Da braucht niemand die Nase zu rümpfen: Jeder Bürger trägt dazu bei, dass Klärschlamm anfällt. Und jeder Haushalt muss über die Abwassergebühren seinen Beitrag dazu leisten, um besagte Sedimente aus den Klärbecken zu entsorgen. Weil dies immer teurer wird und sich zudem immer schwerer Abnehmer finden lassen, sucht der Landkreis nach neuen Wegen, die Schlämme loszuwerden. Erklärtes Ziel: die getrockneten Rückstände möglichst aller Kreisgemeinden sollen im Gemeinschaftskraftwerk Schweinfurt (GKS) verbrannt werden.
Die Abwasserentsorgung ist vom Gesetz her Pflichtaufgabe jeder Kommune. Doch ist es die "Gesellschaft zur Umsetzung erneuerbarer Technologieprojekte im Landkreis Haßberge mbH", kurz GUT, die in Sachen Klärschlammentsorgung einen Vorstoß in Richtung gemeinsamer Lösung macht. Sie lautet, auf einen Nennen gebracht: Pressen vor Ort, Trocknung in Hofheim, Verbrennung in Schweinfurt. Die GUT entwickelt seit dem Atomausstieg von Deutschland vor allem Projekte für die Energiewende im Haßbergkreis. Der Landkreis und alle 26 Kreiskommunen zählen zu ihren Gesellschaftern.
Die "goldene" Entsorgungsära ist vorbei
Es war GUT-Geschäftsführer Wilfried Neubauer, zugleich Leiter der Kreisabfallwirtschaft, der dem Kreistag Haßberge am Montag die Planungen für die Klärschlammbeseitigung vorstellte. Und noch einmal die Problematik vor Augen führte: Vorbei sind die Zeiten, in denen man die Schlämme bequem in die neuen Bundesländer loswurde, wo sie zur Rekultivierung, sprich Auffüllung, von ehemaligen Braunkohle-Tagebauen dienten. Aber es sind auch die Tage gezählt, in denen Klärschlamm als Dünger auf den Acker kommt, weil der Anteil an Schadstoffen einfach zu hoch ist.
Manche Kommunen, Knetzgau etwa, garantieren schon heute, dass ihr Kläranlagen-Sediment keinen Boden belastet, wozu sie ihre Abnehmer vertraglich verpflichtet haben. Bereits eingetretene Gesetzesänderungen und die in den nächsten Jahren bevorstehenden Verschärfungen haben aber dazu geführt, dass die Kommunen kaum noch jemanden finden, der den Klärschlamm abholt. Und wenn doch, zu explodierenden Preisen. Davon weiß etwa Matthias Langguth, Betriebsleiter der Haßfurter Kläranlage, ein Lied zu singen. Mit Rückblick auf 2018 verriet er am Mittwoch dieser Redaktion: "Früher haben wir um die 50 000 Euro im Jahr für den Klärschlamm bezahlt. Inzwischen sind wir bei 200 000 Euro." Er müsse aber froh sein, wenn es überhaupt noch Abnehmer gebe. "Wir haben so gut wie keine Angebote mehr."
Weil im Prinzip alle Kommunen mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, würde Wilfried Neubauer gerne einen Zweckverband zur Klärschlammbeseitigung gründen, der die gesamte Logistik zu steuern und verantworten hätte. Klärschlamm wird in der Regel vor Ort, also an der Kläranlage, gepresst, um den Wasseranteil zu reduzieren. Im Landkreis Haßberge fallen im Jahr 70 000 Tonnen Rohschlamm an mit einen Trockensubstanzanteil von nur 3 Prozent. Für den Transport wird der Anteil der Feststoffe auf 20 bis 25 Prozent erhöht. Verfrachtet werden sollen die Klärschlämme nach Neubauers Willen nach Hofheim, wo er neben der bestehenden Biogasanlage gerne eine Trocknungsanlage errichten würde - eine Investition in Höhe von 2,5 bis 3 Millionen Euro.
Die Trocknungsanlage würde die Abwärme der Biogasanlage nutzen und den Klärschlamm auf 90 Prozent Trockensubtanz "eindampfen". Dass kaum noch flüssige Bestandteile im Schlamm sind, ist Grundvoraussetzung dafür, dass ihn das GKS annimmt. Ab 2020 ersetzt das Kraftwerk einen Teil der Steinkohle durch Biomasse. Der Anteil an Klärschlamm, der dann in den Öfen mitverfeuert werden kann, ist allerdings auf rund 10 000 Tonnen begrenzt. Wer liefert, muss dafür bezahlen.
30. September: GKS Schweinfurt hat Deadline gesetzt
Allein im Landkreis Haßberge fallen etwa 5000 Tonnen ausreichend trockenen Schlamms pro Jahr an. Deswegen hat der Landkreis beim Gemeinschaftskraftwerk, zu dessen Gesellschaftern er gehört, bereits Bedarf angemeldet - wie andere Kommunen, etwa die Stadt Schweinfurt, auch. Bis 30. September müssen die genauen Mengen ermittelt und der Versorgungsvertrag mit dem GKS geschlossen sein, machte Neubauer im Kreistag deutlich, dass es Zeit ist, Nägel mit Köpfen zu machen: "Da hat uns das GKS eine Deadline gesetzt", denn Interessenten gebe es genug.
