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HASSBERGKREIS
„Ich will von meiner Arbeit leben können“
Milchkühe       -  Sie strengen sich an und geben ihr Bestes. Aber die Milchbauern haben nicht viel davon. Sie müssen ihr Produkt derzeit unter Wert verkaufen.
Foto: DPA | Sie strengen sich an und geben ihr Bestes. Aber die Milchbauern haben nicht viel davon. Sie müssen ihr Produkt derzeit unter Wert verkaufen.
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Sandler
 |  aktualisiert: 15.12.2020 15:16 Uhr

„Mein Sohn ist fünf Jahre alt. Ich weiß nicht, ob ich ihm raten soll, diesen Beruf zu ergreifen.“ Markus Lenhart ist Milchbauer in Horhausen. In seinem Stall stehen 150 Milchkühe. Auf 175 Hektar baut er das Futter für seine Tiere selber an und betreibt „nebenher“ noch eine Biogasanlage. Er weiß also, wovon er spricht. Die Heimatzeitung hat mit ihm über die Situation der heimischen Landwirte gesprochen, die in Zeiten des extremen Preisverfalls für Milch mit dieser Sparte ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen und müssen.

Der Verbraucher kann sich freuen, bieten Discounter den Liter frische Vollmilch doch schon für 46 Cent zum Kauf an. Markus Lenhart bekommt davon aber nur einen Grundpreis von 24,5 Cent pro Liter, der je nach Inhaltsstoffen etwas nach oben variieren kann. Im Schnitt bekommt der Landwirt aber weniger als 30 Cent. Nach Angaben des Verbandes der Milchviehhalter müssten es allerdings mindestens 40 Cent sein, um überhaupt die Kosten der Milcherzeugung decken zu können.

Markus Lenhart wurde von dieser Entwicklung nicht völlig überrascht. „Wir hatten zwei gute Jahre, der Milchpreis war in einem annehmbaren Bereich. Aber der Markt hat es irgendwie erahnen lassen.“ Nach dem Auslaufen der Milchquotenregelung hätten viele Landwirte die Milchmenge erhöht. Dadurch sei der Preis gesunken. „Wenn der Preis fällt“, so Markus Lenhart, „versuchen viele über eine Erhöhung der Milchmenge wenigstens den Umsatz zu retten.“ Dies sei jedoch ein Trugschluss. „Es kommen immer mehrere Faktoren zusammen, wenn der Preis so extrem fällt.“ Da seien die stotternde Konjunktur in China, der Einfuhrstopp nach Russland als Reaktion auf die EU-Wirtschaftssanktionen, die Abschaffung der Quote und das gewaltige Überangebot an Milch zu nennen.

Außerdem: „Die Situation der Landwirtschaft insgesamt ist derzeit nicht berauschend“, so Lenhart. Auch die Weizen- und die Schweinepreise „sind nicht gerade toll“.

Die Auswirkungen der aktuellen Tiefstpreise auf die Landwirte sind nach Ansicht von Markus Lenhart gewaltig. „Wenn man nichts verdient, muss man von der Substanz leben. Dann kann man aber auch nichts investieren.“ Man habe die Landwirte immer aufgefordert, in Hochphasen Rücklagen zu bilden. „Das geht aber leider nicht. Denn wir brauchen derzeit die Hochphasen komplett, um die Tiefphasen auszugleichen.“

Dabei gerät Markus Lenhart richtig in Rage: „Wir haben doch in Deutschland einen Mindestlohn? Wo ist mein Mindestlohn? Ich bekomme keine 8,50 Euro für eine Arbeitsstunde. Meine Angestellten bekommen mehr als ich.“

Nach Ansicht des Milchbauern stehe die Gesellschaft vor der Frage, ob sie von der Landwirtschaft qualitativ hochwertige Lebensmittel möchte, dann müsse sie aber auch bereit sein, dafür den entsprechenden Preis zu bezahlen. „Wenn in Deutschland keine Milch mehr produziert wird, dann regelt der Weltmarkt den Preis – und der muss bezahlt werden.“ Ohnehin wäre es dem Horhäuser Milchbauern lieber, man würde nur für den heimischen Markt produzieren.

