuständigen Sicherheitsbehörden – das Kommissariat Staatsschutz der Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz? Und wie können Verschwörungsgläubige zurück in die Gesellschaft geholt werden?
Größtenteils Einzelpersonen ohne Bezug zu einer Gruppierung
Eine Reichsbürgerhochburg scheint der Haßbergkreis nicht zu sein, zumindest nach aktuellem Stand der Sicherheitsbehörden: Das Polizeipräsidium Unterfranken schreibt der Szene in der Region eine "mittlere zweistellige Anzahl an Personen" zu. Das geht aus einer Anfrage dieser Redaktion hervor. Auch im direkten Vergleich mit den umliegenden Landkreisen seien die Haßberge kein Schwerpunkt, heißt es vonseiten der Pressestelle weiter. Im gesamten Zuständigkeitsbereich zählt das Polizeipräsidium derzeit 735 Reichsbürgerinnen und Reichsbürger.
Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) beobachtet im Landkreis Haßberge eigenen Angaben zufolge "größtenteils Einzelpersonen ohne Bezug zu einer Gruppierung oder Organisation, die zumeist mit niederschwelligen reichsbürgertypischen Agitationen in Erscheinung treten". Erkenntnisse zu Aktivitäten des Vereins "Naturlichtenergie" und der Gruppierung "Einiges Deutschland", die um das Jahr 2016 herum im Raum Ebern aktiv waren, liegen der Behörde derzeit nicht vor.
Stellen Reichsbürgerinnen und Reichsbürger in der Region aktuell also keinerlei Gefahr dar? Eine wirkliche Antwort gibt es wohl nicht. Denn laut Verfassungsschutz birgt die Reichsbürgerideologie reichlich Potenzial, um aus "Staatsverdrossenheit Staatshass" werden zu lassen. "Dies kann zur Grundlage für Radikalisierungsprozesse bis hin zur Gewaltanwendung werden", heißt es aus München weiter.
Szene bekannt für Affinität zu Waffen
Zu Gewaltakten durch Reichsbürger und Selbstverwalter ist es im Landkreis Haßberge in der Vergangenheit bislang nicht gekommen. Trotzdem ist die Szene für ihre Affinität zu Waffen bekannt. Das hat auch die zuständige Behörde im Landratsamt bereits mehrfach zum Handeln veranlasst. In drei Fällen seien entsprechende Erlaubnisse – jedes Mal der kleine Waffenschein – wegen Bezugs zur Reichsbürgerszene einkassiert worden, heißt es vonseiten der Pressestelle auf Nachfrage. In der Summe listet das Landratsamt kreisweit 998 kleine Waffenscheine auf. Wie viele der Besitzerinnen und Besitzer ein staatsfeindliches Weltbild vertreten, lässt sich nicht sagen.
Die Ablehnung des Staates, das Fundament der Ideologie, trifft die Behörden im Landratsamt aber vor allem bei der alltäglichen Arbeit. Reichsbürger streuen hier Sand ins Getriebe, und das in nahezu allen Bereichen, in denen die Verwaltung mit Bürgerinnen und Bürgern in Kontrakt trete, heißt es vonseiten der Pressestelle weiter: sei es Jugendamt, Sozialamt, Schulpflicht, Personenstandsrecht, Melderecht oder auch bei Bußgeldverfahren.
Insgesamt zählt das Landratsamt rund 120 Personen, "die in den letzten Jahren ein oder mehrmals in Erscheinung getreten sind, indem sie Schriftsätze an die Behörden mit eindeutiger Diktion richteten". Zudem gehe man von einer Dunkelziffer aus, die "sicher deutlich darüber" liege. Eine deutliche Diskrepanz zu den Zahlen des Polizeipräsidiums. Das Problem einfach hinnehmen möchte man im Landratsamt Haßberge aber nicht. "Soweit diese Schreiben Straftatbestände wie Nötigung etc. erfüllen, erfolgt auch konsequent Strafanzeige."
Ein Gerichtsvollzieher auf Polizeischutz angewiesen
Reichsbürgerinnen und Reichsbürger versuchen aber nicht nur, Sand ins Getriebe der kommunalen Verwaltungen zu streuen. Sie behindern auch die Arbeit der Justiz. "Die Kontakte sind praktisch immer mit Schwierigkeiten verbunden, weil es zu deren Selbstverständnis gehört, staatliches Handeln innerhalb der bestehenden deutschen Rechtsordnung nicht anzuerkennen", erklärt Christoph Gillot, seit 2021 Direktor am Haßfurter Amtsgericht. Von einem größeren Problem, wie es etwa die Zahlen für das Landratsamt nahelegen, sieht er sein Haus nicht betroffen. Gillot spricht von "Einzelfällen" in den vergangenen zwei Jahren.
Doch unterschätzen möchte auch die Einzelfälle in Deutschland niemand mehr. Das gilt vor allem für Justizbeamtinnen und -beamte, die im direkten Kontakt mit Reichsbürgern und Selbstverwaltern stehen müssen und teilweise auf Geleitschutz angewiesen sind. Auch im Dienstbereich des Amtsgerichts Haßfurt: "In einem Verfahren eines Gerichtsvollziehers wurde gegen einen Reichsbürger eine Zwangsräumung mit Hilfe der Polizei durchgesetzt", erzählt Gillot. Bekannt seien außerdem mehrere Grundbuchverfahren, ein Zivilverfahren und allgemeine Schreiben an die Behördenleitung.
Veranstaltungsreihe zum Thema Radikalisierung
Dass dieses Problem auch die Menschen in den Kommunen beschäftigt, zeigte sich zuletzt in Ebern. Dort initiierte die Stadt gemeinsam mit der angrenzenden Baunach-Allianz und der Volkshochschule Landkreis Haßberge eine zweiteilige Veranstaltungsreihe zum Thema "Reichsbürger und Radikalisierung". Referent Dr. Marius Raab forscht am Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Universität Bamberg, seit über einem Jahrzehnt ist er Experte auf diesem Gebiet. "Ich stelle mir die Frage, warum jemand solche Überzeugungen entwickelt", erklärt der Wissenschaftler. Also in Verschwörungserzählungen abdriftet und den Staat ablehnt.
Die Corona-Pandemie habe hier in den vergangenen Jahren als Katalysator gewirkt, sagt Raab: "Das Misstrauen gegenüber dem Staat ist in Teilen der Gesellschaft durch die Maßnahmen sicherlich größer geworden, nicht nur unter jenen, die eh schon kritisch waren", so der Experte. Ideologisch sei die Pandemie sehr vereinend gewesen. Auf den Marktplätzen sei ein Milieu entstanden, in dem sich neben Extremistinnen und Extremisten auch Familien versammelt hätten. "Eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass es nicht mehr geknallt hat", sagt Raab. Was unter der Oberfläche schwelt, kann auch er nur erahnen.
Raab geht aber nicht nur der Frage nach, warum Menschen sich so weit vom Staat entfernen, dass sie Verschwörungserzählungen folgen, wonach die Bundesrepublik nicht existiert. Er beschäftigt sich auch damit, sie zurückzuholen in die Gesellschaft. Hier sieht der Wissenschaftler vor allem eine Aufgabe in den Kommunen. "Es geht am besten auf kleinster Ebene", sagt er. Im direkten Gespräch. Helfen können dabei auch Veranstaltungen wie in Ebern, wo die Nachfrage nach dem Austausch groß war. 50 Menschen, so Raab, nahmen an seiner Veranstaltung teil. Zahlen, die zeigen, dass das Thema den Landkreis noch lange begleiten dürfte.