
Der junge Landwirt hat gerade ein wenig Zeit, weil die Kühe inzwischen selbst entscheiden, wann der Melkroboter an sie andockt. Er verfolgt die aktuelle Kreistagssitzung im Livestream auf dem Tablet und will gerade einen Kommentar dazu absetzen, da meldet sich die Windel-App auf dem Smartphone: Das Baby muss gewickelt werden. Gut, dass es noch zehn Minuten dauern wird, bis es klingelt und der Lieferservice den Nachschub bringt, den Kühlschrank und Kellerregal selbstständig geordert haben. Des Bauern Frau ist derweil mit dem Mähdrescher unterwegs und erhält via Twitter eine wichtige Warnung: „Schick' dich mit der Ernte, es zieht Sturm auf.“
Das sind nur wenige Beispiele, die andeuten, wie Internet und soziale Netzwerke das Leben verändern werden, auch in den Gebieten fernab der Metropolen. Wer' s nicht glaubt, ist nicht am Puls der Zeit. Am Puls der Zeit waren am Dienstag die Teilnehmer der Informationsveranstaltung „Der digitale ländliche Raum“, die Landrat Wilhelm Schneider und Dorothee Bär – letztere insbesondere in ihrer Eigenschaft als für die digitale Infrastruktur verantwortliche Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium – ins Leben gerufen hatten. Dabei ging es weniger um die technischen Voraussetzungen für die Breitbandversorgung bis in den hintersten Winkel. „Wir brauchen nicht schnelles, wir brauchen das schnellste Internet“, hatte Landrat Schneider (CSU) eingangs gefordert. Und Parteifreundin Bär hatte erklärt, die Digitalisierung gehöre heute genauso zur Grundversorgung wie Strom, Wasser oder Abwasser – wobei sie an die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erinnerte, die der Freistaat 2013 in der Verfassung verankert hat.
Die Veranstaltung zeigte vielmehr eines auf: Es reicht nicht, Breitbandkabel zu verlegen – es muss in einer Region ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass die Chancen der Digitalisierung auch ergriffen werden wollen: Und zwar von allen Akteuren, sowohl in Politik und Verwaltung, also auch in der Wirtschaft und der Gesellschaft.
Christian Geiger etwa, Verantwortlicher in Ulm für alle Fragen rund um IT und Internetauftritt der Stadt, zeigte anhand der Ulm-App, wie gut eine Kommune (mithilfe eines privaten Unternehmens) im Internet und zum leichten Verständnis ihrer Bürger alle öffentlichen Daten – vom Kreishaushalt bis zu den freien Plätzen in den Kindertagesstätten – visualisieren kann. Und warum sollte es künftig nicht den Livestream der Kreistagssitzung geben? Oder die Dame vom Amt, mit der der Kunde von zuhause aus chattet und die ihm hilft, das Antragsformular auszufüllen? Was spräche gegen eine Plattform, auf der sich Verwaltung und Bürger zum Beispiel über eine große Baumaßnahme austauschen? „Es ist wichtig, nicht nur in Beton, sondern auch in Glasfaserkabeln zu denken“, forderte Geiger.
Wolfgang Henseler, Professor für Digitale Medien und Intermediales Design an der Hochschule Pforzheim, blickte aus den verschiedensten Richtungen tief in die Glaskugel und wusste nicht nur von Schuhen zu berichten, die in naher Zukunft ihren Besitzern anzeigen, wann sie verbraucht sind – was gerade für die Läuferszene interessant ist. Er zeigte auch dem gerade auf dem Land arg gebeutelten Einzelhandel Perspektiven auf, wie er gegen die „Feuerwalze Amazon“ bestehen kann: „Sie können Teil des Systems werden und ihre lokalen Stärken nutzen“, erklärte Henseler, Amazon selbst könne die regionale Karte nicht spielen. Es war zu erfahren, dass es mehr und mehr regionale Einzelhändler gibt, die ein gemeinsames Online-Portal für Bestellungen betreiben.
Eva Maria Kirschsieper, Chefin der politischen Kommunikation von Facebook Deutschland, warb für die positiven Effekte, die es hat, wenn Unternehmen – auch kleine Mittelständler – auf ihrem sozialen Netzwerk in Erscheinung treten, das zwar weit über eine Milliarde Mitglieder hat, aber dennoch eine regionen- und zielgruppenspezifische Werbung erlaube. Und Isa Sonnenfeld, bei Twitter Deutschland für den Politik- und Newsbereich zuständig, unterstrich, wie intensiv ihr Netzwerk inzwischen von Firmen für den Kundenservice genutzt wird.
Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21 (Berlin), die nach eigenen Angaben Deutschlands größte Partnerschaft von Politik und Wirtschaft zur Ausgestaltung der Informationsgesellschaft ist, bemängelte, dass die Deutschen hinsichtlich der Digitalisierung in Europa lediglich im Mittelfeld lägen. „Jede zweite Frau über 50 ist nicht online – und 63 Prozent der Deutschen sind digital wenig erreicht“, bedauerte die Expertin.
Und auf dem Lande sind die Zahlen sicher nicht besser, obwohl gerade hier das Internet manchen Segen bringen könnte: So wurde die alte Oma zitiert, die zwar recht abgeschieden auf einem Dörfchen lebt, aber über soziale Netzwerke mit ihren Lieben in Verbindung steht. Oder die Schüler mehrerer Grundschulen, die irgendwann gemeinsam online unterrichtet werden, weil das Schulamt nicht mehr in jedes Schulhaus eine Lehrkraft schicken kann. Wo der Nachbar zu weit entfernt ist, um zu Fuß Hilfe zu holen, macht die Kurznachricht dreifach Sinn.
Vieles davon mag Zukunftsmusik sein – und wie realistisch sie ist, wird sich dereinst herausstellen. Doch Staatssekretärin Bär forderte eindringlich: „Wir müssen die Chancen, die sich uns bieten, in den Mittelpunkt stellen.“ Es helfe nichts, der Digitalisierung skeptisch oder pessimistisch gegenüber zu stehen, denn sie sei überall – eben auch auf dem Lande – in vollem Gange und unumkehrbar. „Nutzen wir also die Chance, das neue Zeitalter mitzugestalten“, appellierte die Politikerin an alle Anwesenden, die Herausforderungen der digitalisierten Welt zu erkennen und anzunehmen.




