„Es ist unfassbar, was Menschen im NS-Regine passiert ist, die ihre Meinung frei geäußert haben, und dass auch Sozialdemokraten in dieser Zeit ermordet wurden. Wir müssen aufpassen, denn schon wieder keimt nationalsozialistisches Gedankengut im Untergrund, wie man an der NSU-Affäre erkennt.“ Diese Worte äußerte die 25-jährige Caroline Holzinger aus Haßfurt, Juso-Unterbezirksvorsitzende und stellvertretende Juso-Bezirksvorsitzende nach der Lesung mit Sabine Friedrich in der Rathaushalle in Haßfurt, zu der das Kulturamt und die Buchhandlung Glückstein geladen hatten.
Immerhin 90 Zuhörer waren zur Lesung gekommen, in der Sabine Friedrich ihren neuesten Roman über den deutschen Widerstand mit dem Titel „Wer wir sind“ vorstellte. „Dieses Buch ist äußerst verblüffend“, sagte eingangs Buchhändler Franz Wölfl. „Über den deutschen Widerstand gibt es ja eine ganze Menge an Literatur. Das Ganze zu einem Roman mit 2032 Seiten zusammenzufügen und auch noch einen Werkstattbericht darüber zu veröffentlichen, erschien mir schon einigermaßen kühn.“
Doch Sabine Friedrich habe nicht die Geschichte des deutschen Widerstands nacherzählt, sondern die Geschichten der Menschen lebendig gemacht, die den Widerstand ausgemacht hätten. Damit sei ihr ein spannender, hoch emotionaler und bei aller Länge sehr gut lesbarer Roman geglückt.
Aus diesem Roman stellte die Autorin einige Auszüge vor. Darunter eine Passage über den SPD-Politiker und 1944 hingerichteten Widerstandskämpfer Julius Leber, der nach seiner Entlassung aus dem KZ überlegt hatte, ob „man sich vielleicht über den Aufgrund werfen sollte“. Auf die Frage seines Freundes Gustav Dahrendorf: „Was meinst du damit“, antwortete er: „Den Versuch, den Abgrund zwischen heute und morgen zu überbrücken. Die eigene Auslöschung, um auf der anderen Seite wenigstens das Licht der Opferfackel zu hinterlassen. Damit die Zukünftigen wissen: Es hat hier und jetzt auch Menschen gegeben“. Solche Worte lösten bei den Zuhörern Betroffenheit aus und führten zu einer kurzen Stille. Ebenso wie die letzte Geschichte über das Gespräch zwischen dem Gefängnispfarrer Harald Poelchau und Peter Graf Yorck von Wartenburg vor dessen Hinrichtung am 8. August 1994, als während des gemeinsamen Gebets des „Vater unser“ die Henker die Zelle betraten.
Sabine Friedrich erzählte auch, wie sie dazu kam, einen so langen Roman zu schreiben und sich sechs Jahre lang mit dem Thema des Widerstands zu befassen. Gerne beantwortete sie außerdem die Fragen des Publikums. Sie betonte, dass jeder eine Bereitschaft besitze, sich gegen ein Unrechtsregime zu stellen und Gefahren auf sich zu nehmen. Dass man aber nicht eines Tages aufwache und sage: Jetzt widersetze ich mich, sondern, dass es ein fortlaufender Prozess sei.
Sie habe auch nicht den Nationalsozialismus als Thema gewählt. „Ich wollte vielmehr etwas Generelles über die Menschen des Widerstands herausfinden“, teilte sie mit. „Ihre Namen leuchten sozusagen durch das Umschlagblatt des Romans hindurch. Denn sie wollen erzählen, wer wir sind.“ Harald Unrein aus Schweinfurt nutzte die Gelegenheit, Sabine Friedrich zu loben. „Wenn man diese Zeit verstehen will, gibt es drei Autoren, die man gelesen haben sollte: Joachim Fest, Ian Kershaw und Sabine Friedrich“, sagte er.
Auch Ursula Röder-Geiberger aus Haßfurt erachtet es für wichtig, dass Sabine Friedrich das Thema aufgegriffen hat. „Denn es ist in den letzten Jahren doch sehr verschwunden“, sagte die 78-Jährige, die Germanistik und Geschichte studiert hat. Sie hatte bei ihrer Immatrikulation das Buch „Die weiße Rose“ erhalten und gab an: „Manche Exzesse gäbe es heute nicht, wenn sich Jugendliche bewusst würden, was damals geschah.“
Sabine Friedrich, „Wer wir sind“, Roman, 2032 Seiten; dtv 2012 ISBN 978-3-423-28003-7