Maria Groh aus Haßfurt hat sich mit 40 Jahren zum ersten Mal getraut: Sie nahm als „blutige Anfängerin“ am Poetry Slam teil. „Zwei hab ich heute morgen gefunden. Ich hab den ganzen Kopf abgesucht“, sagte sie. Gemeint waren weiße Haare. Und auch weiter ging es mit viel Selbstironie darüber, dass sie ja eigentlich schon zu alt sei, um noch mal mit dem Slammen anzufangen. Tatsächlich drehte sich der Text bei ihrem ersten Auftritt vor allem um die Frage: „Darf ich das?“ Erst habe sie teilnehmen wollen, um sich vom Publikum eine Legitimation zu holen, doch dann erkannt, dass sie sich diese selbst geben müsse. „Immerhin – ich habe mich getraut“, lautete das Fazit.
Auf die Frage der Heimatzeitung, ob sie aufgeregt war, bevor sie auf die Bühne ging, sagt sie: „Natürlich, das ist ja klar!“ Auch wenn es für die Krankenschwester nicht gereicht hat, um ins Finale zu kommen, kündigt sie an, dass sie weitermachen will: „Es wird wohl nicht das letzte Mal bleiben.“
Die Konkurrenz war hart. Zehn Teilnehmer gab es beim zweiten Poetry Slam in Haßfurt, einige davon waren Profis aus ganz Deutschland, daneben waren auch Einheimische über eine Offene Liste dabei. Im Gegensatz zum ersten Haßfurter Slam fand die zweite Ausgabe nicht mehr im kleinen Saal der Stadthalle statt, sondern im Ganztagsgebäude „Silberfisch“ am Schulzentrum, das mehr Platz bot. Durchs Programm führte Christian Ritter, der auch die Poetry Slams in den Universitätsstädten Würzburg und Bamberg moderiert. „Beim zweiten Mal schon die Zuschauerzahl verdoppelt“, freute er sich. Wenn der Trend weitergehe, wäre bei der achten Auflage dann die gesamte Bevölkerung von Haßfurt dabei.
Zur Einstimmung trug Ritter einen eigenen Text vor: Seine Vorstellung, was der Zuschauer wohl vom ersten Frankentatort am Sonntagabend zu erwarten habe. Seine Prognose: Ein Kommissar, der als Club-Fan eine tote Familie hat, seinen Kummer an der Nürnberger Frauentormauer ertränken muss und mit Rostbratwürsten ins Bett geht. Ein Rundumschlag gegen immer verrückter werdende Krimis, in denen es mehr um die sozialen Probleme der Hauptfigur geht, als um den Fall.
Dann bestimmte Sylvia Schnitzer, die als Leiterin der BIZ-Außenstelle am Schulzentrum den Poetry Slam nach Haßfurt geholt hatte, als „Losfee“ die Reihenfolge der Teilnehmer. Los ging es mit Maria Groh, gefolgt von Peter Lorber, einem erfahrenen Slammer, der jetzt im Rheinland wohnt, ursprünglich aber aus Sylbach stammt. In seiner fiktiven Entstehungsgeschichte eines berühmten Liedes von Udo Jürgens schrieb der Musiker zunächst ein Gedicht über den Landkreis Haßberge, in dem natürlich alle Ortsnamen in irgendeinem Reim vorkommen mussten. Am Ende sei Jürgens dann aber durcheinandergekommen, und so wurde es dann doch: „Ich war noch niemals in New York.“
„Für Thunfisch – For Tuna“
Svenja Gräfen aus Stuttgart wünschte sich in ihrem Text die Leichtigkeit ihrer Kindheit zurück, der Gelsenkirchener Sven Hensel forderte sein Publikum mit seinem Gedicht „Für Thunfisch – For Tuna“ dazu auf, das eigene Glück selbst in die Hand zu nehmen und der Dortmunder Rainer Holl nahm den panischen Kinderwunsch mancher junger Paare auf die Schippe, wobei die Zuschauer auf sein Zeichen „Babys!“ schreien sollten.
Marie Appel, die über die Offene Liste teilnahm, war mit 14 Jahren die jüngste Teilnehmerin. In ihrem Text „Wenn ich groß bin“ träumte sie von der Zukunft, um dann zu fragen, warum sie sich überhaupt jetzt schon damit beschäftigen solle.
Hans Forkel aus Rentweinsdorf erklärte seinem Publikum, wie er die bösesten Dinge zu anderen Menschen sagen kann, denn in Gedichtform verpackt, lachen sogar noch die Betroffenen.
Der Marburger Bo Wimmer beschrieb das Leben eines Poetry Slammers, der viel im Zug unterwegs ist und feststellen muss, dass Bahnhofsromantik nur in Filmen und in Stuttgart existiere. Jan Bühlbecker aus Wattenscheid erklärte, „wie ich plane, mit Hilfe der CSU die Welt zu retten“. Immerhin habe die Partei großes Potenzial: Sie regiere nur in Bayern, könne aber ganz Deutschland Vorschriften machen. Also wolle er ihre Macht ausnutzen, wenn er sie schon nicht brechen könne.
Den Abschluss machte Nick Pötter aus Berlin mit einer Bearbeitung der griechischen Mythologie, in der Göttervater Zeus erbost darüber war, was die Menschen aus der Welt gemacht haben, die er ihnen gegeben hatte. „Ich gab euch Musik und ihr hört One Direction. Ich gab euch Poesie und ihr lest Feuchtgebiete“, hieß es da zum Beispiel.
Moderator Christian Ritter wunderte sich zwischenzeitlich über das „komische Wetter“: Mit Blick in Richtung der Zeitungsfotografen sagte er, es blitze die ganze Zeit, aber man höre keinen Donner.
Fünf Leute im Publikum erhielten Schilder, mit denen sie Punkte vergeben konnten. Da auf Platz drei ein Gleichstand herrschte, kamen schließlich vier Teilnehmer ins Finale. Peter Lorber wagte sich mit seinen 61 Jahren in den Bereich der „leichten Erotik“, um dem Publikum klarzumachen, dass ab einem bestimmten Alter die Müdigkeit siegt. Sven Hensels Beitrag „Flugzeuge“ war ein flammendes Plädoyer für die Akzeptanz homosexueller Menschen, denen man nicht das Gefühl geben solle: „Du bist falsch!“ Es solle keinen Schweigeschleier über dem Regenbogen geben. Hart kritisiert wurden dabei die ausgrenzende Politik des russischen Präsidenten Putin und die Ablehnung der Homo-Ehe. Svenja Gräfen ließ sich über nervende Jugendliche in der Pubertät aus und erklärte, diese „stinkenden, halbfertigen Menschen“ seien das Totschlagargument gegen das Kinderkriegen.
Den Sieg holte schließlich Nick Pötter, der fragte, was wohl das Wichtigste im Leben sei: Geld? Liebe? Weisheit? Oder Gesundheit? Am Ende stand er da mit dem Fazit: „Ich bin ein Mensch. Und ich habe ein Problem.“
Zu gewinnen gab es eine Flasche Sekt und das von Moderator Christian Ritter herausgegebene Buch „Merkwürdige Dialoge“. Ritters großspurige, wohl nicht ganz ernst gemeinte Ankündigung, der Sieger erhalte ein titelseitengroßes Foto im Haßfurter Tagblatt, kann aber leider nicht ganz erfüllt werden.