Aidhausens Bürgermeister Dieter Möhring gehört zu jenen Kommunalpolitikern, die sich von diesem plötzlichen Zugzwang überrumpelt fühlen. "Wie sollen wir verbindliche Zusagen geben, wenn uns kein schlüssiges Konzept vorliegt?", meinte er am Dienstag gegenüber dieser Redaktion. Es sei enttäuschend, dass die GUT noch immer keine Antworten auf wichtige Fragen liefern könne. Etwa diejenige, was mit dem "Brüdenwasser" geschehen soll. Damit ist das Kondensat gemeint, das sich bei der thermischen Trocknung ansammelt. Grundsätzlich kann Brüdenwasser in Kläranlagen gereinigt werden, wobei die Frage im Raum stünde, ob die anfallenden Volumina auf mehrere Klärwerke verteilt werden müssten. Als wahrscheinlichere Alternative käme der Verkauf in konzentrierter Form als Düngemittel in Frage. Wie dem auch sei, es sind diese ungeklärten technischen Details wie auch die Fragezeichen hinter den Kosten, die Bürgermeister Möhring gegenwärtig etwas ratlos machen. Sein Aidhausen übrigens gehört zu jenen Gemeinden, die eine eigene Trocknungsanlage errichtet haben und den getrockneten Schlamm schon jetzt an das GKS liefern - aus dortiger Sicht eine Kleinmenge von gerade mal 80 Tonnen.
Auch anderen Kommunalpolitikern geht in Sachen Klärschlamm jetzt plötzlich alles viel zu schnell. Doch Wilfried Neubauer hatte im Kreistag am Montag daran erinnert, dass die GUT die Bürgermeister schon seit Jahren drängt, über Lösungen zumindest nachzudenken. Vielerorts wurde die Problematik offenbar verdrängt.
Alles vertreten: Von der Teichkläranlage bis zum modernen Klärwerk
Was nicht unbedingt zur Vereinfachung dient: Die Ausgangslage in den Kommunen beziehungsweise Abwasserzweckverbänden ist recht unterschiedlich. Nicht nur, dass es im Landkreis neben 24 technischen noch immer 26 Teichkläranlagen gibt. Auch die Ausstattung fällt von Ort zu Ort recht verschieden aus. Manche Klärwerke verfügen über eigene Trocknungsanlagen, andere noch nicht mal über Pressen. Die Stadt Haßfurt verfolgt eigene Ideen: Das Stadtwerk informiert sich gerade darüber, ob es sinnvoll ist, eine eigene Verbrennungsanlage mit modernster Wirbelstrom-Verfeuerung oder eine Einrichtung zu bauen, die aus dem Klärschlamm Biokohle und damit hochwertigen Dünger macht. Einfach so verbrennen wie im GKS will Stadtwerksleiter Norbert Zösch den Klärschlamm jedenfalls nicht: "Aus Sicht des Klimaschutzes und der CO2-Bilanz ist das nicht ideal". Die Haßfurter Kläranlage, die auch Abwässer aus Königsberg und der Verwaltungsgemeinschaft Theres reinigt, produziert pro Jahr rund 12 000 Kubikmeter Rohschlamm, das macht nach dem Pressen etwa 1200 Tonnen. Das sei ohnehin eine zu große Menge, um sie nach Schweinfurt zu fahren, findet Zösch.
Wolfgang Borst, Bürgermeister der Stadt Hofheim, weiß, dass es in den kommenden Wochen darauf ankommt, alle technischen Details zu klären und die genauen Kosten zu ermitteln. "Es ist gut, dass wir neue Wege gehen, was den Klärschlamm anbelangt", sagte Borst am Mittwoch auf Anfrage dieser Redaktion - und an einer thermischen Lösung führe genau genommen kein Weg vorbei. Borst arbeitet nach eigenen Angaben intensiv am Konzept der GUT mit. Das System mache nur Sinn, "wenn alles ganz genau getaktet ist", erklärte der Bürgermeister. Und meinte damit die Transportwege und Zeiten von den Klärwerken zur Trocknungsanlage respektive zum GKS. Was Laien erstaunt: Die Planer lassen jetzt zunächst einmal analysieren, welcher Klärschlamm welche Zusammensetzung hat, um dann die "Gesamtkomposition" zu ermitteln. Denn Biologie und Chemie der Schlämme weichen von Ort zu Ort stark voneinander ab. Weil seine Stadt Standortkommune der Trocknungsanlage werden soll, verspricht Borst, dass er Belastungen der Bevölkerung in jedem Fall vermeiden wird. Angst brauche vor so einer Einrichtung ohnehin niemand zu haben.
Mitte oder Ende April sollten die entscheidenden Einzelheiten des neuesten GUT-Projektes feststehen. Dann wird sich zeigen, ob sich auch Kritiker wie Bürgermeister Möhring überzeugen lassen. Grundsätzlich ist seine Gemeinde durchaus bereit, bei dem Klärschlamm-Projekt mitzumachen. Aber eine Katze im Sack kaufen möchte er nicht.