Mit der Spitze eines feinen Pinsels tupft Olga Liashenko behutsam das Blattgold an. Die Borsten fangen das hauchdünne Gold ein. Vorsichtig senkt die 36-Jährige die goldbehaftete Pinselspitze auf die Holztafel vor sich. Darauf sind Silhouetten von Heiligen skizziert. Das Blattgold landet haargenau über dem Kopf eines Heiligen – der Heiligenschein. Bis die rohe Ikone, die Liashenko bearbeitet, fertiggestellt ist, werden noch viele Stunden vergehen.
Am Ende wird diese strahlen. Kräftige Farben, Rot oder Blau etwa, werden sich von den vergoldeten Flächen abheben. Ikonen sind mehr als Kunstmalerei. Wer Ikonen malt, versucht das Unmögliche: die Herrlichkeit Gottes und den Glanz des Himmels einzufangen und für den Betrachter festzuhalten. Und das üppig verwendete Gold ist hierfür gerade gut genug.
Wie viele Ikonen Olga Liashenko in ihrem Leben gemalt hat, kann sie nicht genau sagen. Als 13-jähriges Mädchen hat sie damit begonnen. Sie hat ihre Ikonen nie gezählt, ist sich aber sicher: „Es sind Hunderte.“ Wenn es nach ihr geht, werden Tausende folgen. Dabei gleicht keine ihrer Ikonen wie ein Ei dem anderen. Zwar greifen Ikonenmaler auf Vorlagen zurück, sogenannte Prorisi, das sind lineare Zeichnungen von Heiligen und Muster-Ikonen.
Doch sind solche Handbücher, die beispielsweise alphabetisch oder nach Monaten geordnet sind, und auch Vorlagen für Beschriftungen enthalten, immer nur ein Nachschlagewerk, keine Kopie-Vorlage.
Das rührt in erster Linie daher, dass Liashenko, die in Haßfurt lebt und arbeitet, Ikonen immer nur im Auftrag malt. Ihre Kunden kommen mit einer Liste bestimmter Vorstellungen, für wen – oder für was – ihre Ikone da sein soll. Manche möchten eine Ikone ihres Namenspartons, andere verschenken Ikonen an ihre Ehepartner oder Kinder. Ikonen, die für Kirchen oder Klöster bestimmt sind, zeigen häufig den Schutzheiligen der Kirchen- oder Ordensgemeinde oder Regionalheilige. „Eine Ikone drückt fast immer eine enge persönliche Beziehung zu demjenigen aus, der die Ikone in Auftrag gegeben hat“, sagt die Malerin.
Sie hat in ihrer Heimatstadt Charkov in der Ostukraine an der Akademie für Design und Kunst studiert und ein Diplom als Restauratorin für Ikonenmalerei und Restauratorin. Vor fünf Jahren kam die 36-Jährige nach Deutschland, an die Fachhochschule Erfurt, wo sie die Fachrichtung „Konservierung und Restaurierung“ studierte. Anfangs konnte sie kein Wort Deutsch. Vor Kurzem hat sie mit Vorlage ihrer Master-Arbeit das Studium beendet. Für ihre Abschlussarbeit hat die Studentin den Renaissance-Saal in einem Hallenhaus in Görlitz restauratorisch untersucht, einen Konservierungs- und Restaurationsplan erstellt und einen Kostenvoranschlag ermittelt. Jetzt sucht Liashenko nach einem Job, etwa als Restauratorin oder in Denkmalpflege.
Daneben, das steht für sie fest, möchte sie auf jeden Fall weiter Ikonen malen. Ihr Studium habe ihr geholfen, Prozesse beim Malen sowie die verwendeten Materialien besser zu verstehen. Ein Ersatz fürs Malen ist ihr die Wissenschaft aber nie geworden. In Zeiten, in denen Olga Liashenko kaum zum Ikone-Malen kommt, vermisst sie ihre Ikonen sehr schnell. Und das, obwohl sie nicht nur Ikonen malt, sondern auch Bilder im Stil des Realismus' sowie abstrakte Bilder.