Das Einzige, was sich in den letzten 30 Jahren verändert habe, so Lenhart: „Wir haben noch mehr gearbeitet. Aber unsere Arbeit wird nicht wertgeschätzt. Ich arbeite mehr als die siebeneinhalb Stunden täglich, und das 365 Tage im Jahr. Mit gerade einmal einer Woche Urlaub für die Familie. Diese Rahmenbedingungen sind äußerst unattraktiv.“ Das vom Staat jetzt initiierte Hilfspaket in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrages soll Zuschüsse zur Unfallversicherung, Bürgschaften, und Freibeträge zum Abbau von Schulden beinhalten. Das bedeutet nach Ansicht von Markus Lenhart aber nichts anderes als die Möglichkeit, günstig Kredite zu erhalten, um im Moment aus der Notsituation herauszukommen. „Diese Kredite müssen aber irgendwann auch wieder zurückbezahlt werden.“

Und wie kommt man aus dieser prekären Situation heraus? „Ich weiß es nicht.“ Wenn Markus Lenhart einen Wunsch frei hätte: „Mit der Hälfte des Aufwands und der Verantwortung von meiner Arbeit leben können. Ich möchte nicht reich werden, nur davon leben können.“

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Foto: dpa-infografik GmbH (dpa Grafik)

 

Die Kleinen werden aufhören
„Wenn Ihnen innerhalb von zwei Jahren zwei Drittel Ihres Einkommens wegbrechen, geht es Ihnen nicht gut.“ Matthias Ruhland vom Amt für Landwirtschaft und Ernährung in Schweinfurt redet Klartext. Er spricht davon, dass größere Milcherzeuger durch den Preisverfall 50 000 bis 70 000 Euro Einnahmen im Jahr verlieren. Von der Politik großartig in Aussicht gestellte Hilfsprogramme bezeichnet Ruhland als „Tropfen auf den heißen Stein“, als „Alibiprogrammchen“. Es handelt sich nach seiner Aussage um ein Liquiditätsdarlehen, das in drei Jahren wieder zurückgezahlt werden muss. „Aber wer weiß schon, was in drei Jahren sein wird.“

Der Landwirtschaftsexperte weiß auch, dass nach Abschaffung der Milchquote der Milchmarkt explodierte. Die Abschaffung der Quote wollten sowohl Bauern als auch Molkereien, die den Weltmarkt – hier vor allem China und Russland – im Auge hatten. China bezieht hauptsächlich Magermilchpulver, dessen Preis sich halbierte, Russland nimmt keine Milch mehr ab, worauf sich die Milchmenge deutlich erhöhte. „Wenn auf einen übervollen Markt noch mehr Milch kommt, geht der Preis in den Keller“, so Ruhland.

Pressesprecherin Lena Stegmann vom Bayerischen Bauernverband Unterfranken sieht die Situation ebenfalls kritisch. „Der Handel nutzt die Situation im Moment aus.“ Die Fusion von Edeka und Tengelmann hat nach ihrer Ansicht die Krise verschärft. „Wir brauchen in Deutschland ein stärkeres Kartellrecht.“ Sie sieht auch keine Patentlösung für die betroffenen Landwirte. Eventuell neue Vertragssysteme mit den Molkereien, die gestaffelt nach der Wertigkeit der Verwendung der Milch bezahlen, oder die gemeinsame Vermarktung der Landwirte.

Ruhland sieht als Folge des Milchpreisverfalls einen drohenden Strukturwandel in der Landwirtschaft: „Die Kleinen werden aufhören.“ Landwirte, die nur noch wenige Jahre vor der Verrentung stehen, könnten zudem auf die Idee kommen: „Ich schaffe meine Kühe ab.“

Viele Möglichkeiten sieht Ruhland nicht. Der normale Milchbauer „kann gar nichts machen, der muss da durch“. Natürlich geht es derzeit nur ums Überleben. Investitionen können die Landwirte nur noch sehr zurückhaltend tätigen: „Kein neuer Schlepper etc.“ Es geht jetzt ausschließlich darum, die Liquidität des Betriebes zu sichern.

Mancher Milchbauer hat ein Ausweichen auf die Produktion von Öko-Milch als Ausweg ins Auge gefasst. Immerhin gibt es derzeit für den Liter Öko-Milch 20 Cent mehr als für frische Vollmilch. Es dauert jedoch allein ein Jahr, bis die Vorbereitungen für die Umstellung des Betriebes einschließlich Zertifizierung abgeschlossen sind. Und dann droht vielleicht die Öko-Milchschwemme?

 
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