
Er ist "immer auf der Suche nach Arbeit", sagt Hans Rüttinger. Die schöpferische Aktivität dürfte eine Hauptzutat im Geheimrezept für sein langes Leben sein. Am Mittwoch macht Hans Rüttinger ein Jahrhundert voll. Seit zweieinhalb Jahren verbringt der nun Hundertjährige seinen Lebensabend im Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Knetzgau. Auch wenn die körperlichen Kräfte schwinden, blickt der Senior geistig rege und mit Stolz auf ein erfülltes Leben zurück.
1921 war ein Jahr mit rasender Inflation und Wohnungsnot in Deutschland. Die Nahrung war knapp und teuer. In diesem Jahr, am 10. November, erblickte Johann Rüttinger, genannt Hans, in Frankfurt das Licht der Welt. Aufgewachsen in der Mainmetropole, begann er als Jugendlicher am 30. März 1937 zunächst eine Lehre als Polsterer und Tapezierer bei seinem Lehrherrn Carl Mahr. Der Lehrvertrag erstreckte sich über vier Jahre. Der wöchentliche Verdienst betrug im ersten Jahr drei Mark und steigerte sich bis auf neun Mark im vierten Lehrjahr. Bei vorzeitiger Auflösung des Lehrvertrags wäre eine Strafzahlung von bis zu 150 Mark fällig geworden.
Vier Verwundungen im Zweiten Weltkrieg
Hans Rüttinger legte dennoch vorzeitig am 29. März 1940 erfolgreich seine Gesellenprüfung ab und musste keine Strafe zahlen. Grund dafür war der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 begonnen hatte. Nach der Ausbildung folgte die Einberufung zum einjährigen Arbeitsdienst nach Frankreich und danach zur Wehrmacht mit Einsatz in Russland. "Viermal wurde ich im Krieg verwundet, bis ich 1945 als Unteroffizier entlassen wurde", so der Hundertjährige. Die Kriegserlebnisse sind bei ihm lebhaft in Erinnerung geblieben. Nach Kriegsende geriet Hans Rüttinger für sechs Monate in amerikanische Gefangenschaft und landete in Worms.

Die Liebe zu seiner Ehefrau Frieda, die er bei der Hochzeit seines Cousins kennenlernte, verschlug den Kriegsheimkehrer aus der größten Stadt Hessens in das unterfränkische Dorf Knetzgau, das wie seine Geburtsstadt ebenfalls am Main liegt.
Vor sieben Jahren feierte er mit seiner Frau die Gnadenhochzeit
Am 9. April 1944 traten Hans Rüttinger und seine Frieda, eine geborene Märkl, vor den Traualtar. Das Erleben der Gnadenhochzeit (70 Jahre) war den Eheleuten noch vor sieben Jahren beschieden, seit drei Jahren ist der Hundertjährige Witwer. Gemeinsam baute sich das Ehepaar Anfang der 1950er-Jahre in Knetzgau ein Eigenheim, in dem die 1946 geborene Tochter Gisela gemeinsam mit den Eltern und dem zwei Jahre jüngeren Bruder Wolfgang aufwuchs. Der Jubilar ist Großvater von drei Enkelkindern und Urgroßvater von drei Urenkeln im Alter von 18, 15 und fünf Jahren.
Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft absolvierte Hans Rüttinger bei seinem Schwager Wilhelm Märkl in Knetzgau eine weitere Lehre als Zimmermann. Zwischenzeitlich wechselte er an die damals große Baustelle für den Neubau der Staustufe in Knetzgau. Danach kehrte er für einige Jahre in seinen Lehrbetrieb zurück. Nochmals erfolgte ein Wechsel zur Baufirma Riedel nach Schweinfurt. Hier war Hans Rüttinger als Zimmermann bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1983 über 20 Jahre beschäftigt.

Lange Jahre besuchten Hans Rüttinger und seine Gattin sehr gerne die Veranstaltungen beim Knetzgauer Seniorenkreis. In der Tanzkreisgruppe hielten sich beide über die Jahre hinweg körperlich fit. Zur geistigen Fitness trugen Quizsendungen mit Günther Jauch oder mit Jörg Pilawa bei, die Hans Rüttinger zu Hause im Fernsehsessel verfolgte. Aber auch Talkshows faszinierten den Hundertjährigen. Ein Tennismatch oder ein zur nächtlichen Zeit übertragener Boxkampf im Fernsehen waren ebenfalls fesselnd, wobei die Liebe zum Fußball im Sportbereich den Ton angab.
Die tägliche Zeitungslektüre gehört einfach dazu
Über das Geschehen in der großen Welt, aber auch über das, was in der Heimat geschieht, informiert sich der Hundertjährige bei der täglichen Zeitungslektüre. Handy und Digitalkamera? Für Hans Rüttinger gar keine Frage. Noch bis vor wenigen Jahren war die Liebe zur neuesten Technik sein Lebenselixier.
Kontakte pflegte der Senior bei seinen regelmäßigen Stammtischbesuchen. Ein gewisser "Jungbrunnen" für geistige und körperliche Fitness bis in hohe Alter stellte die Gartenarbeit und das Werkeln und Basteln mit Holz in der eigenen Werkstatt dar. "Holzarbeiten und das Polstern waren schon immer mein Leben", so die Aussage des Jubilars. Auch Reisen gehörten bis ins hohe Alter zu einer der bevorzugten Leidenschaft, die Hans Rüttinger und seine Gattin lange Jahre nach Kirchdorf in Tirol führten.