Wenngleich sie auch für solche Malerei Talent hat, sind und bleiben Ikonen für sie „etwas Besonderes“, wie sie zugibt. „Beim Ikonenmalen wirst du ruhig und bist in einer anderen Welt.“ Ihre Mutter hat zu ihr gesagt: „Du malst jede Ikone, als wenn es deine Letzte wäre.“ Sie hat ihre Tochter damit warnen wollen, sich nicht zu sehr zu verausgaben, nicht zu viel Herzblut zu vergießen. Doch Olga Liashenko fasst dies eher als Kompliment auf. Es ist ihr eigener Anspruch an die Ikonenmalerei.
Sie bezeichnet sich selbst als gläubigen Menschen. Ohne Glauben kann es auch kaum gehen. Schließlich sind Ikonen weit mehr als symbolisches Schmuckwerk, sie sind für die Menschen, die sie kaufen, Ausdruck ihrer Religiosität. Und das über Konfessionsgrenzen hinweg, wie die Ikonenmalerin berichtet. Zu ihren Kunden zählen beispielsweise katholische Priester, die Ikonen, die am weitesten in der christlichen Kirche des Ostens verbreitet sind, ebenso schätzen wie orthodoxe Priester. Ikonen mit typischen Motiven, wie der Gottesmutter mit Jesus-Kind auf dem Arm oder den an Ostern aus dem Grab auferstandenen Heiland, sind in katholischen Gotteshäusern ebenso zu finden, wie in byzantinischen Klöstern.
Olga Liashenko holt sich für jede Ikone, die sie malt, die Erlaubnis eines orthodoxen Priesters ein. Hierfür gibt es keine Vorschrift, doch für sie ist es eine Art ungeschriebenes Gesetz, eine Frage der Ehre, die sie für sich mit der Ikonenmalerei verbindet. Üblicherweise fragt sie bei einem orthodoxen Priester in Würzburg nach.
Trotz aller damit verbundenen Ehre: Für Gottes Lohn allein kann die 36-Jährige ihre Ikonen nicht malen. Sie bestreitet davon einen Teil ihres Lebensunterhalts. Zudem sind die verwendeten Materialien – die hölzerne Trägerplatte, die Grundierung (Levkas) und die traditionelle Vergoldung, die aus Eigelbtechnik (Tempera) mit Vergoldung besteht, nicht eben billig. Drei Wochen und länger arbeitet sie an einer Ikone, von morgens bis abends, solange das Tageslicht ausreicht – und solange sie sich ausreichend konzentrieren kann. Sie versucht, ihre Ikonen ab 350 Euro zu verkaufen und möglichst nicht mehr als 500 Euro zu verlangen. „Mir geht es nicht ums Geld“, sagt sie. Und man glaubt es ihr gerne, dass sie bei diesen Preisen ihre Arbeitszeit kaum berechnet.
Ihre Ikonen haben meistens eine Größe von etwa 20 mal 30 Zentimeter – eine handliche Größe, um eine Ikone daheim an die Wand zu hängen. Wobei kleinere Ikonen oft schwieriger zu malen sind als große. „Ich würde gerne mal einen großen Altar malen“, sagt die Frau, die angesichts der noch immer zwischen der Ukraine und Russland umkämpften Ostukraine in ihrer Heimat keine Zukunft sieht. Vielleicht sind ihr auch deshalb ihre Ikonen, die klar strukturiert sind und eine Strahlkraft besitzen, die den Betrachter in ihren Bann ziehen, so wichtig.
Auf die Frage nach ihrem Traummotiv senkt die Malerin ihre Stimme, wie sie es während des Gesprächs mehrmals macht, immer dann, wenn sie davon spricht, was ihr am meisten bedeutet. Irgendwann einmal, sagt sie, möchte sie die Schwarze Madonna von Tschenstochau malen. Das Motiv der berühmten Ikone in Polens bekanntester (katholischer) Wallfahrtkirche ist in ihren Augen „unfassbar und sehr schön“. Sie umkreist das Vorhaben, eine Ikone nach Vorlage dieser Madonna zu malen, seit Jahren – „doch ich habe sie noch nicht zu greifen bekommen“, erklärt Olga Liashenko. Noch nicht.
Ikonen-Malerin Olga Liashenko hat auch eine Webseite, auf der sie eine Auswahl ihrer Werke vorstellt: www.olga-liashenko.org