Ich bin kein Musiker, ich bin nur ein Musikant.“ Mit diesem Spruch stellt sich Willi Gehrig stets seinem Publikum vor. „Ein Musikant kann halbwegs Musik spielen, ist lustig und fidel, trinkt a weng und kommt dafür später in den Himmel.“ Und schon hat der Aidhäuser Alleinunterhalter die Lacher auf seiner Seite.
Auch bei der Angabe seines Geburtsdatums sitzt ihm der Schalk im Nacken: „Am 22. März vor genau 29 220 Tagen erblickte ich in Aidhausen das Licht der Welt. Wir sind noch im gleichen Bett geboren, wo wir auch gemacht wurden“, scherzt er.

Seine Eltern Hermann und Emilie Gehrig lebten von der Landwirtschaft, die Sohn Willi nach dem Besuch der Landwirtschaftsschule in Haßfurt weiterbetrieb. „Jetzt gibt es hier nur noch einen Ochsen. Und das bin ich“, sagt Willi Gehrig. „Viele im Dorf gingen neben der Landwirtschaft noch in die Fabrik zum Arbeiten. Ich habe Musik gemacht.“ Das bereue er zwar nicht, aber für die Rente sei es schlecht gewesen. „Da hätte ich jetzt gerne etwas mehr.“
Aus der Ehe mit seiner Frau Hildegund, die vor einem halben Jahr verstarb, gingen Tochter Kerstin und Sohn Daniel hervor. Gehrig freut sich über seine beiden Enkelkinder Chiara und Jan, „auch wenn keiner von beiden Akkordeon lernen wollte“.
Schon in jungen Jahren begeisterte Willi Gehrig das Akkordeonspielen. „Das wollte ich unbedingt lernen.“ Doch früher habe man als Kind nicht jeden Wunsch erfüllt bekommen.
Von dem Geld, das sich Gehrig anstelle von Geschenken zur Konfirmation gewünscht hatte, kaufte er sein erstes Schifferklavier. Zum Unterricht bei Hans Grümmer in Lendershausen fuhr er mit dem Fahrrad. „Aber nur im Winter. Im Sommer musste man in der Landwirtschaft mithelfen.“
Seit 40 Jahren hat Gehrig selbst Schüler, denen er das Musizieren auf dem Akkordeon und dem Keyboard beibringt. Waren es früher bis zu 30, sind es jetzt nur noch drei, die bei ihm lernen.
„Ich fahre sogar wegen einer Stunde nach Maroldsweisach.“ Verdient sei da nichts, denn nach dem Unterricht geht es in die Wirtschaft zu Bier und Schinkenbrot. „Dann ist der Verdienst auch schon ausgegeben.“
1955 trat Gehrig die Nachfolge von Martin Heusinger als Organist der evangelischen Kirchengemeinde an. Gelernt hatte er das Orgelspiel zuvor auf einem zwölfwöchigen Lehrgang an der Kirchenmusikschule Bayreuth. Bis heute begleitet er Sonntag für Sonntag die Lieder im Gottesdienst.
Gehrig liebt einen kräftigen Gesang, „der die Fenster in der Kirche erbeben lässt“. Damit auch Ältere oder weniger begabte Sänger gut mitsingen können, spielt er die Lieder gerne ein paar Töne tiefer. „Ein piepsiger Gesang ist fürchterlich.“ Ebenso wenig mag er lange Orgelvorspiele: „Das wollen die Leute nicht.“ Eine einfache Begleitung und höchsten drei Vorzeichen – das ist Orgelspiel ganz nach Gehrigs Geschmack.
Pfarrer und Lektoren sollten öfters auf den Rat von erfahrenen Organisten hören, meint Gehrig. Mit der jetzigen Pfarrerin Melanie von Truchseß ist er sehr zufrieden. „Sie hat schon auch ihren eigenen Kopf, aber sie hört zumindest manchmal auf mich.“
Gehrigs große Liebe aber galt der Tanzmusik: 17 Jahre war er alt, als er zusammen mit Walter Saal, Lothar Ries, Albrecht Röder und Ernst Schmied aus Wettringen die „Kapelle Edelweiß“ gründete. Nach deren Auflösung eroberten Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre die „Dixie-Boys“ die Tanzflächen der Region.

In den Tanzsälen der Wirtshäuser brachten Willi Gehrig am Schifferklavier, Karl Hümmler auf der Gitarre, Albert Heusinger am Schlagzeug und Karl Müller mit Trompete und Hawaii-Gitarre die Tanzbeine zum Schwingen. Heiß ging es damals her: „Schlägereien gehörten früher fast zu jeder Musik dazu“, erinnert sich Gehrig, „aber ich habe mich immer rausgehalten.“

Nun begann für Gehrig die Ära der Band „The Tramps“. Von 1966 bis 1973 war er mit Helmut Kess, Erich Haßfurter und Werner Mohr in Tanzsälen in Rügheim, Zeil, Sand, Maroldsweisach und im legendären „Schneckeneck“ in Rothhausen zu hören.
Offensichtlich hatte der Aidhäuser Musikant nicht nur Augen und Ohren für die Musik. 1973 gab er sich mit Hildegund Röhner das Ja-Wort. „Ab da habe ich mit der Musik aufgehört, weil ich einen ganz guten Ehemann abgeben wollte.“

Der gute Wille war da. Doch nach einem halben Jahr konnte Gehrig der Versuchung nicht länger widerstehen: Rudi Then und Rudi Krug brauchten ihn als dritten Mann für die Kapelle „La Paloma“. Die berufliche Karriere der beiden führte schließlich zum Aus für dieses Trio.
Dem Duo „Willi und Erich“ mit Erich Degel aus Ueschersdorf, folgte das Trio „Rentnerband“ mit den beiden Königsbergern Alfred Böttcher und Heinrich Grimmer, später mit Hans Böhm. Sie hielten die Senioren beim Tanz in Heustreu in Schwung.
Seit Ende der 1990er-Jahre ist Willi Gehrig nur noch alleine mit seiner Ziehharmonika unterwegs. „Ich bin der lust'ge Haßgau-Willi, ich spiele auf an jeden Eck“: So beginnt sein Begrüßungslied als Alleinunterhalter.
Aus einem unerschöpflich scheinenden Fundus gibt er Witze und Geschichten zum Besten. Wegen der kleinen Prise Schlüpfrigkeit, mit der er manche Darbietung würzt, ist dem Willi niemand böse. Mit trockenem Humor und stets einem Zwinkern im Auge, entlockt er selbst dem größten Witzemuffel ein Lachen. Aber: „Man darf höchstens einmal im Jahr zu den Leuten, sonst kennen sie schon alles.“

Bei zahlreichen Festen, Seniorennachmittagen, Weihnachtsfeiern und Faschingsveranstaltungen unterhält Gehrig schon seit über 20 Jahren die ältere Generation. „Nein, zu viel ist es mir nie geworden“, versichert er. Zwei bis drei Stunden halte er auch heute noch gut durch: „Da bin ich lustig und fidel.“ „So Gott will, mache ich es noch ein paar Jahre.“ Die Auftritte erfreuen ihn, und „das bisschen Geld brauche ich auch.“
Hätte er denn gerne ein Instrument richtig gelernt, vielleicht auch Musik studiert? „Ich wäre kein großer Musiker geworden“, ist er überzeugt. Er habe schon in jungen Jahren gedacht, dass er es nicht weit bringe. „Da muss man einfach realistisch sein und bescheiden bleiben.“ Es sei besser, ein einfaches Lied gut zu spielen, als ein schweres Lied nur mittelmäßig, ist seine Devise.