Jede Hausfrau weiß, dass man für einen guten französischen Brie oder einen italienischen Gorgonzola schon mal 20 Euro pro Kilo zahlt. Aber einen Käse für 200 Euro pro Kilo wird sie vergeblich an der Käsetheke suchen. Den findet man – ohne ihn da kaufen zu können – bei Alois Voigt in Bramberg. Seine Rarität ist der Rolls-Royce unter den Käsesorten: echter Milbenkäse.
Seit der naturverbundene Schulmeister, der malerisch im Schatten der Bramburg lebt, 2007 pensioniert wurde, widmet er sich seinen Liebhabereien. Dazu zählt für den Feinschmecker die Zucht des Milbenkäses. Er habe jedoch keine gewerblichen Interessen, betont der 69-Jährige. „Ich mach das, weil es einfach eine Gaudi ist“, sagt der letzte Schulmeister von Bramberg augenzwinkernd.
0,3 Millimeter kleine Milben
Damit es von vornherein zu keinem falschen Zungenschlag kommt, unterstreicht Voigt, dass seine 0,3 Millimeter kleinen Käsemilben mit dem lateinischen Namen „Tyrogliphus Casei“ nichts mit den allseits bekannten und gefürchteten Hausstaubmilben oder gar mit den Zecken zu tun haben. Na ja, zumindest fast nichts. Denn alle Milbenarten sind nun mal untereinander verwandt und gehören zur großen Familie der Spinnentiere.
Normalerweise setzen die Käsereien zur Reifung Bakterienkulturen oder Schimmelpilze ein. Voigt setzt zusätzlich auf ein Heer von mehreren Millionen Käsemilben. Sie dringen in den Käse ein und ihr Speichel bewirkt die Fermentation. Der Käse verfärbt sich im Laufe von zwölf Monaten von gelb über rotbraun bis zu grauschwarz. Damit die fleißigen Spinnentiere nicht den ganzen Käse auffressen, wird Roggenmehl zugefüttert. Dass man beim Käseverzehr die süßen Tierchen einfach mitisst, ist vielleicht unfair, aber gesundheitlich unbedenklich.
Vor etwa zwei Jahren wurde der Wahlbramberger auf diese Spezialität aufmerksam –bei einem Kollegen seiner Zunft, wie könnte es anders sein. In Würchwitz (Sachsen-Anhalt) lernte er gewissermaßen den Milbenkäsepapst, den Biologie- und Chemielehrer Helmut Pöschel, kennen. Dieser hat es sich zur Aufgabe gemacht, die alte, im thüringischen Zeitz und Altenburg seit dem Mittelalter beheimatete Tradition – die in der DDR übrigens verboten war – wiederzubeleben.
Nach dieser theoretischen Einführung zeigt uns der Gourmet Voigt sein Allerheiligstes, den Hauskeller. Ein leicht säuerlicher Geruch liegt in der Luft. Langsam öffnet er eine Holzkiste. Wie auf einer braunen Staubschicht liegen hier dunkle Rollen – der Milbenkäse. Unter dem Mikroskop wird deutlich: die Staubschicht lebt, es handelt sich um eine wimmelte Kolonie von Käsemilben.
Der Käseliebhaber Voigt lässt Gäste gerne mal ein kleines Stückchen probieren. Auf eigene Gefahr, versteht sich.
Er hat das auch schon beim Tag der offenen Gartentür im benachbarten Jesserndorf gemacht. Und dabei die Erfahrung gemacht, dass Frauen viel mutiger sind als Männer, denn: Dreiviertel derjenigen, die kosteten, zählten zum sogenannten schwachen Geschlecht.
Milbenkäse-Fakten
Bereits seit dem Mittelalter wurden in der Gegend um Zeitz und Altenburg Käsemilben gezüchtet. Da in früheren Zeiten Milbenbefall ein bekanntes Risiko bei der Käselagerung darstellte, wurde mit der Milbenkäseherstellung gewissermaßen aus der Not eine Tugend gemacht, indem die Milben als Nutztiere in den Produktionsprozess einbezogen wurden.
Um 1970 drohte die Tradition verloren zu gehen, da nur noch eine einzige ältere Frau – Liesbeth Brauer – in Würchwitz Milbenkäse herstellte. Der dort ansässige Biologie- und Chemielehrer Helmut Pöschel begann daraufhin selbst mit der Milbenzucht und engagierte sich für die Wiederbelebung der Tradition, indem er Öffentlichkeitsarbeit betrieb und Veranstaltungen ins Leben rief.
Vor wenigen Jahren wurde auf dem Dorfplatz in Würchwitz der Käsemilbe ein Denkmal errichtet. Jüngst wurde durch die Initiative von Helmut Pöschel und Christian Schmelzer der Milbenkäse in die „Arche des Geschmacks“, ein Projekt des Vereins Slow Food, aufgenommen.
Infos: www.milbenkaese.de